Music

January 29, 2021

Massig Props an NBWD – No Balance Without Diversity

Florian Rabatscher

Wenn man an Frauen im Hip-Hop denkt, kommen als allererstes leider nicht Rapperinnen in den Sinn. Viel zu oft schon als „Bitch“ betitelt, wurde das weibliche Geschlecht in der Hip-Hop-Kultur jahrelang nur als Deko gesehen, und mehr als laszives Hüfte kreisen in Videos war anscheinend nicht drin. Anscheinend aber nur, denn Rap ist viel mehr als dumpfer Sexismus und Bling-Bling. Und ich meine natürlich nicht Will Smiths Rap-Versuche, die zwar politisch korrekt und völlig ohne Fluchworte auskommen, aber sinnlos und grottenschlecht sind. Nein, ich meine die wahre Hip-Hop-Subkultur, die in den sozialen Brennpunkten entstand und auch deren Ungerechtigkeiten ansprach. Selbst der oft kritisierte Gangsta-Rap trug maßgeblich dazu bei, auch den gutbürgerlichen Leuten eine Welt zwischen Gewalt, Drogen und sozialen Ungleichheiten näher zu bringen. Anstatt diese Musik also nur als vulgär oder primitiv anzusehen und sie zu hassen, sollte Hip-Hop als das gesehen werden, was es ist: ein Spiegel unserer Gesellschaft. Aber, um fair zu bleiben: Sexistische Aussagen gibt es nicht nur im Rap-Business. Unterschwellig versteckt finden wir sie auch in so manchen Pop-Songs. Robin Thickes Welt-Hit „Blurred Lines“ handelt z. B. von Sex mit einer Betrunkenen und kommt textlich fast schon einer Vergewaltigung nahe. Aber trotzdem schwangen genug Leute ihr Tanzbein dazu. Hier sieht man wieder, wie ignorant der Mensch doch sein kann.

Genau im Hip-Hop, wo Frauen meistens nur als Stück Fleisch betrachtet werden, finden sich nicht selten auch ihre stärksten Vertreterinnen. Amerikanische Größen wie Missy Elliott, Queen Latifah oder Lauryn Hill dominierten mit ihrem Sound diese größtenteils von Männern dominierte Szene. Oder das deutsche Rap-Duo SXTN, das mit Tracks wie „Fotzen im Club“ in ihren Texten gekonnt mit männlichen Klischees spielt. Auch Diam’s aus Frankreich sollte in dieser Reihe der sogenannten „Femcees“ (weibliches Äquivalent zu MC) genannt werden. Ihr Hip-Hop kommt nämlich aus den heruntergekommenen Vorstädten Frankreichs, wo Rap noch das ist, was er immer war, nämlich der Aufschrei einer ganzen Generation benachteiligter Jugendlicher.

Wer nun immer noch denkt, so etwas würde in unserem gelobten Land nicht existieren, sollte jetzt seine Lauscher aufsperren. Seit geraumer Zeit macht der Sound von zwei jungen lokalen Femcees die Runde, die sich NBWD (No Balance Without Diversity) nennen. Chiara Avanzo aka Mulanzo und Laura De Marchi aka Zia B zeigten mit ihrem Track „Bella Merano“ auf beeindruckende Weise, was sich wirklich hinter der Postkartenwelt der Passerstadt verbirgt. Es ist eine kritische Liebesbekundung, wenn man so will, aber sicher keine Hassbotschaft. Sie schaffen mit ihren Texten das, woran viele scheitern, nämlich Probleme auf den Punkt zu bringen und sie aufzuzeigen, ohne dabei Feindseligkeit zu versprühen. In einer Zeit, in der man von unzähligen Hasskommentaren auf Social-Media-Kanälen und dem inhaltslosen Geschwafel der Politiker fast erdrückt wird, ist so etwas längst keine Selbstverständlichkeit mehr. Vielmehr ist es positiv zu sehen, dass junge Leute durch Musik wirklich etwas verändern könnten, indem sie Themen direkt ansprechen, die von unserer Gesellschaft meistens unter den Teppich gekehrt werden: tiefe Reflexionen rund um Homophobie, Rassismus, Sexismus und Feminismus. Rap als Mittel des Kampfes und der Emanzipation, um Vorurteile, Diskriminierung und Mauern aller Art einzureißen. NBWD schaffen sich nicht nur ein Ventil für angestaute Aggressionen, sondern Gehör. Und ich für meinen Teil, höre ihnen gerne zu, was ich jedem anderen ans Herz legen möchte. Anstatt fürchterlichen Raps (wie jenem des Ex-Schützenkommandanten) übertriebene Aufmerksamkeit zu schenken, sollte mehr Künstler*innen wie NBWD eine Bühne geboten werden. Politische Provokation sucht man bei ihnen vergebens, es ist mehr eine Bestandsaufnahme von Alltagsgeschichten, die aber kein Alltag sein sollten. 

Wie beim letzten Release von Mulanzo „Same Love (Stesso Amore)“, das nicht nur von der immer noch sehr präsenten Homophobie spricht, sondern dem Hass gegenüber jeglicher Andersartigkeit. Denn was ist schon normal? Alles, was uns ständig eingetrichtert wird? Von diesen Ketten sollten wir uns wirklich langsam befreien. Wirkliche Freiheit kann erst existieren, wenn wir uns alle als ebenbürtig ansehen, aber diesen Tag werde ich wohl nicht mehr erleben … Wie passend, dass NBWD für diese Botschaft den Beat des gleichnamigen Songs von Macklemore verwendet haben. Ein Lied, das fast zehn Jahre auf dem Buckel hat, aber leider immer noch aktuell ist.    

If I was gay I would think hip-hop hates me
Have you read the Youtube comments lately
“Man that’s gay” Gets dropped on the daily
We’ve become so numb to what we’re sayin’

Dann wäre da noch Zia B mit „Ricorda quanto vali“, das von Gewalt in den eigenen vier Wänden spricht, sei es physisch oder psychisch. Wie viele Frauen wohl dazu schweigen und sich meistens noch selbst die Schuld dafür geben, kann man nur erahnen. Doch wie der Titel schon sagt, irgendwann musst du dich erinnern, wieviel du eigentlich wert bist. Ein Satz, der für uns alle gelten sollte, denn niemand ist irgendwem untergeordnet.

Ihr seht, NBWD mischen die Szene ganz gehörig auf und treffen, wie es sich beim Rap gehört, mit deepen Lines den Zeitgeist. Doch neben der starken Message überzeugen sie auch noch mit ihrem fetten Sound. Unterlegt mit vinylknackigen Old-School-Sample-Beats erleben wir Raps, die es in sich haben. Ein derartiger Flow ist mir schon lange nicht mehr untergekommen. Hört Mulanzo bei „L’Eco del nostro Ego“ zu und ihr werdet einknicken. Diesem Reime-Monster möchte ich bei keinem Battle gegenüberstehen, sie würde wahrscheinlich alles zerfetzen. Diese beiden Künstlerinnen sind zurzeit wirklich das Beste, was uns hierzulande an Hip-Hop geboten wird. Und ich glaube sogar, dass wird sich auch nicht so schnell ändern. Nicht nur weil sie Frauen sind, sondern weil sie raptechnisch wirklich alle in die Knie zwingen könnten. Das nenn ich einmal Gleichstellung par excellence. Ich verneige mich und kann nur noch sagen: Massig Props von meiner Seite an NBWD.   

Foto: NBWD – No Balance Without Diversity

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