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February 6, 2021

Teil 2: 4_Isabelle Prinoth – Wenn wir wollen, können wir viel lernen aus dieser Pandemie

Susanne Barta

Dieses Projekt ist aus einem Gespräch mit meiner sehr geschätzten Künstlerin-Freundin Gabriela Oberkofler entstanden. Es sind Momentaufnahmen aus dem Corona-Alltag von Menschen, die mir in dieser Zeit in den Sinn gekommen sind und die aus unterschiedlichen Perspektiven beschreiben, was sie beobachten. Teil 1 wurde von März bis Mai 2020 aufgezeichnet. Fast ein Jahr später bestimmt Corona unseren Alltag nach wie vor und wird das wohl noch länger tun. Was hat sich verändert? Welche Beobachtungen und Erfahrungen sind dazu gekommen? Eine zweite Momentaufnahme geht diesen Fragen nach. Begleitet werden die Lockdown Aufzeichnungen von Gabrielas Zeichnungen und einem Mut machenden Zitat des Soziologen Harald Welzer.

Isabelle Prinoth arbeitet im St. Ulricher Familienbetrieb Socrep GmbH. Das Unternehmen ist Vertriebspartner hochwertiger Mode-, Sport- und Outdoor-Brands wie Fred Perry, Canada Goose, Mammut und Hunter. Die junge Ladinerin hat in Standford und an der American University of Paris studiert und dort ihren Bachelor of Arts in International and Comparative Politics gemacht. Sie spricht sieben Sprachen und hat Ausbildungen im Water und Nitrox Diving absolviert. Ja, und sie fliegt auch. Seit Juli 2020 ist Isabelle Prinoth als erste Frau Präsidentin des Rotary Clubs Brixen.Isabelle Prinoth 1

Aufgezeichnet am 25. Januar 2021

Mit dem Begriff Lockdown ist das so eine Sache, denn die Definition ändert sich dauernd. War Lockdown das, was wir im Frühling hatten oder ist Lockdown das, was wir jetzt haben? Ich bin seit etwa drei Monaten in Südtirol, bin aber immer wieder in unser Büro nach Mailand gefahren, aus Arbeitsgründen darf ich das ja. In Mailand ist es derzeit sehr, sehr traurig, die Stadt ist leer, Restaurants und Geschäfte sind zu, die Atmosphäre ist trist.

Unser Unternehmen hat in den letzten Jahren gut gearbeitet, wir haben sozusagen „le spalle coperte“, das heißt, wir müssen uns keine Gedanken darüber machen, ob wir überleben. Es geht uns noch gut, aber wir sind uns bewusst, dass wir ein sehr schwieriges Jahr hinter uns haben. In meinen Augen ist die Pandemie in Italien nicht sehr gut gehandelt worden. Yuval Noah Harari sagt in seinem Buch „Homo Sapiens“, dass der Mensch unfähig sei, aus der Vergangenheit zu lernen. Ich erlebe das auch so, denn seit zwölf Monaten hat sich nichts wirklich stabilisiert und weiterentwickelt. Und das beginnt man jetzt wirtschaftlich zu spüren. Die größte Herausforderung derzeit ist, dass Kunden nicht zahlen können oder wollen. Jede Ausrede ist gut genug. Wenn unsere Kunden nicht zahlen und wir dann in der Folge unsere Lieferanten nicht zahlen, dann stürzt die Struktur zusammen. Deshalb haben wir uns entschieden, unsere Lieferanten weiter zu bezahlen.

Mir hat in Italien eine Person, eine Institution gefehlt, die Entscheidungen klar trifft, dafür Verantwortung übernimmt und das auch durchzieht. Aber so war es nicht. Zunächst kam ein Lockdown für drei Monate, dann war wieder alles offen, dann wieder Lockdown und so weiter. Ich vermisse einen klaren Plan. Am Anfang der Pandemie haben sich die Leute sehr an die Regeln gehalten, zumindest in Norditalien. Viele nachfolgende Entscheidungen waren aber nicht kohärent und die Leute fingen an zu tun, was sie wollten. Die psychologische Seite der Krise ist zu wenig miteinbezogen worden. Man sieht heute Leute, die die Maske nicht richtig tragen, sie überhaupt nicht tragen, die Abstände nicht einhalten … das ist wie eine kleine Rebellion, die Leute fühlen sich „presi in giro“. Ich kann das nachvollziehen, auch wenn dieses Verhalten nicht richtig ist.

Was mich beunruhigt, ist zu beobachten, wie uns diese Krise in der Zwischenzeit nicht zusammen-, sondern eher auseinanderbringt. Wir weichen einander aus, potentiell scheint jeder Mensch eine Gefahr zu sein, er könnte uns infizieren. Wir sind mit Rotary jetzt auch dabei, ein Angebot zu entwickeln, um nach der medizinischen Krise, der aktuellen wirtschaftlichen Krise, vor allem die psychologischen Herausforderungen, die uns noch lange begleiten werden, zu thematisieren. Auch in Südtirol wird es nicht einfach sein, die psychologischen Folgen der Krise zu bewältigen.Isabelle Prinoth 2

Ich glaube, wenn die Gesellschaft will, kann sie aus dieser Pandemie sehr viel lernen. Wir hätten jetzt Zeit, über einige unserer Verhaltensweisen, unser Leben nachzudenken und uns Fragen zu stellen: „War es richtig, wie wir bisher gelebt haben? War das gut für uns?“

In den letzten zwölf Monaten hatte ich mehr Zeit als bisher. Diese Zeit habe ich genutzt, um mich weiterzuentwickeln, an mir selbst zu arbeiten und zu verstehen, was Gesundheit für mich bedeutet. Das werde ich beibehalten, auch wenn alles wieder los geht und der Rhythmus wieder schneller wird. Es ist wichtig, sich Zeit für sich zu nehmen, auch für die wichtigsten Menschen in seinem Leben. 

Meine Präsidentschaft bei Rotary war und ist eine sehr besondere Erfahrung. Ich erlebe Situationen in Südtirol, die mir das Herz brechen. Mütter, die nicht mal für ihre Kinder Milch und Brot kaufen können. In einem wohlhabenden Land ist das schockierend. Hier versuchen wir mitzuhelfen, dass etwas besser wird.

Das, was Harald Welzer sagt, ist nicht leicht umzusetzen. Man denkt nicht einfach um und verändert anstatt zu ertragen. Daran muss man arbeiten. Natürlich bin ich der Meinung, dass sich vieles verändern muss. Aber jede Veränderung ist schwierig, ist etwas Neues, das man nicht kennt, und sich aus der eigenen Komfortzone hinauszubewegen, ist nicht selbstverständlich. Aus einer Position, die vielleicht in einigem herausfordernd, aber nicht existentiell bedrohlich ist, kann man mit dem Zitat wohl mehr anfangen. Veränderung und Ertragen brauchen eine bestimmte Balance und oftmals ermöglicht erst das Ertragen eine Veränderung.

Zeichnung: Gabriela Oberkofler 
Fotos © Isabelle Prinoth 

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