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February 23, 2021

Teil 2: 8_Paolo Lugli – Ohne die Realität zu verstehen, kann man nichts ändern

Susanne Barta

 Dieses Projekt ist aus einem Gespräch mit meiner sehr geschätzten Künstlerin-Freundin Gabriela Oberkofler entstanden. Es sind Momentaufnahmen aus dem Corona-Alltag von Menschen, die mir in dieser Zeit in den Sinn gekommen sind und die aus unterschiedlichen Perspektiven beschreiben, was sie beobachten. Teil 1 wurde von März bis Mai 2020 aufgezeichnet. Fast ein Jahr später bestimmt Corona unseren Alltag nach wie vor und wird das wohl noch länger tun. Was hat sich verändert? Welche Beobachtungen und Erfahrungen sind dazu gekommen? Eine zweite Momentaufnahme geht diesen Fragen nach. Begleitet werden die Lockdown Aufzeichnungen von Gabrielas Zeichnungen und einem Mut machenden Zitat des Soziologen Harald Welzer.

Paolo Lugli hat Physik und Elektrotechnik in Modena und in den USA an der Colorado States University studiert, in Rom gelehrt und war 16 Jahre an der TU München, bevor er 2017 als Rektor der Freien Universität Bozen nach Südtirol gekommen ist. Paolo Lugli hat sich mit Nano- und Molekularelektronik beschäftigt, sein aktueller Forschungsschwerpunkt ist „printed electronics“.

Paolo Lugli Foto_1

Aufgezeichnet am 12. Februar 2021

Derzeit bin ich mit Corona zuhause und sehr dankbar, dass ich bis jetzt nur leichte Symptome habe. Wie die Ansteckung passiert ist, weiß ich nicht genau, ich war in den letzten Wochen besonders vorsichtig, da die Fallzahlen in Südtirol sehr hoch waren und leider immer noch sind. Ich ging zwar jeden Tag ins Büro, habe aber nur wenige Leute getroffen und hatte in letzter Zeit immer eine FFP2-Maske auf. Nachdem meine beiden Sekretärinnen positiv getestet wurden, habe ich natürlich gleich einen Test gemacht und auch ich war positiv. Vermutlich wissen wir noch nicht alles über die Art, wie sich dieses Virus genau ausbreitet. Wir wissen aber in der Zwischenzeit, dass viele der FFP2-Masken, die Italien gekauft hat, gar nicht geprüft sind und nicht dem entsprechen, was vorgeschrieben ist.

Im Sommer war schon klar, dass der Umgang mit Corona viel zu locker ist, viele haben geglaubt, dass schon alles erledigt ist. Das war ein großer Fehler, aber dieser Fehler wiederholt sich ständig. Sobald es Lockerungen gibt, sind wieder Massen unterwegs, zum Teil ohne Maske und ohne Distanz zu halten. Das zeigt mir, dass wir noch nichts gelernt haben. Die Einschränkungen sind wirklich groß und es wird immer schwieriger damit umzugehen, aber es gibt derzeit keinen anderen Weg, vor allem weil uns auch die Mutationen böse überraschen. Dass es so schnell geht, habe ich nicht erwartet. Deshalb müssen wir global denken, wir sehen ja, dass es keine Grenze gibt, die das Virus oder seine Mutationen aufhält. Alles ist nur eine Frage der Zeit. Die Impfung spielt eine sehr wichtige Rolle.Paolo Lugli Foto_2Bei den Auswirkungen der Pandemie auf das Bildungssystem muss man Schule und Universität unterscheiden. Die Schule ist, von dem, was ich höre, sehr stark betroffen. Präsenz ist gerade in der Schule wichtig, lernen geschieht hier vor allem im Austausch, zudem haben viele Familien technische und räumliche Probleme, keine Computer für alle und keine entsprechenden Räume, dass alle arbeiten, Spaß haben, lernen und sich konzentrieren können. Das kann gravierende Folgen haben. Wir wissen aber auch, dass das Virus sehr wohl durch die Schulen, durch junge Leute weiterverbreitet wird.

Für die Universität ist die Situation etwas anders. Ich habe in meinen Vorlesungen gemerkt, dass die Student*innen die Möglichkeit hatten, alles mitzubekommen und digital zu lernen. Bei uns [Anmerkung: Freie Universität Bozen] hat es technisch sehr gut funktioniert. Wir haben bei den neuen Studierenden mit Präsenzunterricht begonnen, Ende Oktober 2020 wurde dann wieder auf digital umgestellt. Natürlich ist das Gesamtpaket Uni digital nicht ersetzbar, denn es geht ja auch darum, sich zu treffen, in die Bibliothek zu gehen, Labore und Praktika zu besuchen, sich real auszutauschen. Auch für mich als Professor ist es schwierig einen Bildschirm zu unterrichten. Ich möchte die Gesichter sehen, nicht nur meine Folien, ich sehe auch nicht, wie das alles ankommt auf der anderen Seite. Diese Art zu unterrichten ist einfach nicht so interaktiv. Aber auch wenn es nicht ideal ist, hat es relativ gut funktioniert. Wir möchten im nächsten Semester deshalb, so schnell es geht, wieder in Präsenz unterrichten. Was mich stört ist, dass wir keine Möglichkeit haben hier mitzureden, es wird einfach entschieden. Die Universitäten werden zum Teil behandelt wie die Schule, wir sind aber keine Schule, wir haben ein anderes Niveau von Sicherheit und wir haben es mit Erwachsenen zu tun, nicht mit Kindern. Das sollte anerkannt werden.

Paolo Lugli Foto_3

Diese Pandemie wird einiges verändern, aber nicht unbedingt zum Besseren. Beim ersten Lockdown habe ich noch eine Art von Optimismus beobachtet, bei mir und auch bei vielen anderen. Dieses Gefühl von „wir schaffen das, es wird bald besser werden“, das ist verschwunden. Jetzt sind die meisten besorgt, auch wenn einer Minderheit Corona völlig egal ist. Je länger die Krise andauert, desto schwieriger ist es, eine optimistische Sicht darauf zu haben. Hoffen wir mal, dass die Impfungen wirken, aber sonst gibt es wirklich keinen Grund optimistisch zu sein. Das ist schade. Im ersten Lockdown habe ich es geschafft, einige andere Dinge zu machen, zu kochen, zu lesen. Jetzt schaffe ich es irgendwie nicht und habe auch keine Lust. Ich bin zuhause, möchte aber raus, möchte Dinge machen. Ich fühle die Begrenzung, den Druck, es fühlt sich an wie in einem Gefängnis. Das erste Mal habe ich ganz anders erlebt.

Unerwartet jedoch ist mein wiederentdecktes Verhältnis zur Glaubens-Praxis. In meinem Leben war Religion manchmal wichtig, manchmal weniger, manchmal auch gar nicht. Als ich noch in Bayern lebte, war ich relativ aktiv in der evangelischen Gemeinde Hallbergmoos, das ist in der Nähe des Flughafens München. Kurz bevor ich nach Bozen kam, ist der Pfarrer nach Augsburg umgezogen. Ich hatte in diesen Jahren kaum Kontakt mit ihm. Jetzt aber hat er seine Gottesdienste, Gebetsstunden und anderen Formate online zugänglich gemacht. Da bin ich nun mit viel Freude dabei. Ich hätte nie erwartet, dass das auf Distanz so intim sein kann und so tief. Ich habe immer gerne gesungen, sie haben tolle Musiker und ich singe nun zuhause mit. Das ist ein Erlebnis, das mir sehr hilft. Paolo Lugli Foto_4

Das Zitat von Harald Welzer finde ich gut. Ich bin nicht nur für Veränderungen bereit, sondern will die Dinge auch ändern, vor allem da, wo ich eine Möglichkeit dazu habe. Als Wissenschaftler und Ingenieur geht es mir immer darum, zu verbessern und zu optimieren. Aber ohne die Realität zu verstehen, die Welt und ihre Naturgesetze zu kennen, kann man nichts ändern. Der erste Schritt ist immer, Dinge zu lernen und zu verstehen. 

Zeichnung: Gabriela Oberkofler 
Fotos: Paolo Lugli 
 

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