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March 25, 2021

Weltschmerz, der; Gefühl von Melancholie und Weltmüdigkeit

Eva Rottensteiner

Wie sich Weltschmerz anfühlt? Produkt-, Modedesigner und Ingenieur Jim Unterweger und Filmemacher Carl von Pfeil lassen ihre Kunst für sich sprechen. In ihrem Künstler*innenkollektiv „Weltschmerz Studio“ verschmelzen Fashion Design mit experimentellem Film, Ästhetik mit Nostalgie. Während es Jim als Modedesigner in die Tech Fashion Industry nach Berlin gezogen hat, ist Filmemacher Carl von Pfeil erstmal nach Kapstadt zum Filmstudium abgetaucht und hat mehrere experimentelle Kurzfilme und Musikvideos produziert. Wer von den beiden Meranern oben ohne im Labyrinth der Fragen nach Antworten und neuen Perspektiven sucht, welcher Weltschmerz sie aktuell beschäftigt und worum es ihrer Generation wirklich geht …

Jim und Carl, erzählt mal von dem Moment, als das Kollektiv geboren wurde …

Jim: Der Keim der eigentlichen Idee dahinter spross vor zirka 3 Jahren, als ich und Carl unsere erste Kollaboration zusammen starteten. Er war damals in Kapstadt und hat dort Kurzfilme gedreht und ich bin ins Kleidermachen getaucht. Ich habe damals zwei Outfits entworfen und zusammen mit Carl und seiner Crew in Kapstadt entstand ein kleiner Kurzfilm, den wir Paper Prospect tauften. Ich wollte damals (2017) schon Weltschmerz starten, eher als Bekleidungs-Brand, doch das Leben hatte vorerst andere Pläne für mich und ich landete in Berlin in einem Fashion-Tech-Haus. Weltschmerz musste somit leider vorerst auf Eis gelegt werden. Wie das Leben so spielt, verging einige Zeit, ich zog in die Niederlande für mein Design-Studium und und konzentrierte mich darauf, ein Schwamm zu sein.

Carl: Wir trafen uns dann im Sommer 2020 an einem warmen Sommerabend im Ost West Club und diskutierten bei Bier und Zigaretten über unsere Zukunft und kamen zum Schluss, „Weltschmerz“ gleich am nächsten Morgen in die Welt zu rufen und unser langjährig verschollenes Filmprojekt „Paper Prospect“ sollte der Beginn unseres Abenteuers sein. Unser Debüt-Projekt wurde über das Berliner Kaltblut Magazine veröffentlicht und das nahmen wir natürlich als große Bestätigung und Kraftschub für unsere weiteren Vorhaben, Projekte und Kollaborationen.Maximilian Mair Pietro Savoi:Relatum Models Weltschmerz Studio Jim Unterweger Mattia AndreoliWer sind eigentlich die weiteren Mitglieder  und was vereint euch?

Carl: Jim ist das wundervolle Beispiel unseres Kompasses, denn bei ihm kann man sich wohlfühlen und orientierungslos in die Richtung unseres Kollektivs leiten lassen. Er ist unser Leitfaden, unser Billboard und der Prinz der Nähnadel. Und ich bin eher die verwilderte Blume, die oben ohne im Labyrinth der Fragen nach Antworten und neuen Perspektiven sucht.

Jim: Carls poetische Beschreibung bringt mich jetzt ein wenig in Verlegenheit, gebe ich zu. Die Philosophie und ursprüngliche Idee hinter Weltschmerz mag zwar meine gewesen sein, aber ich denke, wir schmelzen beide darin zusammen, in einer Symbiose unserer kreativen Energie. Ich mag zwar in der kreativen Direktion etwas bestimmter sein, aber erfrische mich immer wieder an Carls Nonchalance, Spontanität und vor allem seiner Authentizität.

Carl: Wir sind noch recht früh in unserer Entwicklung und wollen mit unseren Kollaborationen versuchen ein Netzwerk aufzubauen, um der Idee des Weltschmerz Studios nachzukommen. Wir sind keine geschlossene Gesellschaft, sondern eine offene Plattform für diejenigen, die sich mit dem Weltschmerz identifizieren können und dazu eine große Packung an Kreativität, Spontanität und Leidenschaft für ästhetische Fragen mitbringen. Aufregend finden wir junge, talentierte Südtiroler (wie Maximilian Mair und Johanna Strachwitz), die sich für Mode, Design, Film und Photography interessieren, die die Nostalgie in ihren Knochen spüren, den Minimalismus nicht nur in der Musik wiederfinden, die den globalen Fragen auf der Spur sind und auch die, die das Ländliche und Städtische kritisieren wollen.

Jim: Ich denke, was uns vereint, ist der Drang zu kreieren, der Drang dazu unseren Stempel zu hinterlassen, unsere Ideen und Gedanken durch Kunst und Design zu repräsentieren, ohne unsere „Seele zu verkaufen“. Das passiert nämlich sehr oft, vor allem bei jungen Künstlern, die versuchen mit ihrer Kunst ihr tägliches Brot zu verdienen. Das heißt jetzt nicht, dass das gezwungenermaßen super schlecht ist. Man läuft aber Gefahr, dass man seine Kunst irgendwann nicht mehr aus dem Grund macht, der einen eigentlich erfüllt und Spaß macht. Jeder muss schauen, wie er sein Geld verdient, und viele blühen erst recht dabei auf! Aber bei unserem Kollektiv sollen kommerzielle Aufträge nicht der Hauptfokus sein. Weltschmerz ist unser Spielplatz, wo wir unseren Passionen freien Lauf lassen können und mit anderen kollaborieren, um zu schaffen. Das schließt Aufträge generell nicht aus, aber lässt uns eine gewisse Expressionsfreiheit. Zum Thema Passion hat übrigens unser guter Freund Daniel Eggert kürzlich ein sehr inspirierendes Video veröffentlicht, in dem er über die letzten zehn Jahre des Filmemachens reflektiert.Weltschmerz Studio/Carl von PfeilWelche Rolle spielt Geschlecht in eurer Kunst?

Jim: Also aktiv spielt das Thema Geschlecht eine recht kleine Rolle in unserer Kunst. Geschlecht und Geschlechterrollen werden heutzutage zum Glück immer mehr thematisiert und es herrscht eine rege Konversation darüber, was mich natürlich freut. Ich für meinen Teil adressiere diese Thematiken aber nicht unbedingt direkt, sondern versuche eher universelle Akzeptanz als Normalität zu leben und Ignoranz wiederum als außerhalb der Norm. Ich finde, es gibt so viele Dinge, vor allem zu diesen Themen von Geschlechtern und Geschlechterrollen, die normalisiert werden sollen und als gleichwertig angesehen werden sollten. Akzeptanz zu leben, zuzuhören und andere auf Augenhöhe zu sehen ist aus meiner Sicht stärker als alles andere.

Carl: Gender-Bewegungen sind meistens sehr laut und aufregend und ich bin glücklich, dass es sie gibt, denn sie sind wütend und lachen zugleich, sie sind provokativ und duldend zugleich, sie sind erotisch und sanft zu gleich. Man könnte sagen, dass wir noch ein leiser Ruf im Getümmel sind, aber Elefanten hört man auch nicht kommen. Weltschmerz ist frei von geschlechtlichen Kategorien und Vorurteilen und wir arbeiten gerne mit Leuten zusammen, die einfach so sind wie sie sind.

Welcher Weltschmerz beschäftigt euch aktuell?

Carl: Durch die aktuelle überschwemmende Situation des Corona-Virus und seiner Tentakel sind wir täglich mit essentiellen Fragen unseres Daseins beschäftigt. Wohin zieht es den Strom der Jugend? Bleiben Städte die Hauptsitze der Kreativen? Kehren wir schon früher wieder in unsere Heimaten zurück, wollen wir noch studieren oder gleich aufs Land ziehen? Wo versteckt sich das Glück? Die Fragen sind so irreführend, doch bringen große neue Ideen hervor. Ich denke, das Umdenken hat schon vor der Pandemie angefangen und wurde jetzt wieder einmal bestätigt; die Verwirklichung eines erfolgreichen Lebens spiegelt sich in einer glücklichen Seele ab und nicht in den fiktiven Börsen des system-arrangierten Erfolges. Unsere Generation will nicht mehr mit verdienstorientierten Produzenten zusammenarbeiten, sondern von Personen und Teams umgeben sein, die einen Safe-Place schaffen, nicht wertend sind und gleichseitige Kommunikation schätzen.Weltschmerz Studio/Jim UnterwegerWas wünscht ihr euch für die Künstler*innen-Szene in Südtirol?

Jim: Für die Künstler*innen-Szene würde ich mir Offenheit, Mut und Zusammenhalt. Ich glaube, man sollte sich mehr zusammenschließen und einen regeren Austausch untereinander haben. Dies sollte natürlich auch durch Einrichtungen und Veranstaltungen unterstützt werden, wo die Gemeinde(n) mehr machen könnte(n), als Sachen zu verbieten und Steine in den Weg zu legen.

Carl: Wir wollen, dass die Südtiroler Szene auflebt, aufregender und lauter wird, dass mehr Unterstützungen für alternative Projekte zu Verfügung stehen, dass die Kaserne in Meran kein unbenutztes Millionen-Euro-Projekt wird, sondern ein soziales Mischpult von Künstlern*innen für Künstler*innen.

Next Project?

Next Project: Follow us @weltschmerz_studio

Fotos: (1) (c) Maximilian Mair, Pietro Savoi/Relatum Models, Styling: Weltschmerz Studio/Jim Unterweger, Hair: Mattia Andreoli; (2) (c) Weltschmerz Studio/Carl von Pfeil; (3) (c) Weltschmerz Studio/Jim Unterweger

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