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March 22, 2021

hello Johanna Ralser, be our host

Eva Rottensteiner

So bunt wie ihre Kostüme, so bunt ist auch ihre künstlerische Praxis. Johanna Ralser mischt als Kuratorin, Kostüm- und Bühnenbilddesignerin sowie als Performance-Künstlerin in mehreren Disziplinen mit. Die gebürtige Sterzingerin hat Bühnenbild und Kostümgestaltung in Graz studiert und als freischaffende Künstlerin an verschiedenen Produktionen mitgewirkt, unter anderen an der Oper Graz, der Philharmonie Luxemburg, dem Stadttheater Bregenz, der Viennale und dem Theater an der Wien. Für ihr Kostüm- und Maskenbild wurde sie 2019 mit dem Deutschen Musical Theater Preis ausgezeichnet. Außerdem hat sie für das Ensemble „Chromoson“ beim „Novalis Music and Art Festival“ in Zadar und beim „Transart Festival“ in Bozen Licht- und Rauminstallationen entwickelt. Aktuell studiert sie „Kulturen des Kuratorischen“ in Leipzig und ist Mitglied des feministischen Künstler*innenkollektivs „te wo tsunagou“, mit dem sie Performances in Österreich und Deutschland gemacht hat. 

Du kuratierst die zweiteilige Ausstellungsreihe „XENIA: hello stranger, be my host“ im Japanischen Palais in Dresden – die gerade online läuft – und „XENIA: hello stranger, be my host“, die im April im a&o Hostel in Dresden gezeigt wird. Worum geht’s?

In dieser Ausstellungsreihe – die ich gemeinsam mit meinen geschätzten Kolleg*innen Ewa Meister und Jeroen Cavents kuratiere – möchten wir mögliche Bedeutungen von „Gastlichkeit“ durch eine Dekontextualisierung von Kunst erforschen, indem wir diese ihrer, als natürlich wahrgenommenen „Behausung“ entheben und – im Kontrast zu unserer kuratorischen Intervention im Japanischen Palais – temporär in die Umgebung des Hostels transferieren. Es ist uns ein Anliegen, eine gewisse Parallelität zwischen dem Begriff der „Gastlichkeit“ und den Eigenschaften des Hotels/Hostels und dessen Gästezimmer zu zeichnen. Dabei sollen etwaige Verknüpfungspunkte zwischen diesen temporären (Raum)Situationen – die sich zwischen den Bereichen des Privaten und Öffentlichen bewegen – und Aspekte der Globalisierung oder (politischen + institutionellen) Definitionen eines vermeintlichen Innen und Außen sowie determinierende Körperpolitiken innerhalb öffentlicher Räume durch unterschiedlichste Beiträge zeitgenössischer Künstler*innen in den Hotelzimmern offengelegt und hinterfragt werden. Durch das individuelle Verhalten der Gäst*innen, die sich frei zwischen den verschiedenen Hostelzimmern bewegen, Türen hinter sich schließen und somit Grenzen zwischen Privatem und Öffentlichem verschieben, tragen diese selbst – vielleicht unbewusst – auf performative Weise zum Konzept dieses experimentellen Ausstellungsformats bei, indem sie zu Gastgeber*innen ihres eigenen, öffentlich-privaten Kunsterlebnisses werden.

Warum eigentlich über das Private und das Öffentliche nachdenken?

Der Charakter des Hotelzimmers unterliegt einem permanenten Prozess des Übergangs und Wandels, ein abwechselndes Pendeln zwischen Eigenschaften, die dem Privaten und dem Öffentlichen zugeschrieben werden. Kohärent mit jenem Zustand, in welchem sich dieses degenealogisierte Heim befindet, wandelt sich auch die Definition der Gäst*in zu jener der Gastgeber*in. Diese Annahme wiederum lässt darauf schließen, dass es sich bei den Kategorien des Privaten und Öffentlichen um Konstruktionen handelt, die als natürlich wahrgenommen werden und deren kontextuelle Bedeutungen jeweils hierarchischen Ordnungen unterliegen. Eine Infragestellung von „Konstruktionen“ wiederum ist eng verwoben mit der Annahme von Kategorien wie Geschlecht, Heteronormativität, Ethnizität oder Klasse. So können das Öffentliche und das Private nicht nur durch die von den Kategorien hervorgerufenen repressiven Setzungen und Grenzziehungen bedeutsam werden, sondern auch auf möglichen emanzipatorischen Gehalt untersucht werden, etwa durch das Verständnis des Privaten als politisch oder der Einbindung des sich im Öffentlichen und Privaten bewegenden, politischen Körpers. In einer derartigen Auseinandersetzung scheint es unumgänglich, individuelles – oder gemeinsames – Reflektieren und Diskutieren über eine mögliche Definition dessen, was nun mit dem Öffentlichen und Privaten gemeint sei, anzustoßen. Ist der öffentliche Raum eine verlässliche Repräsentation der Gesellschaft, als Ort des Konflikts, der Vielfalt und des Austauschs oder wird er primär durch wirtschaftliche Interessen definiert? Wo ist der private Raum angesiedelt und wie beeinflussen die digitalen Veränderungen unserer Zeit all jenes, was wir als privat und öffentlich erachte(te)n?

Im August kuratierst du gemeinsam mit Ewa Meister ein zweitägiges Festival in Leipzig mit dem Titel „DAS IST KEIN NIGHTCLUB“. Was erwartet uns?

Spätestens durch den pandemiebedingten Stillstand ist die Bedeutungsschwere sozialer und kultureller Räume erdrückend auffallend geworden. “DAS IST KEIN NIGHTCLUB” erforscht die Potenziale transdisziplinärer, kultureller Praxis und lotet die Grenzen zweier zunächst sehr unterschiedlich anmutender sozial-kultureller Räume in ihrer Symbiose neu aus. Die Nacht wird dafür in den Tag geholt – der Nightclub in den Ausstellungsraum transferiert. Dabei soll der Zauber des Nightclubs in seiner Existenz in der Dunkelheit ungebrochen bleiben, aber die niedrigschwellige Zugänglichkeit sowie die gelebte Inklusion, der Raum für Begegnung und die Lust am Experimentieren, sollen die gewohnten Kunstkontexte bereichern. Der Nightclub als Environment, in welchem Diversität, Akzeptanz und Gleichberechtigung als einschlägige Werte gelebt werden wollen, wird hiermit beispielhaft als eine erstrebenswerte Permanenz aufgezeigt, die in Kunstkontexte hineingetragen werden soll. Der Nightclub wird für dieses Projekt zwei Tage lang installativ in den „white cube“ einziehen und mit ihm eine Radiostation, welche es Künstler*innen unterschiedlichster disziplinärer Herkünfte, DJ*anes und Sprecher*innen unter dem Schirm „social change“ ermöglichen wird, innerhalb des gestalteten Raumes, aber auch außerhalb durch diverse technische Endgeräte wahrgenommen zu werden. Es soll ein temporärer „learning space“ geschaffen werden, in dem mit gewohnten kulturellen Formaten gebrochen wird und dadurch transdisziplinäre, künstlerische sowie wissenschaftliche Ansätze erprobt werden können, herkömmliche Wissensvermittlung hinterfragt wird und die Grenzen unterschiedlicher Disziplinen tanzend zerfließen. Um die Nachhaltigkeit der Beiträge zu sichern, planen wir zusätzlich zur Live-Übertragung im Radio einen Podcast, der online jederzeit verfügbar und somit konsumierbar gemacht werden soll.

Du bist auch Bühnen- und Kostümbildnerin. Welche Kostüme, die du geschaffen hast, lagen dir besonders am Herzen?

So wie sich jedes neue Projekt vom vorhergehenden unterscheidet, neue Lösungsansätze verlangt und andere Herausforderungen mit sich bringt, entwickle auch ich individuelle Beziehungen zu den unterschiedlichen Arbeiten, die wiederum stark von dem jeweiligen Projekt-Team – und speziell von den Schauspielenden, die meine Kreationen tragen – beeinflusst werden. Da sehr viel Liebe, Mühe sowie (Experimentier-)Freude am Detail und den unterschiedlichsten Materialien in all meine Kostümentwürfe fließen – die ich sehr häufig selbst beispielsweise mit Farbe patiniere, übermale oder verfremde – möchte ich an dieser Stelle die Worte einer diplomatischen Schöpferin wählen, wenn ich sage: Sie sind mir alle gleich lieb.

Wenn man „te wo tsunagou“ auf Youtube sucht, stößt man auf ein japanisches Musikvideo (Google Translate übersetzt: „Lass uns Händchen halten“). Eure Inspiration für das Performance-Kollektiv? Worum geht’s bei euch?

In den Clubbing-Performances von „te wo tsunagou“ setzen wir uns als feministisches Künstler*innenkollektiv mit (De-)Konstruktionen von stereotypen Rollenbildern, Sexualität und Macht auseinander. Dabei verfolgen wir transkulturelles, gemeinschaftliches Erfahren im Club-Setting als Forschungsmotiv und als interventionistische Methodik, um einem bestehenden männlichen, weißen Kanon entgegenzutreten. Keine Herzen, sondern hegemoniale Konzepte werden hier bei rhythmischen Körperübungen gebrochen und gendergekoppelte Hierarchien zu aphrodisierenden J-Pop-Klängen gestürzt, bis wir alle nach einem Händchen zum Halten greifen – egal, wie dieses sozialisiert wurde.

Wo lässt du dich für neue Projekte inspirieren?

Die Frage wäre eher, was mich nicht inspiriert …

Und was inspiriert dich nicht?

Jegliche Form der Diskriminierung in all ihren Facetten.

 

Credits: Helene Payrhuber

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