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April 16, 2021

Kulturelle Nahversorgung gegen lokale Einsamkeit

Eva Rottensteiner

Was passiert, wenn die Menschen nicht mehr zu den Künstler*innen in die Ausstellung, ins Museum, ins Theater, in den Konzertsaal kommen können? – Richtig. Die Kunst kommt zu ihnen. Zumindest in Lana ist das so. Der Verein „Südtirol Kultur“ hat gemeinsam mit der Gemeinde Lana die kulturelle Nahversorgung vor Ort sichergestellt und bereits zwei Mal gratis Kultur vor die Balkone und in die Innenhöfe geholt, mit Abstand versteht sich. Am 15.4.2021 fiel der Startschuss für die nächste Aktion: Kunstausstellung für zuhause gratis zum Abholen.

Eigentlich hätte es nur bei einer Aktion bleiben sollen. Doch die Lananer*innen waren so begeistert von der ersten Aktionswoche von „Wir kommen zu dir! Kunst zu Hause“ Mitte Dezember 2020, dass noch zwei weitere folgten. Die erste Aktion bestand aus mehreren Theaterperformances als „G’schichtn untrn Balkon“ verstreut in der ganzen Gemeinde. In einem ausgeklügelten Kommunikationssystem haben die Performer*innen Dietmar Gamper, Marion Gamper, Günther Götsch, Volker Klotz, Inge Knoll und Birgit Laimer die jeweiligen Hausbewohner*innen informiert, damit die Aktion an insgesamt 150 Orten in der Gemeinde immer nur für eine kleine Gruppe zugänglich war. „Bis zum dritten Tag hatte sich die Aktion im Dorf herumgesprochen. Die Menschen haben sich gegenseitig Videos geschickt und man hat gemerkt, sie haben etwas zu reden, zu tun und zu schauen“, erklärt Hannes Egger von „Südtirol Kultur“. Ende März folgte dann die nächste Aktionswoche mit lokalen Musiker*innen, die man für abendliche 30-Minuten-Konzerte buchen konnte.

Für die aktuelle, dritte Initiative hat sich der Verein Künstler*innen ausgesucht, die ihre Bilder als Take-Away anbieten. 200 Boxen in DIN-A3-Format liegen in den zwei Apotheken Lanas, Peer und Maria Hilf, auf und können dort kostenlos von allen interessierten Bürger*innen abgeholt werden. In der Box befinden sich 7 Kunstwerke von Arnold Mario Dall’O, Franziska Egger, Hannes Egger, Erika Inger, Sara Schwienbacher, Annika Terwey und Wolfgang Wohlfahrt. Es ist die sogenannte Kunstpille, die man sich in der Apotheke rezeptfrei holen kann. Soll übrigens gegen jegliche Kunstentzugserscheinungen helfen und neuen Input in die mittlerweile viel zu oft durchwanderten vier Wände bringen. Der Beipackzettel informiert über die Art und Weise der Installation der Werke. „Alle Menschen erhalten dieselben Kunstwerke, aber durch die unterschiedlichen Wohnräume wirken sie in einem anderen Kontext ganz neu und können dort unterschiedlich kommunizieren“, sagt Egger. Und auch die Werke selbst sind eine sehr individuelle Reaktion der Künstler*innen auf die aktuelle Zeit. Während Arnold Dall’O ein Mousepad entwickelt hat, das für ihn aktuell Möglichkeit, aber auch Falle bedeutet, hat Franziska Egger mit Bierdeckeln gearbeitet, weil sie das erste Bier in gemeinschaftlicher Runde nicht mehr erwarten kann.

Ziel der Aktion war es, einerseits freischaffenden Künstler*innen finanziell unter die Arme zu greifen und andererseits die Stimmung in der Dorfbevölkerung zu heben. Wenn es nach Hannes Egger geht, ist das Projekt auch geglückt: „Das Feedback war bombastisch! Wir haben Leute weinen sehen, manche haben Weinflaschen von den Balkonen abgeseilt.“ Man scheint einen Nerv getroffen zu haben. Die Menschen sind einsam und brauchen die Kommunikation. Kultur hat auch immer eine soziale Komponente. Während einer Pandemie wird diese aber von der „systemrelevant“-Liste gestrichen. Dabei brechen für die Menschen auch soziale Interaktionsräume zusammen. Und auch die Künstler*innen waren nach ihrem Auftritt sehr emotional. Viele von ihnen haben zum ersten Mal seit Beginn der Pandemie vor Menschen live performen dürfen, wenn auch nur in ihrem eigenen Dorf. „Diese Krise zwingt uns, sehr lokal zu denken, was aktuell auch sehr spannend ist. Ich finde es wichtig, dass die Gemeinden mit ihrem Kulturbudget einen Beitrag leisten“, sagt Egger.

Finden wir auch! Mehr systemrelevante Kultur für alle. Vielleicht nächstes Mal in einer anderen Gemeinde?

Die Box kann man sich in den Apotheken Maria Hilf und Peer in Lana abholen oder via Mail (info@lanalive.it) bestellen. Die Initiative ruft auch dazu auf die eigene Galerie zuhause abzufotografieren und mit den anderen Lananer*innen zu teilen.

Achtung, diese Kunstpille hat Suchtpotential!

Foto: (c) Annika Terwey – „Between Pain“

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