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March 6, 2021

Teil 2: 10_Marie-Luisa Frick – Wir hängen da jetzt drin und es wird noch lange dauern

Susanne Barta

Dieses Projekt ist aus einem Gespräch mit meiner sehr geschätzten Künstlerin-Freundin Gabriela Oberkofler entstanden. Es sind Momentaufnahmen aus dem Corona-Alltag von Menschen, die mir in dieser Zeit in den Sinn gekommen sind und die aus unterschiedlichen Perspektiven beschreiben, was sie beobachten. Teil 1 wurde von März bis Mai 2020 aufgezeichnet. Fast ein Jahr später bestimmt Corona unseren Alltag nach wie vor und wird das wohl noch länger tun. Was hat sich verändert? Welche Beobachtungen und Erfahrungen sind dazu gekommen? Eine zweite Momentaufnahme geht diesen Fragen nach. Begleitet werden die Lockdown Aufzeichnungen von Gabrielas Zeichnungen und einem Mut machenden Zitat des Soziologen Harald Welzer.

Marie-Luisa Frick hat Philosophie und Rechtswissenschaften studiert. Die Assoziierte Professorin am Institut für Philosophie der Universität Innsbruck ist in Lienz aufgewachsen und forscht und lehrt zu Rechtsphilosophie, Sozialphilosophie, Politischer Philosophie, Ethik und Religionsphilosophie. Vor kurzem erschien bei Reclam ihr neues Buch „Mutig denken. Aufklärung als offener Prozess“.

Marie-Luisa Frick Foto_1

Aufgezeichnet am 26. Februar 2021

Schon vor einem Jahr war absehbar, dass diese Krise länger dauern könnte. Aber zu verstehen, was das bedeutet, ist wohl weder mir noch vielen anderen gelungen, da uns der Erfahrungshorizont einer solchen Pandemie fehlt. Ich dachte mir, es werden vielleicht schon bald Medikamente kommen, dachte auch, dass man durch bestimmte Hygiene-Maßnahmen ein bisschen besser mit dem Virus leben kann. Inzwischen ist dieses „mit dem Virus leben“ eigentlich zynisch, es sind zu viele Menschen gestorben, um diesem Motto noch irgendetwas abgewinnen zu können. Wir müssen dieses Virus bekämpfen und zurückdrängen, so gut es geht. Leider ist das bis jetzt in vielen Ländern schlecht gelungen. Daher geht es mir wie den meisten Menschen, ich bin ernüchtert und mache mir auch keine Illusionen über unseren Zustand. Die Folgen, die in den Jahren nach der Pandemie auf uns zukommen, die wirtschaftlich und gesellschaftlich jetzt noch gar nicht spürbar sind, werden verheerend sein. Wenn man hier von Tirol, von Innsbruck aus schaut, was die Pandemie mit dieser Stadt, mit diesem Land gemacht hat, dann ist das traurig mitanzusehen. Die Universität hat knapp 28.000 Studierende, nur mehr die Hälfte ist in der Stadt, wir haben viel von dem verloren, was eine Universitätsstadt ausmacht. Und es wird morgen ja nicht mit einem Fingerschnipp besser, das sind strukturelle, tiefe Einschnitte, die zu den medizinischen Folgen, zu den Todesfällen der Pandemie noch dazu kommen. Und diese Folgen sind wahrscheinlich noch viel schlimmer. Aber wir hängen da jetzt drin und es wird noch lange dauern.Marie-Luisa Frick Foto_2

Ich hätte mir gewünscht, dass auf politischer, auf europäischer Ebene Zeichen eines Lernprozesses sichtbar werden. Leider sehe ich diese Anzeichen überhaupt nicht. Die Staaten der Europäischen Union verständigen sich bis auf Weiteres nicht auf gemeinsame Maßnahmen und Politiken, nach wie vor gibt es ein Gegeneinander und ein Durcheinander. Die Philosophin denkt sich, „eigentlich gibt es viele kompetente Leute in vielen mächtigen Positionen, die müssten doch mehr zusammenbringen“. Aber dann steht die Philosophin ganz dumm vor der Wand und merkt, „nein, es gibt einfach viel Inkompetenz und Ignoranz“. Und eigentlich will man als Philosophin gar nicht so vorlaut sein und sagen „ich weiß es besser oder ich hätte es besser gewusst“. Aber es fällt mir schwer, noch Respekt zu haben vor den Autoritäten – politischer aber auch epistemischer Art –, auch gegenüber dem medialen Diskurs. Es fällt mir zunehmend schwerer, Vertrauen aufzubringen, dass wir hier in guten Händen sind, in den Händen einer guten Steuer-Truppe. Als Mensch, der breit denkt, der Probleme aus verschiedenen Perspektiven gelernt hat anzuvisieren, habe ich Zweifel, dass die Kompetenz in relevanten Funktionen da ist, um das zu tun, was zu tun ist, nämlich in kurzer Zeit Probleme zu analysieren und in alternativen Möglichkeiten Lösungsvorschläge zu evaluieren. Was ist da schiefgelaufen? Warum sind an so entscheidenden Schnittstellen von Politik und Gesellschaft offenbar nicht die richtigen Leute dorthin gekommen? Was hat das Bildungssystem da falsch gemacht? Wie müssen wir zukünftige Eliten vorbereiten auf das, was vielleicht über sie herein bricht an Katastrophen? Ich glaube, die gesamte Gesellschaft muss sich fragen, wie wir uns besser aufstellen können. Auch wenn wir nach China blicken, zu einem Land, das mit uns durchaus in einem systemischen Konkurrenzverhältnis steht und wo man sagen und zeigen will, dass der Westen versagt hat, weil er zu viel Demokratie und Freiheit gewährt. Da müssen wir uns schon selbstkritisch fragen, ob unser System hier Schwächen hat? Ich bin für Demokratie aus Überzeugung, ich bin für Freiheiten und Rechte aus Überzeugung, aber wir sehen jetzt auch die Grenzen dieser Überzeugungen. Sie müssen sich ja praktisch bewähren und ich bin skeptisch, ob wir da schon am Ende unserer Weisheit angelangt sind. 

Ich glaube, viele Menschen waren am Anfang bereit, Einschränkungen für andere mitzutragen. Aber uns ist das Ziel aus den Augen geraten und ohne Ziel lassen sich keine Maßnahmen und Mittel mehr rechtfertigen. Die Leute müssen wissen, warum sie Opfer bringen. Hier möchte ich ein großes Lob an die Jugend aussprechen. Die jungen Erwachsenen vergisst man so oft, sie haben keine Lobby, kaum jemand hört, was sie brauchen und dabei sind sie besonders betroffen. Dass viele Studierende über Monate auf Geselligkeit und Partys verzichten, auch auf ungezwungene Sexualkontakte beim Ausgehen, das ist unglaublich. Diese Selbstzurücknahme der jungen Menschen, in einer Lebenszeit, wo man viele Erfahrungen nicht mehr nachholen kann, ist nicht zu unterschätzen. An der Bereitschaft zu verzichten fehlte es also nicht, ich sehe das Problem eher darin, dass man den Menschen nicht den reinen Wein eingeschenkt hat, wie langfristig der Kampf gegen dieses Virus sein wird. 

Ziele muss man abhängig davon formulieren, was überhaupt machbar ist und im Laufe des letzten Jahres hat sich gezeigt, dass sich diese Ziele auch verschieben können. Am Anfang hätte das Ziel sein müssen, dieses Virus in Europa völlig auszumerzen. Das war nicht mehr möglich, da es zu spät angegangen wurde. Als sich dann zeigte, dass man durch gewisse Shutdowns das Virus drastisch zurückdrängen kann, hätte es das Ziel sein können, das europaweit konsequent durchzuziehen statt zu öffnen, dafür hätte man wohl auf den Sommerurlaub und Reisefreiheit verzichten müssen. Das heißt, man muss die Ziele immer wieder anpassen und das auch kommunizieren. Wir haben jetzt die diffuse Situation, dass wir gar nicht wissen, was das Ziel der aktuellen Einschränkungen ist. Warten bis die Impfungen greifen, kann nicht mehr das Ziel sein, denn die europäische Impfkampagne ist verschlafen und verbockt. Ich glaube, die Menschen fragen sich zurecht, was bringt das, was soll das?Marie-Luisa Frick Foto_3

Auf das Zitat von Harald Welzer sage ich als Philosophin – das gehört zur professionellen Deformation – die Welt ist zum Verstehen da. Mir geht’s darum zu verstehen, was passiert. Ob das Leben oder die Welt dann zu ertragen sind, das hängt von individuellen Kontexten und Befindlichkeiten ab. Und was ich glaube zu verstehen, ist, wie Gesellschaften funktionieren, dass sie klare Führungen in Krisenzeiten brauchen und wie verheerend es ist, wenn klare Führung fehlt. Besonders deutlich sieht man das an einigen Ländern außerhalb Europas. Unglaublich, wie manche Politiker diese Pandemie völlig ignorieren wollten, wie in Brasilien und zunächst in den USA. Das Schockierende ist für mich, dass so etwas überhaupt möglich ist, dass Lüge im Politischen so unmaskiert funktioniert. Vielen ist heute auch viel bewusster, wie verletzlich manche hochentwickelten Gesellschaften sind und wie angewiesen wir aufeinander sind, auch darauf, dass Menschen und Waren frei verkehren können, dass der vielgescholtene Tourismus ein so wichtiger Wirtschaftskreislauf ist, nicht nur für uns, sondern auch für viele Länder des globalen Südens. Die Zusammenhänge verstehen, das glaube ich, ist die Herausforderung der Zukunft. Und diese Kreisläufe des Wirtschaftens und Zusammenlebens zu schützen und resilienter machen. Ich hoffe, dass doch irgendwer Lehren ziehen wird, die nicht vergessen werden. 

Wir leben nun in einer Epoche, wo es nicht darum geht, von Tag zu Tag ins eigene Glück hineinzuleben. Was vorher so selbstverständlich war, dieses gemütliche, entspannte und zum Teil sorgenfreie Leben zu leben, das steht mir im Nachhinein deutlich vor Augen und hat bei mir schon Nachdenkprozesse ausgelöst. Auch solidarisch zu sein mit Menschen, die diese Krise besonders hart trifft, da sehe ich bei vielen einen Lernprozess. 

Zeichnung: Gabriela Oberkofler
Fotos: © Marie-Luisa Frick 

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