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April 1, 2021

Pool by Pool they form a river to our house: Julia Haugeneders Idylle, blau

Eva Rottensteiner

„Hörst du diesen Ton?“ Julia Haugeneder zeigt stolz auf eine kleine weiße längliche Box, die an der Decke hinter ihr befestigt ist und auch als Amazons Alexa durchgehen könnte. Ich liege falsch. Es ist eine Sounddusche, die der Techniker vorhin installiert hat. Doch die Wiener Künstlerin freut sich weniger über das Hightechgerät, als vielmehr über die Stimmen, die man dadurch hören kann. Ich befinde mich in derInnsbrucker Galerie Elisabeth & Klaus Thoman, virtuell zumindest. Eigentlich sitze ich in meinem Wiener WG-Zimmer, aber Zoom sei dank, kann ich aus einem Laptop heraus trotzdem bei der Ausstellungseröffnung von „Idylle, blau“ (27.3.–26.6.) dabei sein – Julia Haugeneders Solo-Ausstellung. Und weil man ohnehin seit der Corona-Pandemie zu wenig Ausstellungen gesehen hat, folgt eine ganz persönliche Künstlerin-Führung. Jetzt gerade höre ich einen Essay von Film- und Medienwissenschaftler Ulrich Meurer, wie ein Hörbuch gelesen von zwei Frauen. Haugeneder freut sich.

Julia Haugeneder: Das Thema ist Deckerinnerung bei Freud und der Film ‚The Swimmer‘ von Eleanor und Frank Perry (1968), weil das auch mein Grundthema für die Ausstellung war. Ulrich Meurer hat gleich verstanden, was mich fasziniert, und einen punktgenauen Text geschrieben, den man hier von zwei Frauenstimmen gelesen hören kann. Das war gut, dass nicht eine männliche Stimme in der Ausstellung ist.

Eva Rottensteiner: Wieso?

Julia Haugeneder: Weil ich als Künstlerin die Objekte der Ausstellung gemacht habe; wenn der intellektuelle Teil der Ausstellung von einer männlichen Stimme gelesen würde, hätte ich das nicht entsprechend gefunden. Er hat ihn zwar geschrieben, wird auch überall zitiert und ich feiere ihn sehr für diesen Text, aber ich fand die weibliche Erzählstimme besser. Die haben zwei Freundinnen von mir mit Sprechausbildung übernommen. Das fühlt sich ein bisschen so an, als wären sie auch hier und wir würden eine Gemeinschaft sein. Die Stimme, die gar nicht materiell ist, in Kombination mit meinen Objekten, die massiv materiell sind, das ist eine schöne Kombination.

Eva Rottensteiner: Wollen wir durchgehen?

Julia Haugeneder: Ja klar, lass uns ganz am Anfang beginnen.

[Die Künstlerin trägt den Laptop durch den Ausstellungsraum, ein Techniker mit Maske huscht hinter der Künstlerin vorbei und winkt in die Kamera.]

Das erste, was man sieht, ist ein Linolschnitt mit neun Bahnen so breit wie die Wand. Ich habe handelsüblichen Linoleumboden mit einem Stanleymesser geschnitten und einen Großteil der ersten beiden Schichten entfernt. Der Linolschnitt ist also ein Druckstock für einen Hochdruck. Das Muster kommt vom blauen Boden, den du im hinteren Bereich des Raumes sehen kannst.

Julia Haugeneder Linolschnitt (c) Galerie Elisabeth & Klaus Thoman

Julia Haugeneder: Und das hier ist der L-förmige Raum. Wenn ich mich nach links drehe, siehst du diese Bahnen, die dort hängen. Die verdecken einen der beiden Eingänge und bestehen aus Buchbinderleim, Marmormehl und verschiedenen Weißpigmenten. Das ist mein Grundmaterial für alle Objekte in diesem Raum hier. Schau, wie dünn diese Bahnen sind. Bei meinen gefalteten Objekten verwende ich dasselbe Prinzip. Ich gieße aus Leim und Pigmenten dünne, bunte Flächen am Boden aus, also zweidimensional. Erst wenn ich sie falte, werden sie dreidimensional. Weil ich nicht mit Skizzen oder Plänen arbeite, weiß ich nicht, was letztlich daraus entsteht.

1 (c) Galerie Elisabeth & Klaus Thoman _ WEST.Fotostudio

Eva Rottensteiner: Faltest du alle deine Objekte?

Julia Haugeneder: Fast immer, außer diese Bahnen hier. Ich wollte schauen, was passiert, wenn sie wie Häute hängen. Durch das Ausgießen des Buchbinderleims erzeuge ich mein Material selbst. Das macht mir großen Spaß. In der Malerei ist das Material meistens schon da.

Eva Rottensteiner: War es ein Hintergedanke, dass die Bahnen wie Häute aussehen?

Julia Haugeneder: Nein, so konkret war das nicht geplant, aber der Leim macht es so durchscheinend. Es sieht aus wie Leder. Mein Hintergedanke war, ein Objekt zwischen Innen und Außen zu gestalten. Kennst du diese Lamellen in den Schwimmbädern, durch die man in das Außenbecken schwimmt? Am Anfang der Ausstellung hat es die Funktion einer Trennwand, die aber auch eine durchlässige Membran hat.

Eva Rottensteiner: Woher kommt eigentlich deine Faszination für Drucktechniken und Buchbinderleim?

Julia Haugeneder: Ich war drei Jahre in der Medienklasse an der Akademie und habe irgendwann aufgehört zu arbeiten und wusste nicht, woher meine Blockade kommt. Die Druckwerkstatt war mein letzter Versuch. Ich war so begeistert, mit dem Material zu arbeiten. Weißt du, das ist ein dialogischer Prozess, wenn man mit dem Material korrespondiert. Bei digitalen Arbeiten muss man immer zuerst ein Konzept erstellen. Bei Drucktechniken arbeitest du mit einem Gegenüber. Später habe ich für einige Monate in einer Druckwerkstatt in London gearbeitet. Weil ich einige lose Druckserien verbinden wollte, bin ich auf Buchbinderleim gekommen. Dort habe ich noch Gips mit hineingemischt und war so begeistert von dem Material. So wurde ich mehr und mehr vom Drucken weggeleitet.

Eva Rottensteiner: Glaubst du, ohne Druckwerkstatt hättest du mit der Kunst aufgehört?

Julia Haugeneder: Ja, das war knapp. Wer weiß, vielleicht hätte ich die Kunst auch anders weitergeführt, aber es hat lange gedauert, bis ich an der Akademie einen Bereich gefunden habe, der mich interessiert und mit dem ich Freude habe. Wenn es keine Freude macht, geht man arbeiten und verdient Geld, dann macht man keine Kunst.

2 (c) Galerie Elisabeth & Klaus Thoman _ WEST.Fotostudio

Julia Haugeneder: Schau mal, das an der Wand dort ist „hook“. Es ist wie ein Kleiderhaken, auf dem zwei seltsame Objekte hängen. Und schau, hier hinten links gibt es nochmal einige Bodenobjekte. Siehst du die Plexiglasbank mit den gefalteten Tüchern drin? Ich habe auch die drei Möbelstücke in der Ausstellung selbst gemacht und mich für die gleiche Materialsprache, Plastik, entschieden, weil der Leim auch auf Acrylbasis ist. Im Prinzip sind diese Bänke wie die Regale in öffentlichen Schwimmbädern, wo man seine Schuhe reinstellt und Sachen ablegen kann, wenn man schwimmen geht. 

Eva Rottensteiner: Aus welchem Impuls heraus entsteht bei dir Kunst?

Julia Haugeneder: Ich mache Dinge, die ich noch nicht woanders gesehen habe. Weniger aus einem Originalitätsgedanken, sondern weil ich es fad fände. Wenn es etwas schon gibt, geh ich es mir einfach anschauen, das ist der kürzere Weg. Ich nutze Kunst auch, um Gedanken zu verkörpern, die nicht sehr konkret sind und sich nicht versprachlichen lassen, ansonsten würde ich sie wohl einfach aufschreiben.

3 (c) Galerie Elisabeth & Klaus Thoman _ WEST.Fotostudio

Julia Haugeneder: Wenn wir hier ums Eck gehen, kannst du auch die Taschen sehen, eine blaue und gegenüber eine weiße Wandtasche, und eine champagnerkreidene Tasche am Boden. Sie sind mit Luftpolsterfolie gefüllt, welche dem Körper eine Form gibt und gleichzeitig das Verpackungsmaterial für die Objekte ist. Und es gibt noch dieses Ding dort hinten am Boden, das siehst du nicht so gut. Diese Noppen hier am Objekt kommen von einer Anti-Rutsch-Matte unter Teppichen, die ich bei diesem dunkelblauen Leimgemisch miteingegossen habe.

Eva Rottensteiner: Wie gehst du mit Leuten durch deine Ausstellungen, die keine Ahnung von zeitgenössischer Kunst haben?

Julia Haugeneder: Ich frage die Leute oft, wie die Objekte für sie ausschauen und abhängig von Alter oder kulturellem Hintergrund kommen ganz unterschiedliche Ideen. Meine 90-jährige Nachbarin nennt mir ganz andere Referenzen als Leute mit 30. Man merkt, wie unterschiedlich wir uns an Material erinnern. Und dann ist auch die Tätigkeit – das Falten – eine Tätigkeit, die wir alle kennen und die einen Ordnungsmechanismus hat. Wenn wir wo was falten, dann möchten wir es ordnen. Man kann sich deshalb im Kopf die Bewegung vorstellen und das gefällt mir, wenn der Prozess des Machens ein Teil des fertigen Objekts ist.

Eva Rottensteiner: Hat man als Künstlerin manchmal Angst, dass die eigene Kunst elitär ist?

Julia Haugeneder: Ich vielleicht weniger, manche Kolleg*innen mehr. Bildung hat einfach einen Einfluss auf die eigene Wahrnehmung und es wäre völlig abstrus zu glauben, dass das nicht so ist. Die meisten, die Kunst machen, haben Kunst studiert. Das ist kein hyperelitäres Studium, aber finanzielle Unsicherheit muss man sich auch leisten können. Es ist ein elitärer Betrieb und da gäbe es Vieles, was man hier ändern müsste. Trotzdem fürchte ich mich nicht davor, weil es einfach eine Tatsache ist. Und doch ist es wichtig, dass alle sich Kunst anschauen können und dafür gibt es eh Möglichkeiten. Trotzdem gehen nicht alle in eine Galerie oder ein Museum und Kunstbesitz ist ein Luxusgut. Man kauft sich meist Kunst, wenn man schon alles andere hat.

Julia Haugeneder (*1987 in Wien) hat an der Akademie der Bildenden Künste in Wien studiert sowie in London am Central Saint Martins, UAL Grafik und Drucktechnik. Außerdem hat sie Kunstgeschichte, Philosophie und Theater-, Film- und Medienwissenschaften an der Universität Wien und der Erasmus Universität Rotterdam studiert. Ihre Arbeiten wurden zuletzt in der Galerie 5020 Salzburg (2021), im Kunstverein Baden (2021), im Kunstraum Super Wien (2020), in der Galerie Sophia Vonier Salzburg (2020), beim Futur 3 Festival Kiel (2020), bei Parallel Wien (2020), im MUSA Wien (2019) und im Zusammenhang mit ihrer Diplompräsentation (2019) an der xposit Akademie der bildenden Künste Wien gezeigt.

Photo Credits: (1) Heribert Corn_Wien Museum; (2) Galerie Elisabeth & Klaus Thoman; (3-5) Galerie Elisabeth & Klaus Thoman/WEST.Fotostudio 

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