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April 15, 2021

Hochwald ist kein Schwulenfilm!

Eva Rottensteiner

Während die einen auf Bergen herumklettern, verschwinden die anderen lieber hinter Büchern. Oder sitzen in dunklen Kinosälen. Evi Romen gehört wohl zur zweiten Sorte. Sie interessierte sich schon immer mehr für das hinter den Bergen. Deswegen ist sie auch nach Wien abgehauen. Und erfolgreich als Editorin und Drehbuchautorin in der Filmszene gelandet. Doch seiner Heimat dreht man nicht einfach so den Rücken zu. In ihrem Regiedebüt Hochwald konfrontiert Evi Romen ihr Heimweh, das mit Kuhglocken und Bergen nur wenig zu tun hat. Hochwald hat es coronabedingt zwar noch nicht in die Kinosäle geschafft, dafür kann man sich den Film jetzt im Rahmen des Bolzano Film Festival Bozen 2021 zuhause streamen oder ihr in der Diskussion „Nouvelle WAAG Talks: Female Views“ zuhören. NACHTRAG: Im Rahmen des open air Filmfeschtl 2022 im UFO Bruneck wird „Hochwald“ am Samstag, 30. Juli  um 20 Uhr gezeigt, im Anschluss folgt ein Gespräch mit Evi Romen und Thomas Prenn, modertiert von Christian Mair.  

Metternichgasse 12. Das ist der Ort, an dem Evi Romen die Welt der Filme für sich entdeckte. Dachte ich zumindest. Bis sie mich eines Besseren belehrt. Wir treffen uns vor ihrer ehemaligen Uni, die mittlerweile nur mehr eine Baustelle ist, um einen Spaziergang zu machen. Und Wien wäre nicht Wien, wenn uns nicht der Wind die Schneeflocken ins Gesicht klatschen und durch Mark und Bein ziehen würde. Ohne Haube rausgehen wäre heute draufgängerisch. Wir trotzen dem Wetter, mit Kopfbedeckung versteht sich, und spazieren Richtung 1. Bezirk. Anstatt in Uni-Erinnerungen zu schwelgen, erzählt sie mir von ihrem Jugendhobby, der Fotografie. Wie sie sich das ganze Fotopapier nicht leisten konnte und deswegen im Filmclub an der Kasse jobbte. „Dort hat mir Martin Kaufmann die spannende Welt der Filme näher gebracht. Ich habe mir alles angeschaut und war irgendwann total süchtig“, erzählt sie. Also hat sie sich nach einem kurzen Abstecher nach Rom in Wien für Film und Schnitt beworben.

Seltsam in der großen Stadt

Zwar hat sie versehentlich das Bewerbungsprojekt, Bilder ihrer nackten Schwester und ein Duell zwischen Körper und Kamera, nicht dem Professor der Filmakademie, sondern dem Portier gezeigt. Auch wurde sie den Provinzstempel nicht so leicht los. „Ich glaube, meine Arbeiten waren eigentlich seltsam für die Aufnahmejury der Filmakademie“, meint Romen. Doch sie wurde genommen. Und hat die Akademie letztlich auch mit Bestnote abgeschlossen. „Etwas an meinem Blickpunkt muss ihnen wohl gefallen haben“, ergänzt sie. Ihr Provinzstempel scheint sie nie besonders gestört zu haben. Sie habe sich weniger besonders gefühlt, als ihr vermittelt wurde. Die junge Evi Romen war wohl einfach froh, das Leben hinter den Bergen erkunden zu können. Hier war sie auch mit ihren Interessen für Literatur und das Kino nicht mehr allein. Dieses morbide Wien, das sie schon in ihren Büchern bewundert hat, war nun ihr Zuhause. Südtiroler*innen hat sie nach Möglichkeit gemieden. Die Südtiroler Freund*innen ihrer Mitbewohnerin, die regelmäßig bei ihnen in der WG übernachteten, gingen ihr eher auf die Nerven. Auch von daheim hat sie sich abgekapselt. In den Zug nach Südtirol ist sie kaum noch gestiegen. „Mein Vater hat mir das schon übelgenommen, aber ich wollte eine Weile nichts mit Südtirol zu tun haben. Immer wenn ich über den Brenner gefahren bin, hat sich mein Hintern zusammengezogen“, sagt sie. Das ist auch das Gefühl, das man bekommt, wenn man Hochwald schaut. Enge.

Frau sein

Wir stehen in der Schlange fürs Fenstercafé in der Griechengasse, um uns einen Cappucino to-go zu holen. „Nervt dich das manchmal, dass du in jedem Interview gefragt wirst, wie es ist, eine Frau in der Filmbranche zu sein?“, frage ich sie. „Ja total! Das klingt so, als ob ich jetzt nach 30 Jahren endlich die Chance kriegen würde, einen Film zu drehen. Das stimmt einfach nicht“, antwortet sie. Während es zuhause in Südtirol keiner komisch fand, dass sie als Frau Kamera und Schnitt studiert, schien ihr Geschlecht in Wien plötzlich relevant zu sein. „Hier in der Großstadt war ich plötzlich Frau.“ Doch auch väterliche Ratschläge, ob diese raue Filmwelt mit ihrer harten Sprache am Set schon was für sie sei, schienen Evi Romen mehr zu verwundern, als aus der Ruhe zu bringen. „Ich komm aus Südtirol, harte Sprache und Naturgewalten bin ich gewohnt. Was soll mich hier in der Stadt schockieren“, meinte sie damals. Aus Protest hat sie eines Tages mit ihrer damaligen Kommilitonin den Spruch „Kein Schwanz, kein Schwenk“ an die Studiowand gesprayed.

Evi Romen mit Martin Gschlacht und Franziska Zaiser (c) Florian Rainer

Widerständig sein

Rebellentum war auch schon in Evi Romens Familiengeschichte eingeschrieben. Ihr Vater war die rechte Hand von Silvius Magnago und hat sich in der ganzen Autonomiesache um die Verwaltung gekümmert, ihr Opa war in der Gruppe um Kanonikus Gamper. „Meine Familie hat mich sicher auch geprägt. Weniger auf einer patriotischen Ebene, als dass man sich nicht alles gefallen lassen muss und sich wehren darf.“ Rebellisch war auch ihre Oma mütterlicherseits: Sie ist in den goldenen 20ern nach Rom gegangen, um ihr Italienisch aufzubessern. Dort blieb sie und wurde Tänzerin. Einmal im Jahr kam sie auf Besuch nach Bozen. „Ich fand sie lustig, irgendwie schräg. Aber sie hat eben ihr Ding gemacht und ihr Künstlerdasein gelebt“, sagt die Filmemacherin. Wenn sie über ihre Künstlerin-Oma erzählt, dann schwingt auch ein bisschen Bewunderung mit. Vielleicht, weil sie sich insgeheim auch mit ihr identifizieren konnte. Als Evi Romen ihrer Familie offenbarte, dass sie Film studieren möchte, stieß das nicht gleich auf große Begeisterung. „Ich habe mal ein Gespräch meiner Eltern belauscht, in dem sie sich besorgt darüber unterhielten, wieviel Mühe es sie gekostet habe, dass kein Kind so wird wie die Oma“, erzählt Evi sichtlich belustigt.

Heimweh

Auch Evi Romen hat in Wien ihr Ding gemacht. Und wurde damit auch ziemlich erfolgreich. Seit Anfang der 90er Jahre hat sie Kinofilme, TV-Filme, Serien und Dokumentarfilme geschnitten. 2011 wurde sie für „Mein bester Feind“ mit dem Diagonale-Preis und 2016 für „Casanova Variations“ mit dem österreichischen Filmpreis ausgezeichnet. Ab 2017 hat sie auch Drehbücher geschrieben und zuletzt für ihren eigenen Film „Hochwald“ den Carl-Mayer-Drehbuchpreis erhalten. Dazu hat sie mit Hochwald auch noch den Hauptpreis (Goldenes Auge) beim 16. Zürich Film Festival gewonnen. Hochwald war anders. Es war ihr eigenes Projekt, bei dem sie erstmals Regie führte. Und es war ein persönliches Projekt. Es ist wohl kein Zufall, dass die Geschichte des jungen Mario (dargestellt von Thomas Prenn) in einem Bergdorf spielt, dessen Bewohner*innen viele Assoziationen mit Südtirol auslösen. Obwohl sie schon lange räumlich von Südtirol gelöst war, hat sie die Heimat insgeheim nicht ganz losgelassen. „Jedes Mal, wenn ich beruflich etwas gewagt habe, war mein Notfallplan, nach Südtirol abzuhauen“, sagt Evi und schmunzelt. In Hochwald setzt sie sich filmisch mit ihrem Heimweh auseinander.

Evi Romen und Martin Gschlacht und Thomas Prenn (c) Florian Rainer

Deplatziert sein

Hochwald ist eine Geschichte über Trauer, Enge, Freiheit, Ausgrenzung und Identität. Im Film geht es auch ums deplatziert sein und das Sich-nicht-einordnen-Können. Mario möchte eigentlich Tänzer werden, was in seinem Dorf niemand unterstützt. Nur sein Kindheitsfreund Lenz, zu dem Mario eine tiefe Bindung hat, nimmt ihn mit nach Rom. Bei einem gemeinsamen Abend in der Schwulenbar kommt Lenz durch ein islamistisches Attentat ums Leben. Mario muss zurück in sein Dorf und mit den Folgen des Ereignisses umgehen. Ich frage Evi Romen, ob es Parallelen zu Mario gibt. Auch ihr war es in Südtirol zu eng und auch sie hat sich für Künstlerisches interessiert, für das in ihrem Umfeld kaum wer Interesse hatte. Sie stimmt mir nicht ganz zu: „Der große Unterschied zwischen mir und Mario ist, dass ich gehen konnte und er nicht. Ich war in einer ganz anderen sozialen Lage als die Figur im Film. Und meine Selbstzweifel hat mir meine Schwester ausgeredet.“ Der Film erzählt auch eine Geschichte über jene junge Menschen, dere

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