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February 28, 2021

Teil 2: 9_Birgit Gostner – Wenn man will,
geht viel

Susanne Barta

 Dieses Projekt ist aus einem Gespräch mit meiner sehr geschätzten Künstlerin-Freundin Gabriela Oberkofler entstanden. Es sind Momentaufnahmen aus dem Corona-Alltag von Menschen, die mir in dieser Zeit in den Sinn gekommen sind und die aus unterschiedlichen Perspektiven beschreiben, was sie beobachten. Teil 1 wurde von März bis Mai 2020 aufgezeichnet. Fast ein Jahr später bestimmt Corona unseren Alltag nach wie vor und wird das wohl noch länger tun. Was hat sich verändert? Welche Beobachtungen und Erfahrungen sind dazu gekommen? Eine zweite Momentaufnahme geht diesen Fragen nach. Begleitet werden die Lockdown Aufzeichnungen von Gabrielas Zeichnungen und einem Mut machenden Zitat des Soziologen Harald Welzer.

Birgit Gostner ist seit 2014 Verwaltungsleiterin der Obstgenossenschaft Laurin (ehemalige Zwölfmalgreien). Sie hat Betriebswirtschaft an der Leopold-Franzens-Universität in Innsbruck studiert, mit Schwerpunkt Personalwirtschaft und Unternehmensführung.Birgit Gostner Foto_1

Aufgezeichnet am 23. Februar 2021

Mittlerweile beobachte ich, dass sich doch einige Leute ziemlich unverantwortlich verhalten. Egoismus macht sich breit, der respektvolle Umgang miteinander leidet, im ersten Lockdown war das anders. Ich glaube, es wird vergessen, dass man die Opfer, nicht nur für sich selber bringt, sondern vor allem für die Menschen, die man gerne hat, und für die wirklich Schwachen in unserer Gesellschaft. Die Leute sind müde, haben wenig Energie und vergessen das. In meinem kleinen Umfeld – Betrieb, Familie, Freunde – sehe ich das weniger. Mich schockieren aber zum Beispiel die zunehmenden Protestkundgebungen. Natürlich ist es eine schwierige Zeit, die Krise dauert schon lange an. Manche kommen damit besser zurecht als andere. Ich beobachte auch zunehmende Frustration und Hass gegenüber der Politik und deren Entscheidungen. Ich glaube, viele Menschen fühlen sich alleine gelassen von der Politik. Aber Rebellion hilft uns nicht weiter.Birgit Gostner Foto_2

Corona hat für mich auch Positives bewirkt. Ich schätze so manches, was ich vorher gar nicht wahrgenommen habe, und bin für kleine Sachen dankbar. Zum Beispiel für eine kleines Geschäft, an dem ich täglich vorbeifahre, das lokale Produkte anbietet. Früher ist mir das gar nicht aufgefallen. Ich bin dankbar, dass mich mein Metzger beliefert, ich schreibe ihm eine WhatsApp und er bringt mir das Gewünschte. Auch meinem Nachbarn bin ich dankbar für die Bio-Eier, die ich von ihm bekomme. Zumindest in meinem Umfeld haben Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit zugenommen. Zugenommen hat auch die Flexibilität. Wenn ich mich in meiner Arbeitsumgebung umschaue, sind mittlerweile Sachen möglich, die noch vor einem Jahr unmöglich gewesen wären. Corona hat den Pause-Knopf gedrückt. Zunächst waren alle geschockt, weil es so plötzlich kam, aber wir haben gelernt, damit zu leben, und gesehen, wie anpassungsfähig und flexibel wir sein können.

Heute fällt mir auf, wie schnelllebig unsere Zeit vor Corona war. Urlaub, Familie, Freizeit, alles war durchgeplant. Ich frage mich auch, wie ich das alles unter einen Hut gebracht habe: den ganzen Tag arbeiten, schnell einkaufen, Kinder, Haushalt, Freizeit, Freunde. Der Stress hat abgenommen, heute spüre ich mehr Ruhe und Gelassenheit.

Birgit Gostner Foto_3

Auch hat die Krise in einigen Bereichen viel mehr Kreativität gebracht. Wenn ich mir Firmen anschaue, vor allem kleinere, die ganz schnell reagiert haben und mit neuen Produkten und Lösungen gekommen sind. Wir haben gesehen, wenn man will, geht viel. 

Wir hatten das Glück, dass wir während der ganzen Krise arbeiten konnten. Vielen anderen ist es schlechter ergangen. Aber auch diese Zeit geht vorüber und man sollte sich die Zukunft nicht verbauen, indem man sie nur negativ sieht. Es bringt auch nichts. Meistern können wir das nur zusammen. Im Betrieb haben wir Homeoffice eingeführt, wo es möglich und wichtig war. Die Vereinbarkeit zwischen Familie und Beruf war schon vor Corona schwierig, jetzt ist die Situation noch schwieriger. Neben der Arbeit auch noch die Kinder zu unterrichten ist eine große Herausforderung. Auch soziale Isolation ist ein Thema. Viele fühlen sich zuhause wie „weg vom Fenster“. Büro ist einfach anders, man ist mitten im Geschehen. Homeoffice geht für eine bestimmte Zeit, aber alle freuen sich, wenn sie wieder ins Büro zurückkommen können.Birgit Gostner Foto_4

Schwierig ist diese Zeit auch für Jugendliche. So etwas wünscht man keinem jungen Menschen. Meine ältere Tochter Anna studiert in Innsbruck, meine Tochter Lena ist 16 und im Homeschooling. Der Präsenzunterricht war minimal in diesem Schuljahr, aber ich habe den Eindruck, dass das digitale Lernen funktioniert. Beide haben gelernt, mit der Situation umzugehen, sie meckern nicht und machen das Beste draus. Die digitalen Medien ermöglichen wirklich viel. Zu meiner Schulzeit wäre das eine Katastrophe gewesen, wir hätten nichts gehabt und wären komplett abgeschlossen gewesen vom Rest der Welt. Natürlich fehlt die Nähe zu Freunden. Wir sperren unsere Kinder aber nicht ein, sie treffen sich mit zwei, drei Freunden, das ist wichtig. Sie akzeptieren die Einschränkungen, verzichten auf Vieles und konzentrieren sich auf ganz wenige Freunde. Es ist wichtig, diese Kontakte weiter zu pflegen, alles abzubrechen tut der Seele nicht gut. 

Vor kurzem habe ich ein Sprüche-Kärtchen in die Hände bekommen, darauf stand: „Das Leben ist manchmal nicht meine Party, aber nachdem ich schon eingeladen bin, werde ich auf der Party auch mittanzen.“ Das hat mir sehr gut gefallen. Hier geht’s wieder darum, das Beste daraus zu machen. Man kann Veränderungen mitgestalten, wenn man mitmacht und daran arbeitet. Kritisieren allein reicht nicht.Birgit Gostner Foto_5 

Fotos: Birgit Gostner

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