Music

April 6, 2021

Fear and Loathing at Wiener Prater: Lamo EP

Florian Rabatscher

Wenn man mal wieder Bock auf neue und besondere Klänge aus der Welt der Beats und tighten Reime hat, sollte man einfach ab und zu den Katalog vom österreichischen Label Duzz Down San durchstöbern. Dort wird anscheinend immer fleißig gebastelt und released. Es handelt sich aber nicht um seelenlose Massenware vom Fließband, sondern um Avantgarde-Hip-Hop mit Geist und Verstand. Wie poetisch! Aber überlassen wir die Dichtkunst lieber den hauseigenen Rappern dieses Labels. Die Scheibe, die ich euch jetzt gerne vorstellen würde, nennt sich „Lamo EP“ und ist (wieder einmal) durch eine Kollaboration von zwei altbekannten Tiroler Künstlern entstanden: Grandmaster Testa (Von Seiten der Gemeinde) und Reime-Monster Mo Cess (Da Kessl). Zwei Typen, die es anscheinend schaffen, sich ungezwungen zu einer Aufnahme wie in einer Kneipe zu treffen und dabei hervorragendes Material herauszaubern. Wir hören auf der „Lamo EP“ dunklen atmosphärischen Sound, zu dem man sich am liebsten selbst kopfnickend in Zeitlupe vorstellt.   Testa & Mo Cess (c) Thomas Hofer

Mo Cess überzeugt darauf mit facettenreichen Lines und einem Flow, der sogar ohne Beat zu ganzkörperlichen Schwingungen verleitet. Aber der Beat ist da und das nicht nur als reine klangliche Unterstützung. Denn noch härter als die Tiroler Aussprache des Buchstabens „K“ sind wohl nur Testas Bässe. Er versteht einfach sein Handwerk und schafft es nicht nur einen eigenen Style zu besitzen, sondern jedem Release individuell eine eigene Seele einzuhauchen. Was hier definitiv der Fall ist. Natürlich klingt deswegen nicht jeder Track eigen, sondern eher gleich. Muss das aber gleich als schlecht gewertet werden? Ich finde nicht. Es ist mehr ein gutes Grundkonzept, weswegen man beim Durchhören nie aus dem herrschenden Trip geworfen wird. (Damit soll nichts schön geredet werden und nicht dasselbe gemeint sein, wenn man beispielsweise sagt: Das ist ein grundsolides Blues-Album. – Ich will bestimmt niemandem auf die Füße treten, aber solche Sätze sind wohl nie als Kompliment zu verstehen. Sie bedeuten einfach, dass es nichts Neues ist, aber recht anständig klingt.) Diese Scheibe hingegen ist jedoch wirklich besonders und zieht dieses Gefühl einfach von der ersten bis zur letzten Minute durch. Wie eine gute Punkrock-Platte aus den 80ern, auf der die Songs zwar ähnlich klingen, aber im Gesamten ein wahres Sound-Kunstwerk darstellen. Obwohl Punkrock jetzt natürlich ein bescheuerter Vergleich ist. Diese EP klingt eher wie dieser dunkle leicht bewusstseinserweiternde Sound im Hip-Hop von Künstlern wie Travis Scott oder A$AP Rocky. Und wenn ich noch weiter in meiner Plattenkiste wühle, finde ich, hat es auch eine ähnliche Stimmung wie auf den Alben „Dare Iz A Darkside“ von Redman oder „I Don’t Like Shit, I Don’t Go Outside“ von Earl Sweatshirt.

Auf der „Lamo EP“ befindet sich ein Hörerlebnis, das man, um es besser zu verstehen, chemisch in Pillen umwandeln müsste. Bei Einnahme der „Lamo-Pille“ würde man dann einen Trip mit all seinen Facetten durchlaufen. Von gechillt fröhlich bis komplett paranoid. Das Video zum Track „Trotz“ am Wiener Prater bei Nacht, mit seinen Attraktionen und bunten blinkenden Lichtern, ist absolut passend dazu. Auch das Album-Cover ist nicht nur witzig, sondern trifft es auf den Punkt: als ob man 100 Meter über der Erde auf einem Kettenkarusell sitzen würde. Die Tracks sind perfekt für den Trip angeordnet. Bei „10 Kilo“ fängst du an und fühlst dich so, als ob du es mit der ganzen Welt aufnehmen könntest. Dann schüttelst du deine Hüften zum Beat von „Alles Ok“ und kommst immer mehr in Stimmung. Bei „Trotz“ fängt sich alles an zu drehen, während du mit stroboskopischem Blick dein verzerrtes Selbst im Spiegelkabinett erblickst. Jesus, bin das wirklich ich? Was für eine schreckliche Fratze … Langsam wird es Zeit, diese absurden Dinge anzunehmen und in sich zu kehren. Aber wie der nächste Track schon sagt: „Bleib dabei“. Der vorletzte Titel „Katz und Maus“ ist mein absoluter Favorit: der Höhepunkt dieses musikalischen Trips, sozusagen. Ich liebe Songs, die dir starke Gefühlsschübe bereiten, dabei müssen diese nicht zwingend von der positiven Sorte sein. Denn hier bekommst du dermaßen paranoide Zustände, als ob du ein Krimineller wärst, der gerade erst abgetaucht ist. Bei jeder Kleinigkeit witterst du Gefahr und bist dir immer bewusst, dass sie jeden Moment kommen könnten, um dich in den Knast zu verfrachten. Angst und Schrecken auf höchstem Niveau. „Pointe“ holt dich dann schlussendlich wie ein Xanax wieder runter von diesem ganzen Wahnsinn. Der Mix aus diesem Beat, den Raps und dem wunderschön relaxten Gesang von Marielle Zaiser dämpft deine brodelnden Emotionen. Cover_Lamo-EP

Was für ein Trip, der zwar nicht 17 Stunden, sondern Minuten dauert, aber trotzdem sehr intensiv ist. Schade, dass solche Werke meistens nach einer gewissen Zeit wahrscheinlich in Vergessenheit geraten und im Nirgendwo verschwinden. Ja, diese Jungs hauen zwar viel raus, aber es ist nicht nur so dahingeschmissen wie ein Mallorca-Hit von Mickie Krause, der dann wahrscheinlich noch in zwanzig Jahren beim Schützenfest von Stockbesoffenen laut mitgelallt wird. Die Sounds sind in sich gekehrt und gleichzeitig so beruhigend wie beunruhigend. Zudem muss man sagen, dass jede Refrain-Strophe eine einprägsame Hookline besitzt – die sich zwar nicht zum dumpfen Mitgröhlen eignet, aber trotzdem im Kopf bleibt. Um es mit den Worten von Raoul Duke aus „Fear and Loathing in Las Vegas“ zu sagen: „There he goes. One of God’s own prototypes. A high-powered mutant of some kind never even considered for mass production. Too weird to live, and too rare to die.“   

Fotos: (1)  Thomas Hofer; (2) Testa & Mo Cess

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