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February 24, 2021

„Die Zukunft ist nicht so finster, wie wir dachten“ – David Attenborough

Susanne Barta

Vor einiger Zeit habe ich mir die Netflix-Dokumentation „A Life on Our Planet” von David Attenborough angeschaut. Ein informativer und sehr berührender Film, in dem der große Naturforscher über sein Leben auf unserem Planeten Zeugnis ablegt, was er gesehen hat, was sich verändert und was es zu tun gibt. Er erzählt eindringlich, elegant, mitunter sanft und immer klar. Wir werden endlich lernen müssen mit der Natur zu leben, nicht gegen sie, sagt er. Denn einer Sache ist sich der über 90-Jährige sicher: „Es geht nicht darum, unseren Planeten zu retten, es geht darum, uns selbst zu retten.“ Die Natur werde sich wieder erholen, sie wird fortbestehen, davon könnten wir Menschen jedoch nicht einfach ausgehen.

Ende Januar fand das Weltwirtschaftsforum in Davos statt, heuer das erste Mal digital. In einem der Newsletter habe ich mich weiter geklickt zu einem interessanten Artikel über den Klimawandel. Das vergangene Jahr brach, wie es aussieht, alle Umweltrekorde, wohlgemerkt der negativen Art. Trotz weltweiter Lockdowns. Eine Höchsttemperatur von 38 °C wurde innerhalb des Polarkreises gemessen, Waldbrände im Amazonasgebiet, die sich auf das Pantanal, das größte tropische Feuchtgebiet der Welt, ausbreiteten und eine verheerende Dürre verursachten, es gab Überschwemmungen historischen Ausmaßes entlang des Jangtse, 63 Millionen Menschen sind davon betroffen, Brände in Kalifornien, eine Rekordzahl an atlantischen Hurrikanen, die an Land gingen und, und, und.unsplash Foto_2

Die Modeindustrie trägt, wie wir wissen, durch ihre CO2-Emisionen beträchtlich zum Klimawandel bei. Die im August 2020 veröffentliche Studie „Fashion on Climate“ von McKinsey und der Non-Profit-Organisation Global Fashion Agenda kommt zu Ergebnissen, die man nicht ignorieren sollte. Die Studie analysiert die aktuellen CO2-Emissionen der Modeindustrie sowie Wege, den Ausstoß bis 2030 stärker zu senken. Gleichzeitig beziffert sie die Kosten einer Emissionssenkung. Derzeit gelinge es der Branche nicht, so die Studie, diese Emissionen weit genug zu reduzieren, um das vom Weltklimarat festgelegte 1,5-Grad-Ziel bis 2030 zu erreichen. „Die Bekleidungs- und Schuhindustrie verursachte 2018 rund 4% des weltweiten CO2-Ausstoßes (2,1 Milliarden Tonnen). Das entspricht den Emissionen von Frankreich, Deutschland und Großbritannien zusammen. Ohne weitere Maßnahmen werden die CO2-Emissionen der Branche bis 2030 wahrscheinlich auf rund 2,7 Milliarden Tonnen pro Jahr ansteigen.“ 

Eingangs erwähnter Artikel des Weltwirtschaftsforum benennt deutlich, was zu tun wäre auf globaler Ebene, um die Klimaziele (halbwegs) zu erreichen. „Der Schlüssel zum Erreichen unserer Emissionsreduktionsziele ist der Ausstieg aus unserer Abhängigkeit von Öl, Gas und Kohle.“ Die Frage ist nur wie? In einem Interview mit der Zeitung „The Economist“ wurde Bill Gates kürzlich gefragt, ob die Herausforderung des Klimawandels eine Frage der Verhaltensänderung oder der Innovation sei. Gates betonte, dass es vor allem eine Frage der Innovation sei. „Es ist wichtig, unsere Gewohnheiten zu ändern, aber das wird laut der Internationalen Energieagentur bestenfalls eine Reduzierung der Emissionen um 15 % bringen. Wir versuchen nicht nur, die Emissionen um 15 oder 20 % zu reduzieren; wir müssen auf 0 kommen“, sagte Gates.

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Ob uns Innovationen alleine auf den richtigen Weg bringen? Viele bezweifeln das, andere bejahen es. Vermutlich wird es ein Mix aus beidem sein? Verhaltensänderungen sind bekanntermaßen schwierig, aber nicht unmöglich. Weiter machen wie bisher, nur mit anderen Technologien? Kann das funktionieren? Zirkuläres Wirtschaften, Sharing-Modelle, Verzicht auf bestimmte Praktiken und damit vermutlich auch Annehmlichkeiten etc. etc. brauchen ein entsprechendes Mindset.

Staatliche Investitionen in die Kreislaufwirtschaft und eine klimafreundliche Infrastruktur würden nicht nur die Emissionen senken, sondern auch das Wachstum anregen und neue Arbeitsplätze schaffen, liest man beim Weltwirtschaftsforum. Ein Beispiel: Von den 84 Milliarden Tonnen an Materialien, die jedes Jahr weltweit verbraucht werden, werden nur 9 % wiederverwendet. „Europa könnte bei einem Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft die CO2-Emissionen bis 2030 halbieren und gleichzeitig das verfügbare Einkommen eines jeden Haushalts um 3.000 Euro erhöhen“, rechnet die Ellen MacArthur Foundation vor.

Die EU plant dazu im Rahmen des Green Deal ja einiges. Sie geht auch davon aus, dass Unternehmen dadurch 600 Milliarden Euro pro Jahr einsparen und gleichzeitig bis 2035 580.000 neue Arbeitsplätze schaffen werden. Aber auch die Privatwirtschaft müsse laut Bill Gates einen Schritt nach vorne machen und dürfe nicht den Fehler machen, es beim Versuch belassen, gut auszusehen, sondern müsse sich die tatsächliche Wirkung ihrer Maßnahmen genau anschauen.unsplash Foto_4

Der Klimawandel und die Zerstörung von Ökosystemen sind keine linearen Prozesse. Je wärmer und weniger artenreich unsere Welt wird, desto größer ist das Risiko, dass wir „Points of no return“ überschreiten. Angeführt wird im Artikel des Weltwirtschaftsforums etwa das Abschmelzen der arktischen Tundra, wodurch riesige Mengen an Methan in die Atmosphäre gelangen – ein Treibhausgas, das mindestens 25-mal stärker ist als CO2. Ein weiterer solcher Punkt ist der Amazonas-Regenwald, dessen riesige Flächen Gefahr laufen, zur Savanne zu werden, wenn keine Maßnahmen ergriffen werden, um die Abholzung zu stoppen.unsplash Foto_5

Für die Modeindustrie formuliert der McKinsey/Global Fashion Agenda Report: „Für das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels müsste die Modeindustrie in den nächsten zehn Jahren ihre jährlichen Emissionen auf etwa 1,1 Milliarden Tonnen reduzieren, was einer Halbierung der heutigen Menge entspricht. Die gute Nachricht für die Branche: Viele der erforderlichen Maßnahmen lassen sich wirtschaftlich vorteilhaft umsetzen.“ Dazu brauche es die enge Zusammenarbeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Für die Branche werden hier drei Aktionsfelder formuliert:

1. Verringerung der Emissionen in vorgelagerten Arbeitsvorgängen („upstream operations“): 61 % könnten durch Kohlendioxidreduzierung in der Materialproduktion und -verarbeitung, die Minimierung von Produktions- und Herstellungsabfällen und bei der Bekleidungsherstellung erreicht werden. Mehr Energieeffizienz und ein Wechsel von fossilen Brennstoffen zu erneuerbaren Energien könnten bis 2030 zu einer Emissionsverringerung um etwa 1 Milliarde Tonnen jährlich führen.

2. Verringerung der Emissionen in den Unternehmen selbst: Ein veränderter Materialmix (z. B. Recyclingfasern), nachhaltige Transportmittel (z. B. Elektrofahrzeuge), andere Verpackungen mit recycelten und leichteren Materialien, Umstellungen im Einzelhandel (z. B. durch mehr Energieeffizienz in den Läden), weniger Rückgaben und weniger Überproduktion (nur 60 % der Kleidungsstücke werden derzeit ohne Preisabschlag verkauft) sind die wichtigsten Hebel. Damit könnten bis 2030 bis zu 308 Millionen Tonnen CO2-Äquivalentjährlich eingespart werden. 

3. Förderung eines nachhaltigen Verbraucherverhaltens: Wenn die Konsumenten mehr auf nachhaltige Mode achten und Kleidung wieder und länger verwenden, dann kann dies im Zusammenspiel mit veränderten Geschäftsmodellen der Unternehmen 2030 zu einer Emissionsverringerung von 347 Millionen Tonnen führen. Die wichtigsten Hebel sind Kreislaufwirtschaft, Vermietung, Wiederverkauf, Reparatur, das Aufarbeiten von Kleidungsstücken sowie weniger Wasch- und Trockenvorgänge.unsplash Foto_6

Auch wenn all diese Studien, Artikel, Filme, Zahlen und Analysen der ein oder dem anderen zu mühsam daherkommen und man sich anstrengen muss, tiefer in das Thema hineinzugehen: Leute, ohne geht’s nicht. Ich denke dabei immer wieder an eine Aussage des Verhaltensforschers und Evolutionsbiologen Kurt Kotrschal, der in einem Gespräch sagte: „Wer wenig weiß, muss halt viel glauben.“ 

Der Film von David Attenborough „A Life on Our Planet” ist begleitet von wunderschönen Bildern und sehr verständlich. Dennoch schont er uns nicht. Um fortzubestehen, brauche es mehr als Intelligenz, sagt er, es brauche Weisheit. „Die Zukunft ist nicht so finster wie wir dachten, denn wir haben die Chance, es wiedergutzumachen. Es braucht nur den Willen dazu.“

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Sehr empfehlen kann ich euch den ZEIT-Podcast „Haben wir vor lauter Corona die Klimakrise vergessen?“ mit der Politökonomin und Transformationsforscherin Maja Göpel, das Magazin „Philosophie“ hat eine  spannende Sonderausgabe zur Klimakrise herausgebracht und einen interessanten Artikel zur Rolle der Medien in Bezug auf die Klimakrise findet ihr hier.  

 

Fotos © unsplash  

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