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March 18, 2021

Stinkefinger auf christliche und patriarchale Traditionen: Valeria Stuflesser

Eva Rottensteiner

Valeria Stuflesser hat sich einiges vorgenommen. Sie kritisiert, was Südtirol fast so heilig ist, wie die Figuren, die daraus entstehen: die Grödner Bildhauer*innenszene. Warum? Weil ihr die Kritik an aktuellen Thematiken wie Patriarchat, Klimakrise und Kolonialismus fehlt. Wenn sie mal nicht gerade „gegen die Vätergeneration“ rebelliert, schnitzt und formt sie selber. Ihre gesellschaftskritischen Skulpturen hat sie schon in mehreren Gruppenausstellungen in Deutschland, Ecuador und Gröden ausgestellt. Aktuell schließt sie ihr Studium der Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg ab. Mit einer lebensgroßen blauen Skulptur, frischen Ansätzen für eine kritischere, zeitgenössische (Grödner) Bildhauerei und einem Stinkefinger für die christliche und patriarchale Tradition.

Wie bist du eigentlich zur Bildhauerin geworden? Ist dir das in deine Grödner Wiege gelegt worden?

Die Tradition kann ich nicht leugnen. Ich habe die Kunstschule besucht und wollte zuerst nicht in den ökonomisch prekären oder den elitären Kunstbetrieb. Also habe ich Klavier am Konservatorium angefangen und war schnell unglücklich, weil man immer den Komponist*innen gerecht werden muss. In der Kunst hingegen kann ich meine eigenen Bilder erschaffen.

Fühlst du dich manchmal an die Grödner Tradition gebunden?

Man kann eine Tradition oder Heimat nie ganz verlassen. Immer wenn ich versucht habe, meine Wurzeln auszublenden, waren sie trotzdem noch sichtbar. Mein Professor hat mir zum Glück gesagt, ich müsse mich nicht komplett davon abgrenzen. Wenn ich mir etwas Anderes aneigne, passt das nicht immer zu mir. Ich kann auch mit dem Grödner Blickwinkel kritisch sehen. Die Tradition, an die ich gebunden bin, ist nicht nur die Tradition der Grödner Bildhauer*innen, sondern auch eine christliche und eine patriarchale. Genau darauf gibt es den Stinkefinger. Valeria Stuflesser (c)

Zu deiner Skulptur „An eine Tradition gebunden“ schreibst du auf Instagram: „What it means to be born in Val Gardena and what it means to be a woman in patriarchal society…“

Die Skulptur soll auch aussehen wie eine Madonna, an diese Tradition bin ich gebunden. Ich habe das abstrakt gehalten, sodass man in der Figur auch eine Vulva erkennen kann. Die Gewülste können auch Finger darstellen und ein Finger, der Mittelfinger, stellt eine Madonna mit einer Vulva dar. Die Skulptur will die christliche Tradition der Madonna als unbefleckte Jungfrau thematisieren. Schon in den Ursprüngen des Feminismus wurde die Funktion der Frau als Reproduktionsmaschine infrage gestellt, weil diese nun erstmals auch durch Labortätigkeiten übernommen werden konnte. Die Medizin und die Biotechnologie haben dazu verholfen, dass die Frau nicht mehr Gebärende sein muss und Reproduktion das Weibliche und das Sexuelle verlassen kann. Das fügt sich mit der Figur der Maria als erste Feministin, die keinen Mann braucht, um sich zu reproduzieren. 

Du bereitest aktuell deine Diplomausstellung vor. Worum geht’s?

Die Installation ist ein Sammelsurium verschiedener Figuren und soll wie eine Mystifizierung deren Zusammenhalt in einem Komplex verdeutlichen. Jede Figur will eine bestimmte Gerechtigkeit herbeiführen. Die Gleichstellung geschieht durch die Auflösung in Gegensätzen. Im Projekt werden zwei Arbeitsweisen vereint: abstrakt und figurativ. Geprägt von meinen Eindrücken während meines Auslandssemesters in Ecuador habe ich mehr figurative Skulpturen geschaffen. Dabei ist eine kleine Figur entstanden, ein Baby, das auch an ein Jesuskind erinnert und Scham und Schutzbedürftigkeit ausdrückt. Hinter dem Rücken hält es einen Stein, der Instinkt des Zerstörerischen. Das ist eine Anspielung auf die Auswirkungen der Kolonisation in Ländern wie Ecuador.

Die große blaue Figur in der Mitte nimmt wie eine Sphinx eine beschützende Rolle ein. Sie hat auch etwas Animalisches und Technisches an sich. Und sie stellt eine junge Frau dar, die aufsteht und ihren Platz einnimmt. Jugendlichkeit verdeutlicht auch den Blick in die Zukunft. Die Figur ist angelehnt an Legacy Russells „Glitch Feminism“, wonach wir im Internet unsere Avatare konstruieren, die daran arbeiten, die Normschönheit zu zerschneiden.

Valeria Stuflesser (c) Stuflesser

Und warum ist die Figur blau?

Damit beziehe ich mich auf den Bluescreen, der im Film genutzt wird, um nachträglich einzufügen, was in der Realität nicht ist. Ich projiziere das auf einen weiblichen jungen Körper, um zu zeigen, was auf diesem Feld alles möglich ist und wie sich das im Internet zeigt. Gleichzeitig ist es ein Spiel von Vordergrund und Hintergrund, wobei das Hintergründige zum Vordergrund wird.

In Form einer Kunstrezension in der Neuen Südtiroler Tageszeitung hast du im Jänner 2021 die Kunst des Grödner Bildhauers Bruno Walpoth in die Mängel genommen. In die Grödner Fußstapfen willst du wohl eher nicht treten, oder?

Man muss unterscheiden, was man mitnehmen möchte und was man lieber sein lässt. Die Grödner Technik ist eine gute handwerkliche Basis und es gibt sonst weit und breit kein so großes Bündel an Künstler*innen, die mit Holz arbeiten. Was die figurative Skulptur angeht, gibt es in Gröden sehr gute Bildhauer*innen. Bei manchen fehlt aber der thematische Unterbau, also der Kontext oder die Idee, was man damit kommunizieren möchte. Will man nur eine reale Figur darstellen, die man mit neuen Technologien auch scannen und drucken könnte? Viele Bildhauer*innen wollen diese Tradition nicht aufgeben. Ich frage mich aber, wie man die Tradition der Figur mit dem Kontext verbinden könnte, um zur Reflexion anzuregen.

Du zählst in deiner Kritik aktuelle Themen wie Patriarchat, Antikolonisation und ökologische Krise auf. Fehlen diese in der Südtiroler Bildhauerei?

In der Kunstszene allgemein passiert vielfach eine Ästhetisierung. Man will nicht anecken und spricht manches nicht an. Wenn man sich allein auf die Form konzentriert, geht man der Thematik aus dem Weg. Ich verstehe einerseits, dass Künstler*innen schöne Werke produzieren, um diese verkaufen zu können. Das Schöne wird ihr Erkennungsmerkmal, was das eigentliche Problem ist. Dadurch fixiert man sich auf ein Publikum und eine Ideologie. Das Thema der Ausstellung, die ich kritisiert habe, ist „Veränderungen“. Warum aber sucht sich ein Kurator genau jene Bildhauer*innen aus, deren Kunst so festgefahren ist, dass sie keine Veränderung vorantreiben können und nicht mal eine Pandemie diese so aus dem Konzept bringen kann. Der Künstler Thomas Sterna hat zu mir gesagt, dass es in Südtirol eine Angst gebe, einen Skandal wie jener von Kippenbergers Frosch hervorzubringen, der das Publikum gegen einen aufbringt. Deswegen reduzieren sich Südtiroler Künstler*innen vielfach auf eine ästhetische Darstellung. Doch Kunst soll wachrütteln und Veränderung anstoßen, nicht Kleinbürgerliches reproduzieren.

Was war das Feedback auf deine Kritik?

Der Künstler hat den Fehler erkannt, wollte aber seine Ehre schützen und hat sich damit eigentlich in nur noch größere Schwierigkeiten begeben. Die Kritik, die er mir gegenüber äußerte, war nicht nur frauenfeindlich. Ich wurde nicht dafür bewertet, was ich gemacht habe (meine Kunstrezension), sondern was ich bin: eine junge Studentin, die noch nicht mal ihr Studium abgeschlossen habe und deswegen die Kunst noch nicht begreifen könne. Zu guter Letzt war die Bemerkung, dass ich doch eine ziemlich konservative Sicht der Welt haben müsse, wenn ich in dieser Setzung die Frau als objektiviert und als Accessoire für die Kunst sehe. Wer meine Kritik jedoch richtig liest, dem wird klar, dass ich nicht seine Person angreife, sondern diese spezifische Konstellation.Valeria Stuflesser (c) Josefa Schunda

Ist es nicht auch legitim, zu produzieren, was gern gekauft wird, wenn man als Künstler*in von der Kunst leben muss?

Klar, die ökonomische Basis ist bei provokativ arbeitenden Künstler*innen ein Desaster und dem finanziellen Druck zu verfallen ist eine logische Folgerung. Bildhauer*innen in Gröden haben bisher mit Heiligenfiguren ihr Geld verdient, was in den letzten Jahren drastisch zurückgegangen ist. Wenn sie keine Heiligenfiguren mehr verkaufen können, finden sie andere Formen. Das gab es schon immer. Vor den Heiligenfiguren haben die Bildhauerfamilien Spielzeug hergestellt. Dass man jetzt übergeht zu einer ästhetischen Figur, wie beispielsweise ein nackter weiblicher Körper, zeigt sich im gesamten Kunstmarkt.

Photo Credits: (1 ) Back to business, Styropor 240 x 165 x 225 cm, (c) Valeria Stuflesser; (2) An eine Tradition gebunden, Zedernholz 60 x 49 x 27 cm, (c) Valeria Stuflesser; (3) Instinto humano, Feigenholz 37 x 11 x 11 cm, (c) Valeria Stuflesser; (4) Valeria Stuflesser (c) Josefa Schundau

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