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January 20, 2021

Über Yoga als (Konsum-) Praxis, den inneren Glow und Trendgefasel

Susanne Barta

Das, worüber ich hier schreibe, geht mir schon lange und immer wieder durch den Kopf und ruft regelmäßig ein leichteres oder schwereres Gefühl von Genervt-Sein hervor. 

Vor einigen Jahren hat es begonnen. Plötzlich war Yoga überall. In jeder Frauenzeitschrift, in jedem Kursangebot. Alle mussten auf die Matte. Es war chic und gehört bis heute zu einem stylischen Leben dazu. Vor allem aber hat sich Yoga (und ähnliche Disziplinen) zu einem riesigen Lifestyle-Markt entwickelt. Yoga-Klamotten und alles, was man so dazu braucht, um eine bella figura zu machen. Auch das nachhaltige Fashion-Segment überbietet sich da. Wobei es ja nicht darum gehen kann Konsum 1:1 durch nachhaltigen Konsum zu ersetzen.

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Plötzlich war auch Innenschau in. Aber bitte nicht zu tief. Die Lifestyle-Coaches und guten Tipps für ein gelungenes (Konsum-) Leben schossen nur so aus dem Boden. Das klingt dann so: „Glücklich in einer Minute“, „Dunkle Herbstabende können Ihrem inneren Glow ab sofort nichts mehr anhaben“, „Die Macht der Verletzlichkeit“, „Du bist ein Geschenk für die Welt“, „Wie möchten Sie sich fühlen?“. Und ihr wisst es vermutlich auch schon: Alles ist eine Opportunity. Die Optimierungsansprüche und Glücksversprechen an das Selbst scheinen keine Grenzen zu kennen.

Eine Mischung aus schlichten Lebensweisheiten, Esoterik, Positiver Psychologie und Prosecco oder vielleicht Luganer? Letztendlich aber geht es nur ums konsumieren. Egal was: Ratgeber-Literatur, Yoni-Kugeln, Yin-Yang-Ringe, Superfoods, Lifestyle-Produkte, whatever.unsplah Foto_3

Eines der nervigsten Wörter in diesem Zusammenhang ist Me-Time. Klar: Weil ich es mir wert bin. Ich gönn mir was. Ich und ich feiern das Leben. Am besten mit einem schönen Glas irgendetwas. Oder einer neuen Handtasche. Oder sonst was.

Manchmal muss ich lächeln, manchmal bin ich verärgert. Vermutlich weil das so durchsichtig ist. Auch ich mache Yoga. Mit einigen Unterbrechungen seit über 35 Jahren. Auch mit meinem Inneren beschäftige ich mich seit sehr langer Zeit. Sich selbst ernst zu nehmen ist wichtig. Regelmäßige Reflexion gehört einfach dazu. Teure Duftkerzen, Selbstliebe-Booster, den gerade angesagten (grünen?) Smoothie, das heißeste Outfit oder Kaschmir-Decken braucht es dazu eigentlich nicht. Die Begriffe Achtsamkeit und Mindfulness auch nicht. Mir scheint, je heftiger es draußen in der Welt zugeht, je egoistischer und unsolidarischer unsere Gesellschaft wird, desto mehr schwirren diese Lifestyle-Worthülsen herum. Auch wenn die Konzepte natürlich recht menschenfreundlich daherkommen, konnte ich immer wieder beobachten, wieviel Verwirrung Esoterik im Kopf anrichten kann.

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Aber wer weiß. Vielleicht macht die ein oder andere Achtsamkeitsübung ja bessere Menschen aus uns. Ich mache jedenfalls weiterhin Yoga. Immer noch im alten T-Shirt und langgedienter Jogginghose. Die ganze Ratgeber-Literatur, die ich in meinen 20ern und 30ern las, habe ich längst weggeworfen. Ich finde, es ist viel Denk-Faulheit dabei, wenn man nach fix und fertigen Antworten sucht oder einfach lieber nur fühlt, als sich zu informieren und anzustrengen, ein Thema zu durchleuchten und eine eigene begründbare Haltung dazu zu finden.

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Was noch? Nicht alles ist gut oder wird gut, nicht alles ist eine Opportunity, es reicht meist bei weitem nicht aus nur positiv zu denken. Auch wenn uns das selbsternannte Zukunftsforscher in eleganten Formulierungen gerne weis machen möchten. Das Leben ist komplex, unsicher, wunderschön und manchmal auch schrecklich. Begriffe wie Respekt, Toleranz, Mut, Integrität, Gerechtigkeit, Mitgefühl und Neugier reichen bei weitem aus. 

 

Fotos: unsplah 

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