Music

March 26, 2021

Nicht viel zum Lästern: Jo Stöckholzers ungewöhnliches Meisterwerk

Florian Rabatscher

Unser Lieblings-Popstar aus Tirol meldet sich mit einem neuen Werk zurück: Jo Stöckholzer, der Clueso der Alpen, hat am 19.03.2021 sein Album „Zum Lästern“ released, und ich muss sagen, es ist absolut brillant. Na gut, ihn als Popstar zu betiteln ist zwar übertrieben und auch äußerst unpassend seiner Person gegenüber. Bei diesem Wort denkt man eher an einen aalglatten Schönling, dem irgendein Image zurechtgeschustert wurde und der keinen Ton seiner Songs selbst schreibt. Doch Jo ist da schon anders: Er ist ganz er selbst und schreibt seine eigenen Songs. Und nicht nur das, dieses Album wurde zudem völlig allein von ihm eingespielt und produziert. Darf ich vorstellen, die neue Supergroup aus Tirol: An der Gitarre, Jo Stöckholzer. Am Bass, Jo Stöckholzer. An den Drums, Jo Stöckholzer. An den restlichen Instrumenten und für die Arrangements zuständig, der Ausnahmemusiker Jo Stöckholzer. Und den Gesang übernimmt kein geringerer als Jo Stöckholzer, unterstützt vom bekannten Jo-Chor. Stellt euch das einmal bildlich vor, diese ganzen Jos die gemeinsam auf der Bühne stehen. Nur beim Hinsehen würde man denken, einem Konzert einer Hare-Krishna-Band beizuwohnen, aber dieser Sound ist mehr als hirnrissiges Mantra-Gebrabbel, er ist absolut Bombe. Auch die bisherige Entwicklung dieses Mannes ist ziemlich beeindruckend. Das erste Mal sah ich ihn mit seinen langen zotteligen Haaren nur mit einer Gitarre bewaffnet beim BUSK Festival in Bozen am Straßenrand, dann mehrmals als Live-Loop-Artist, auch samt Band, auf einer großen Festivalbühne. Dann war da noch die Zusammenarbeit mit der Innsbrucker Melodic-Hardcore-Band Tripsitter, die er sogar auf ihrer Russland-Tour begleitete, und schließlich das Video zu seinem Song „Veränderung“, wo er sich live vor Publikum seine Haartolle abrasierte. Wie Walter White aus Breaking Bad hat auch Jo sich irgendwie in den Heisenberg der Musik verwandelt. Das Ganze liest sich fast wie die Biographie eines alten Musikveteranen, doch Jo ist noch jung und wird sicherlich noch für viele Überraschungen sorgen.00-web-albumcover-jostoeckholzer-schrift

Doch kommen wir zurück zu seiner neuesten musikalischen Verblüffung „Zum Lästern“. Ein Album, das wieder einmal mehr als bloß ein Album ist. Wo soll ich anfangen? Vielleicht bei der wunderschönen Aufmachung, mit dem Coverfoto, auf dem er ein Eis mit hochgezogener Schutzmaske verspeist? Man kann es sich wie ein Kunstwerk lange ansehen und darüber nachdenken. Was mir übrigens auffällt: Warum ist die Eiswaffel schwarz? Dazu kommen noch kreativ gestaltete Cds und Platten und ein Inlay mit massig Fotos und selbstgekritzelten Songtexten. Also kurz gesagt, fast zu schade, um es nur zu streamen oder online zu kaufen. Obwohl diese Pressefotos, über die er einzeln drüber kritzelte und die er GIF-artig online und als Musikvideoersatz verwendet, auch ihren Charme haben. Ich will ja keinen dazu zwingen, aber um es mit fast allen Sinnen zu genießen, (also essen kann man es nicht), sollte es besser in physischer Form erworben werden. Solange der Vorrat reicht natürlich. Denn so malerisch die Verpackung auch ist, das Ausschlaggebende verbirgt sich immer noch in der Musik, die darin steckt. Songs über Trennungen gibt es viele, doch Jo hat einfach einmal ein ganzes Album dazu rausgehauen. Es dreht sich aber mehr um das Single-Sein an sich, aber nicht auf die gewohnt plärrende Weise, sondern wie der erste Song so schön sagt: „Alleine sein ist keine Tragik“.

Kennt ihr diese klassischen Filmbilder, wo jemand mit dem Auto eine lange leere Straße entlangfährt und die Hand aus dem Fenster streckt, um den Wind zu spüren? So klingt es, also eher eine Befreiung von Etwas, nicht typischer Herzschmerz. Fast schon genial, in einer so einsamen Zeit, ein Album komplett allein aufzunehmen und dabei noch über das Alleinsein zu singen. Da man sich gerade eh meistens mit sich selbst beschäftigt und nicht oft rauskommt, kann man mit diesem Album Jos Gedanken zu sich in den Kopf einladen, um mal ordentlich mit ihnen abzufeiern. Dazu eignen sich diese Songs vortrefflich, die ganz ohne klassische Struktur, aber dafür mit verdammt intelligenten Texten daherkommen. Erinnert sehr an Bands der Hamburger Schule, welche auch die deutsche Sprache auf äußerst raffinierte Art und Weise in ihren Texten verwendeten. Bei Jos Titel „Die schlimmste Nacht des Tages“ fällt mir einfach sofort „Eine sonnige Nacht“ von Tomte ein. Ja, Jo Stöckholzer hat auch was von Bosse, obwohl Jos Stimme manchmal viel rauer klingt und diese Vergleiche sowieso nicht hilfreich sind. Legen wir diese Gedanken also lieber schnell beiseite und besinnen uns auf das, was wirklich in diesem Album steckt: 100 % Jo Stöckholzer.

Wenn ich den meiner Meinung nach besten Track des Albums „Was kannst du?“ höre, weiß ich auch nicht mehr weiter. So einen Song habe ich bis dato noch nie gehört, weshalb es schwer fällt, es nur als Indie-Pop zu bezeichnen. Dieser Song ist so futuristisch, dass er damit vielleicht sogar ein neues Genre gegründet hat. Wer weiß … Im Grunde genommen hat Jo ja nichts mehr mit einem normalen Menschen zu tun. Trotzdem ist er der normalste Typ auf der Welt, versteht ihr? Man hört dieses spezielle Album mit seinen außergewöhnlichen Songs und dem ganzen einfallsreichen Drumherum und denkt sich: Irgendwie wirkt es doch vertraut und nicht abgehoben. 

Dein Brot wird schimmeln
Was wirst du?
Im Goldberg schwimmen
deine Follower finden’s gut

Fotos: Jo Stöckholzer

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