Music

January 21, 2021

Die wohl beste Album-Beilage: der Kurzfilm von Elis Noa + Eric M. Weglehner

Florian Rabatscher

Ein ganzes Album zu releasen ist heutzutage ja keine Selbstverständlichkeit mehr. Künstler*innen hauen viel lieber einzelne Tracks raus, um die modernen Musikkonsument*innen mit ihrer geringen Aufmerksamkeitsspanne nicht zu überfordern. Wenn dann doch eine LP angeboten wird, wirkt sie oft eher wahllos zusammengewürfelt. Versteht mich nicht falsch, auch das muss nicht schlecht sein, trotzdem erwarte ich von einem Album eine gewisse Gesamtheit. Das Wiener Duo Elis Noa hat genau das mit ihrem letzten Werk „What Do You Desire?“ bestens hinbekommen. Obwohl sie sich musikalisch zwischen Pop, R&B, Electronic und Future Soul bewegen, verschmilzt beim Durchhören alles zu einer Einheit. Ein Sound, der dich beruhigt in deinen Sessel fallen lässt und dir das Gefühl gibt frei in der Luft zu schweben. Aber nicht nur, dass sie ihren eigenen Sound gefunden haben, dieses Album setzt meiner Meinung nach sogar neue Maßstäbe für die oft eingefahrene Pop-Musik und wird sicherlich auch noch in den nächsten Jahren aktuell sein. Naja, außer sie übertreffen sich natürlich selbst. Sie sind nämlich schon wieder fleißig am Basteln und haben bereits für diesen Herbst ihr nächstes Album angekündigt. Die Erwartungen sind also groß … aber lasst euch davon nicht aus der Ruhe bringen.Worüber ich hier aber eigentlich sprechen möchte, ist der Kurzfilm, den sie am 19.01.2021 zu ihrem Debütalbum „What Do You Desire?“ veröffentlicht haben. Es handelt sich dabei nicht um irgendeinen öden Making-Of-Film, sondern ist sozusagen eine visuelle Beilage zur LP. Wie das eh schon gelungene Albumcover rundet dieser Film das Ganze gekonnt ab. Wer denkt, Plattencover wären nur ein schönes Anhängsel zur Musik, hat Alben noch nie richtig genossen. Seit ich denken kann, liebe ich es, sie zu hören und dabei bis zum Ende jede Ecke und Kante des Covers oder Inlays zu studieren. Ein Ritual, das mit dem Aufkommen der Streaming-Dienste leider in Vergessenheit geriet. Allein schon das Öffnen der Schweißhülle und dabei den Geruch eines neuen Albums zu vernehmen war immer bombastisch. Gute Plattencover sind nämlich Kunst und geben dem Sound noch einmal das gewisse Etwas. Fotos, Zeichnungen oder Grafiken, die zum Träumen einladen. Von immer wiederkehrenden Maskottchen, wie bei Iron Maiden, Megadeth oder Motörhead, bis hin zu ganzen Welten wie bei Covern von Dio oder sogar Meat Loaf. Selbst nur eine Farbe, wie beim White Album der Beatles oder dem Black Album von Metallica, sagt oft mehr, als man meinen würde. Es gibt einfach unzählige solcher Art-Cover die dir Angst einjagen, dich zum Lachen bringen oder einfach nur wunderschön sind. Dann gibt es noch jene von der ausgeklügelten Sorte.

In meiner Plattensammlung fällt mir da z. B. das Live-Doppelalbum „Space Ritual“ von Hawkwind ein – gefüllt mit Kunst und dreimal ausfaltbar. „The Velvet Undergound & Nico“ mit der legendären Banane von Andy Warhol, die man sogar schälen kann. Oder noch abgefahrener „Lateralus“ von Tool, dass aus einer halbtransparenten Plastikhülle und einem sechsseitigen Booklet besteht, welches das Menscheninnere auf verschiedenen Ebenen zeigt. Bei ihrem folgenden Album war sogar eine 3-D Brille mit dabei, um die Bilder im Booklets zu sehen. Muss ich weiteres aufzählen? Ich glaube, ihr merkt, das Visuelle und der Sound sollten zusammengehören. Ich finde, am besten sieht man das bei „Nevermind“ von Nirvana. Jeder hat wahrscheinlich das Baby, das dem Dollarschein nachschwimmt, im Kopf: Diese Unterwasseroptik passte wie die Faust aufs Auge zu Kurt Cobains Gitarrensound, der dank dem Small Clone Pedal wirklich wie unter Wasser klingt.elis noa2

Worauf will ich hinaus? Elis Noa haben in Zusammenarbeit mit dem österreichischen Filmemacher Eric M. Weglehner wohl die beste Beilage eines Albums seit langem geschaffen und bringen dieses Gefühl auf ein völlig neues Level. Der Film behandelt die Emotionen des Albums und die Erkenntnis, dass innere Freiheit nur dann entstehen kann, wenn wir unsere Wünsche und Facetten erkennen, akzeptieren und aussprechen. Musikalisch untermalt wird der Clip von zwei Tracks aus dem Album: „Try To Catch Me“ und „Take My Hand“. In äußerst kurzer Zeit erleben wir verschiedene Gefühlsetappen wie Einsamkeit, Zurückweisung, Zerissenheit, Akzeptanz, Zuversicht und gelangen am Ende zu der eigenen inneren Freiheit. Für etwas derartiges bräuchte Hollywood schon mal mindestens drei Stunden. Selbst die eines Szene im Video, wo sich ein Gesicht doppelt im von Tropfen angeschlagenen Fenster spiegelt, wäre allein für sich schon ein Plattencover. Die Macher*innen lassen im Kurzfilm geradezu eine Flut an guten, möglichen Covern auf uns herein prasseln. Das muss verarbeitet werden, nur einmal ansehen, genügt also nicht, liebe Leser*innen.

Meine Güte, was wird also beim nächsten Album auf uns zukommen? So gespannt war ich schon lange nicht mehr, deswegen sollte ich diese Ausnahmekünstler*innen auf jeden Fall weiter verfolgen. Einstweilen lege ich diese Platte fein säuberlich zu den anderen großen musikalischen Kunstwerken, wo sie von nun an bei mir hingehört. Um die Frage des Albumtitels zu beantworten: Nach dieser Erfahrung wünsche ich mir für eine Weile nichts mehr. 

Fotos: (1) Vilma Pflaum; (2) Elis Noa

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