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February 12, 2021

Beyond the Profane: Karin Ferrari allein in New York

Eva Rottensteiner
Aliens, Echsenmenschen und prophezeiende Memes: Im Netz haben jene Figuren Kultur, die in unserer rationalen Welt keinen Platz haben. Karin Ferraris Kunst erkundet genau diese Subkulturen und Verschwörungstheorien aus der Popkultur, dekonstruiert sie und ergänzt sie mit ihren eigenen Interpretationen. Ihre letzte Entdeckung: Tempel auf den Dächern New Yorks. Trash? Mystik.

Karin Ferrari macht so ziemlich alles, was ich als Journalistin niemals machen darf. In ihren Docu Fictions kommen Aliens vor, allsehende Augen, mystische Dreiecke und okkulte Rituale. Das ergibt Sinn. Sie ist Künstlerin und die Kunst darf schließlich alles. Nachdem ich bei einer meiner nächtlichen Recherchen auf ihr Lady-Gaga-Video gestoßen bin, in dem sie das Musikvideo zu „Bad Romance“ dekonstruiert und verschwörerisch deutet, habe ich beschlossen, mich auf Karin Ferraris faszinierende paranoide Welt einzulassen.

Es war eine dieser kurzen Phasen zwischen Lockdown X und Y, als in Wien für kurze Zeit die Museen und Kunstausstellungen aufsperren durften. Wir treffen uns in der Galerie Jünger, in der ihre aktuelle Ausstellung „Rooftop Temples of New York City“ residiert. Ich bin früher dran als die übrigen Besucher*innen. Die Künstlerin und ich haben die Galerie ganz für uns allein. Während dem ersten Lockdown war die Künstlerin in der Stadt, die nie schläft und ist durch Times Square und Financial District spaziert, um Tempel zu finden. Der Aufenthalt war Teil ihrer Recherche „Archi_Fictions of Ekstasis“, in der sie pseudo-sakrale kommerzielle Architektur erkundet. Das Ergebnis ist in einem Bildband festgehalten, herausgegeben vom Verlag für moderne Kunst.

Wir wandern die Galeriewand entlang und betrachten die amerikanischen Bauten, die irgendwie doch nicht nur was Amerikanisches an sich haben. Ich sehe Pyramiden, griechische Säulen, Tympanons und Sterne.

Rooftop Temples of NY (c) Karin Ferrari

Ich frage sie, woher eigentlich ihre Idee kommt, dass die Dächer von New York Tore in eine (göttliche) Welt sein könnten. Das Phänomen habe sie schon bei einer Kunstresidenz in Indonesien entdeckt, erzählt sie: „Auf Bali gibt es Gebäude, die sehen wie Tempel aus, aber manchmal kann man drinnen einen Fernseher und eine Couch sehen. Und bei den Opfergaben, die überall sind, sogar im Einkaufszentrum, findet man neben klassischen Gaben wie Räucherstäbchen und Blumen eine Cola-Dose und einen Ritz-Cracker. Ich glaube, diese Trennung zwischen Sakral und Profan, wie wir sie in der westlichen Welt kennen, gibt es im religiösen Imaginationsraum auf Bali nicht.“ Sie hat sich dann gefragt, wie das sein muss, wenn man diese Unterscheidung nicht macht. In unserer westlichen Welt ist diese Trennung seit tausenden Jahren in die Kulturgeschichte eingeschrieben. „Dieser Bruch ist auch ein künstlicher. Das kann man alles anders sehen“, fügt sie hinzu.

Rooftops NY (c) Karin Ferrari

„Mir ist aufgefallen, dass viele Hotels sakrale Bauelemente benutzen. Das hier ist ein Luxushotel auf Java, das Hyatt Regency Yogyakarta. Die Pool-Landschaft ist nach einem mystischen Thema gestaltet“, erklärt Ferrari und zeigt auf eines ihrer Ausstellungsbilder. „Und schau hier, Wasserrutschen, die sich um Fake Tempel drehen. Ein traditioneller balinesischer Schrein, der Seite an Seite mit einem Trampolin steht.“ Wie kommerzielle Gebäude und Freizeitarchitekturen wie Banken, Hotels, Einkaufszentren oder Casinos mit sakralen Elementen zusammenhängen, darauf wusste auch Karin Ferrari zuerst keine Antwort. „Ich glaube, es hat mit Ekstase zu tun. Das finde ich hochinteressant, weil Ekstase ein Zustand ist, den wir alle in der einen oder anderen Form kennen, der die Bereiche von Körperlich und Geistig, Materiell und Religiös, Sakral und Profan transzendiert.“

Ekstase?

So wie dieser rauschhafte Zustand? Genuss? Genau. Für manche Menschen ist schließlich auch Konsum etwas sehr Ekstatisches.Rooftop Temples of NY 3 (c) Karin Ferrari

Ferrari künstlert viel in der Grauzone zwischen Fakt und Fiktion, spielt mit den Begehren der Leute, mit Spekulationen und Mythen. Sie erzählt mir von der Menschlichkeit, die in all dem steckt: „Unsere Gesellschaft hat ein Selbstbild, dass sie rational, aufgeklärt und wissenschaftlich sei. Und je mehr wir unsere irrationalen Anteile, Sehnsüchte und Faszinationen verdrängen, umso stärker manifestieren sie sich andernorts.“ In unserer rationalisierten Welt gibt es keinen Platz mehr für Ambivalenzen und deswegen möchte sie in der Kunst einen Raum dafür bieten, ein Spielplatz für alles Verschwörerische, Sonderbare, Unerklärliche, Mehrdeutige, Okkulte und Mystische. So ist auch „Trash Mysticism“ entstanden, eine künstlerisch recycelte Art von westlicher Esoterik, Religion und Aliens, verwoben mit zeitgenössischer Kulturtheorie. Wenn es kein Kunstfeld dafür gibt, dann schafft Karin Ferrari eben ihr eigenes. In dem Rahmen hat sie beispielsweise die iPhone Xs-Werbung auf geheime Symbole zerlegt und die Intros der ORF Nachrichtensendung ZIB interpretiert.

Jetzt geht’s ins Kellergewölbe der Galerie, wo ich mir gleich einen animierten „Mystery Comedy Experimentalfilm“ reinziehen werde, den die Künstlerin in Zusammenarbeit mit Bernhard Gustav und Peter Moosgaard gemacht hat. Es folgen 20 Minuten „m h y t n i x“ …

Film vorbei. Ein bisschen gelacht. Mir brennt noch eine wichtige Frage unter den Nägeln: Woher kommt eigentlich ihr Interesse für solche Dinge?

Es waren Reptiloiden-Videos, die Karin Ferrari eines Nachts während ihrer Zeit als kuratorische Assistenz im MAK in ihrem Zimmer gebinged hat. Anfangs hat sie gar nicht verstanden, was die Leute in den „Shape-shifting Reporter“-Videos sehen: „Mein Gehirn hat das wohl sofort als Fehler erkannt und automatisch ausgeblendet.“ Doch dann hatte sie ein Schlüsselerlebnis: „Plötzlich konnte ich es auch sehen. Für einen Moment hat es sich so angefühlt, als ob sich das Zimmer drehen würde und mit ihm, die restliche Welt, die am Zimmer dranhängt. Für einen kurzen Moment war meine Welt eine andere, nur weil sich in meiner Vorstellung eine Prämisse geändert hat. Ich habe am eigenen Leib erfahren, wie Information die Wahrnehmung steuert und damit auch Realität erschafft.”

Rooftop Temples of NY 1 (c) Karin Ferrari

Ob sie selbst an dieses ganze Zeug glaubt?

Die Frage hatte ich mir auf dem Weg hierher in der Straßenbahn als Frage auf meinen APA-Block gekritzelt. Doch Karin Ferrari geht es gar nicht um den Wahrheitsgehalt dieser Theorien und Symbole. „Ich glaube nicht, dass es reptiloide Aliens gibt, im buchstäblichen Sinn, zumindest meistens nicht, aber ich glaube, dass sie ein Bild oder ein Mythos sind, der symptomatisch ist für unsere Gegenwart.“ Karin Ferraris Kunst prüft keine Wahrheiten. Sie spielt mit den Sehnsüchten der Menschen nach alternativen Erklärungen abseits der Wissenschaft für unerklärbare Phänomene.

Durch das Sezieren popkultureller Erzeugnisse seziert sie auch gleichzeitig unsere Gegenwart und die Gesellschaft, die diese Erzeugnisse hervorbringt, und wirft gleichzeitig einen (berechtigt?) paranoiden Blick auf technologische Phänomene wie Werbung, Filterblasen oder Data-Mining. „Kunst muss nicht Fakten checken. Es wäre besser, wenn Wissenschaft und Journalismus das machen. Das, was ich als Künstlerin, tatsächlich als eine der wenigen, machen darf, ist mit der Faszination alternativer Erklärungsmodelle und den Welten, die diese hervorbringen, zu spielen. Wenn ich im Titel meiner Videoserie ,DECODING THE WHOLE TRUTH‘ die ganze Wahrheit verspreche, ist damit eine Wirklichkeit gemeint, die über die gegebene Realität hinausgeht und die Bereiche von Imagination und Fiktion mit einbezieht.“

Wenn wir als Gesellschaft lernen, Ambivalenzen zu akzeptieren, sind wir vielleicht auch in der Politik oder Wissenschaft weniger anfällig, für Verschwörerisches und Fake News …

 

Für alle Wiener*innen: Die Ausstellung läuft noch bis 26.2.2021 in der Galerie Jünger nähe Karlsplatz. Man sollte sich aber vorher telefonisch anmelden.

Für alle (künstlerischen) Südtiroler*innen: Der Benno Barth Award, mit dessen Unterstützung Ferraris NY-Projekt entstanden ist, hat aktuell eine neue Ausschreibung. Voraussetzung ist ein biografischer Bezug zu Südtirol. Geht noch bis 30.3.2021. There you go…

Karin Ferrari (c) Wolfgang Lackner

Karin Ferrari ist (Medien-)Künstlerin. Sie wurde 1982 in Meran geboren, ist in Innsbruck aufgewachsen und hat in Wien Malerei sowie Kunst- und Kulturwissenschaften an der Akademie der bildenden Künste studiert und mit Auszeichnung abgeschlossen. Nach zwei Jahren als kuratorische Assistenz im MAK in Wien (Museum für angewandte Kunst) arbeitet sie jetzt als freischaffende Künstlerin, mal in Wien oder Tirol, mal woanders auf der Welt. Sie wurde mehrfach für ihre Kunst ausgezeichnet, zuletzt mit dem Preis für künstlerisches Schaffen der Stadt Innsbruck sowie dem Benno Barth Award und einem Stipendium des österreichischen Bundeskanzleramts, mit deren Unterstützung ihr NY-Projekt „Archi_Fictions of Ekstasis“ entstanden ist. Ferrari wurde zu Residencies in New York, Yogyakarta, Paris und Kasterlee in Belgien eingeladen. Ihre Kunst wurde im ORF III ausgestrahlt und ist von Bruneck, über Amsterdam bis New York, Moskau, Hong Kong und Beirut gewandert. Normalos können ihre Docu Fictions aber auch einfach auf YouTube bingen. Vielleicht stellt es ja des ein oder anderen Weltordnung auf den Kopf … 

 

Photo Credits: (1) Auszug aus dem Buch „Rooftop Temples of New York City“ von Karin Ferrari, erschienen im Verlag für moderne Kunst; (2–5) Karin Ferrari; (6) Wolfgang Lackner

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