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February 16, 2021

Teil 2: 7_Georg Kaser – Entweder wir gehen es jetzt an oder es wird von alleine passieren

Susanne Barta

Dieses Projekt ist aus einem Gespräch mit meiner sehr geschätzten Künstlerin-Freundin Gabriela Oberkofler entstanden. Es sind Momentaufnahmen aus dem Corona-Alltag von Menschen, die mir in dieser Zeit in den Sinn gekommen sind und die aus unterschiedlichen Perspektiven beschreiben, was sie beobachten. Teil 1 wurde von März bis Mai 2020 aufgezeichnet. Fast ein Jahr später bestimmt Corona unseren Alltag nach wie vor und wird das wohl noch länger tun. Was hat sich verändert? Welche Beobachtungen und Erfahrungen sind dazu gekommen? Eine zweite Momentaufnahme geht diesen Fragen nach. Begleitet werden die Lockdown Aufzeichnungen von Gabrielas Zeichnungen und einem Mut machenden Zitat des Soziologen Harald Welzer.

Georg Kaser ist Professor für Klima- und Kryosphärenforschung und war bis vor kurzem Dekan der Fakultät für Geo- und Atmosphärenwissenschaften an der Universität Innsbruck. Als Gletscherforscher hat er sich zuerst mit heimischen Gletschern beschäftigt und dann später den Gletschern in den Tropen zugewandt. Georg Kaser hat am 4. und 5. Sachstandsbericht des Weltklimarates IPCC mitgearbeitet und ist auch im laufenden 6. Berichtszyklus aktiv.

Georg Kaser (c) Daniela Brugger Foto_1

Aufgezeichnet am 4. Februar 2021 

Ich habe das Gefühl, es ist das zweite globale Experiment, dem ich zuschaue. Das erste ist mein Feld, die Klimaforschung, jetzt läuft ein Experiment ab, wo ich vor allem mit meinem Hausverstand hinschauen kann. Die Situation ist nicht leicht, aber auch nicht überraschend. Ich habe schon beim ersten Lockdown davon gesprochen, dass wir von einer Langstrecke ausgehen sollten. Vor allem als ich das gesellschaftliche Tun im Sommer beobachtete, war mir klar, dass spätestens im Oktober wieder große Probleme auf uns zukommen. Jede Konzentration von irgendetwas in der Atmosphäre, ob das ein Schadstoff oder ein Virus ist, ist im Freien weniger persistent als in geschlossenen Räumen und wenn ich die Quellen auch noch hineinnehme in die Räume, dann nimmt die Konzentration natürlich zu. Das ist nicht so schwierig zu verstehen. 

Ich glaube dieses Verhalten hat vor allem damit zu tun, dass wir das alles nicht wollen. Wir wollen Corona nicht, es geht um „ich will“. Dahinter steckt auch ein „ich kann nicht“, „ich kann nicht umgehen damit“. Georg Kaser (c) Daniela Brugger Foto_2In Bezug auf die Klimaproblematik ist das ähnlich. Hier kommt aber noch dazu, dass die unmittelbare Bedrohung nicht spürbar ist, das Virus ist uns ja sehr nahe gekommen in der Zwischenzeit. Auch wenn es unmittelbare Extrem-Wettererfahrungen gibt, vergeht eine mögliche Sorge meist nach einigen Tagen wieder, denn „das gab es ja früher auch schon mal“.

Wir werden lernen müssen, mit Corona zu leben, aber nicht in dem Sinne, Leute sterben zu lassen. Wo sind wir denn! Es geht darum, Vorsichtsmaßnahmen entsprechend zu pflegen. Japaner begrüßen sich ja auch nicht mit Händen und allem Möglichem, sie haben ein Gefühl für Distanz und hatten schon vor Jahren kein Problem damit, Masken wegen Luftverschmutzung zu tragen. Das ist ja nichts, was zum Untergang einer Zivilisation führt oder Identitätsverluste und kulturelle Crashs verursacht. Das heißt, wir müssen uns daran gewöhnen, Spielregeln einzuhalten.Georg Kaser (c) Daniela Brugger 3+4Die Pandemie hat in meinen Augen weder Hilfsbereitschaft noch Egoismus gefördert, sondern offenbart, was schon da ist und macht es stärker sichtbar. Die egoistische Seite ist halt lauter und schriller, die fällt mehr auf. Weltweit gab und gibt es so viele entsetzliche Situationen und Schicksale, da denke ich mir, uns geht es schon sehr gut, wenn wir es nicht aushalten, für eine gewisse Zeit weniger auszugehen, nicht zu shoppen, uns weniger oder auch nicht zu sehen. Ich glaube, man muss sich diese Relationen viel öfter vor Augen halten. Insgesamt aber sollten wir damit leben lernen, dass in einer Gesellschaft, die im Umbruch ist, nicht alles glatt und schön vonstatten geht. Es wird Widerstand und Unverständnis geben. Die Klimakrise wird, wie gesagt, vielfach noch gar nicht wahrgenommen, obwohl sie schon da ist. Langsam beginnt man darüber zu sprechen, aber empfinden tut das noch kaum jemand. Deshalb ist es so wichtig, dass sich die Teile der Gesellschaft, die das verstehen und auch etwas tun wollen, vernetzen, ihre Stärke entwickeln und ins Tun kommen. Wie zum Beispiel Südtirols Netzwerk für Nachhaltigkeit oder der Zukunftspakt.   

In etwa fünf Jahren werden wir in Bezug auf Corona wissen, warum das alles wie passiert ist und warum was besser gewesen wäre. Die Maschinerie des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns funktioniert nicht schneller. Im Augenblick ist alles sehr diffus geworden, das Virus kommt immer näher, zum Teil harmlos, zum Teil nicht, man weiß nicht mehr, wer wen angesteckt hat, Mutationen kommen dazu, der Frühling 2020 war da schärfer. Was ich mir anschauen möchte, ist, wie die Spanische Grippe zu Ende gegangen ist. War die einfach vorbei oder leben wir heute noch damit? Ich weiß es nicht, aber so ähnlich stelle ich mir das vor. Corona ist jedenfalls noch lange nicht vorbei. Ich bin nicht optimistisch, dass wir in kurzer Zeit große Feste feiern werden, aber optimistisch, dass wir langsam lernen damit umzugehen.Georg Kaser (c) Daniela Brugger 5+6Das Konservieren von Zuständen funktioniert nicht, Veränderungen passieren und man muss sie zulassen. Es macht das Leben auch leichter. Das Problem ist, dass viele Menschen Veränderungen als bedrohlich empfinden. Die Frage ist auch, ob wir mit einer abrupten Transformation umgehen können, ohne allzu großen gesellschaftlichen Schaden zu erleiden. Denn eine solche Transformation ist notwendig. Wir haben auch keine Zeit mehr uns zu fragen, ob das gelingen wird oder nicht. Entweder wir gehen es jetzt an oder es wird von alleine passieren. Dann haben wir das Ruder aus der Hand gegeben und werden vom Sturm in den Orkan gezogen.

Ich erlebe in vielen Vorträgen und Diskussionen eine Betroffenheit darauf, was ich erzähle. Auch bei Leuten, die wissen, warum sie mich einladen. Sie sind überrascht, wie dringlich das Ganze ist. Am liebsten würden sie wegkippen, im Sine von „das geht eh alles nicht mehr, wenn man sieht, was der und die macht, sie tun eh nur, was sie wollen“. Ich schlage dann vor, darauf zu schauen, wer schon das Richtige macht und da wachen sie wieder auf. Man muss die Willigen zusammenschließen, denn es sind gar nicht so wenige und es werden mehr.

Zeichnung: Gabriela Oberkofler
Fotos: Daniela Brugger 

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