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January 6, 2021

Byebye 2020, hello 2021!

Susanne Barta

Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wann ein Winter so schön war. Vielleicht liegt es daran, dass ich fast jeden Tag einige Stunden draußen bin. Wandern oder mit den Touren-Ski unterwegs. Bei Schneefall, Sonne, hellstrahlender, tief verschneiter Landschaft. Es sind Momente des Glücks. Meinen Ski-Anzug „of many years“ hatte ich jedenfalls noch nie so regelmäßig an.Susanne Barta Foto_2+3Rund um den Jahreswechsel habe ich nach langer Zeit wieder einen ausführlichen Reflexionsprozess gemacht, zurück- und vorausgeschaut und Lebensthemen für die kommenden Monate formuliert. Nicht jedes Jahr kann ich mich dazu aufraffen. Aber dass 2020 außergewöhnlich war, darauf, denke ich, haben wir uns alle verständigt. Das Jahr schreit geradezu nach Rückschau, Integration der Erfahrungen und der Frage nach „learned lessons“. Interessant war für mich, dass trotz aller Herausforderungen, die Bilanz positiv ist. Mir ist aber klar, dass das für einige anders aussieht. Um bei mir zu bleiben: Ich habe in diesem Jahr besser geschlafen als in vorangegangenen, ich habe noch nie so oft zuhause gegessen, nie soviel gekocht, selten so konzentriert gearbeitet, ich habe das regelmäßige Schreiben (wieder-) entdeckt, ich weiß, dass ich mit meinem Lebenspartner auch 20 Lockdowns überstehe und wir beide den Humor nicht verlieren, ich habe endlich wieder einen richtigen Stapel Bücher gelesen, weiß besser als vorher, auf wen ich mich verlassen kann und wer eigene Freiheiten auf Kosten der anderen propagiert, und noch nie habe ich so wenige Kleidungsstücke getragen wie dieses Jahr. Die bequemen Lieblingsstücke waren im Dauereinsatz. Es gibt noch vieles mehr, aber ich will nicht langweilig werden.Susanne Barta Foto_4+5Passend zum Jahreswechsel hat mir Urban, besagter Lebenspartner mit Humor, von seinem NZZ-Abo einen Gastkommentar des Philosophen Konrad Paul Liessmann zukommen lassen. Ich habe Konrad Paul beruflich kennengelernt, einige Interviews mit ihm gemacht und schätze an ihm vor allem seine außergewöhnlichen Vermittlungsfähigkeiten, Kompliziertes auf den Punkt zu bringen ohne banal zu sein. Er schrieb über „Die gekränkte Gesellschaft – in Sachen Corona kommt es nicht darauf an, was die Dinge mit uns, sondern was wir mit den Dingen machen“. Es macht große Freude, Gedanken so präzise formuliert zu lesen. Einige mir wichtig erscheinende Aussagen möchte ich hier mit euch teilen: 

„Dass ein Virus die Dynamik einer technologisch hochgerüsteten Gesellschaft bremsen, ja außer Kraft setzen kann, überstieg unser Vorstellungsvermögen. Und dass nicht nur die vollmundigen Versprechungen der Trendforscher, sondern auch die besorgten Aufrufe der Klimaschützer von eher exotischen Begriffen wie Lockdown, Virenlast, Inzidenz, Übersterblichkeit, Superspreader, Maskenpflicht und Abstandsregel verdrängt wurden, hat den Nerv einer Gesellschaft getroffen, die wähnte, andere Sorgen zu haben.“

Hängen geblieben bin ich auch bei dieser Aussage: „Von der gerühmten Resilienz, die als neue Modetugend propagiert worden war, ist kaum etwas zu spüren. Eher macht sich Wehleidigkeit breit.“ … „Die gekränkte Gesellschaft ist eine ungeduldige Gesellschaft. Sie kann nicht warten. Und sie hat schon lange auf den Verzicht verzichtet. Vorübergehende Einschränkungen werden deshalb nicht als Unannehmlichkeiten wahrgenommen, sondern als dramatische Einschnitte. Bei der ersten Gelegenheit macht man dort weiter, wo man aufgehört hat, und verlängert damit genau diejenige Misere, der man entkommen möchte.“ 

Und: „Die These von der gespaltenen Gesellschaft ist selbst Ausdruck einer medial verzerrten Wahrnehmung. Tatsächlich öffnen sich die spektakulärsten Gräben an den Rändern der Gesellschaft, nicht in deren Mitte, wie gerne behauptet wird. Die Lautstärke, mit der sich Minderheiten dank den sozialen Netzwerken bemerkbar machen können, nützt jenen, die als ,Querdenker‘ die Kraft einer Opposition simulieren, der in der Realität wenig entspricht. Nebenbei: Angehöriger einer Minderheit zu sein, stellt noch keine moralische oder intellektuelle Qualifikation dar. Vielleicht wäre es an der Zeit, ein Loblied auf jene Mehrheit anzustimmen, die sich nur dadurch bemerkbar macht, dass sie das tut, was nach dem derzeitigen Stand des Wissens getan werden kann, um nicht alles preiszugeben.“Susanne Barta Foto_6Warum das alles? In diesem Blog geht’s ja vor allem um Mode in ihrer nachhaltigen Variante. Aber nicht erst seit Corona wissen wir, dass wir in EINER Welt leben, dass wir die Zusammenhänge besser verstehen müssen, um entsprechende Veränderungen möglich zu machen. Die Modeindustrie ist ein durchaus großes Rad im Riesenrad Erde. Wie wir an Probleme herangehen, ob wir Wissenschaftler*innen zuhören, ob wir verstehen, dass Wissenschaft zwar nicht Wahrheit ist, aber dahinter ein nachvollziehbarer und begründbarer Prozess steht, ob wir den Zeitgeist verstehen, seine Werte und Qualitäten, ob wir weitermachen wie bisher, weiter konsumieren, koste es, was es wolle – all das macht einen großen Unterschied. Wer Corona nicht versteht, versteht auch den Klimawandel nicht, versteht auch nicht, dass es nicht weiter gehen kann wie bisher. Ich erinnere mich an die „Lockdown Aufzeichnungen“ mit dem Klimaforscher Georg Kaser, der ausführte, dass das, was wir gerade erleben, nur ein kleiner Vorgeschmack ist auf das, was wir zu erwarten haben. Und das ist nicht einfach eine Meinung und auch nicht Ausdruck von „negative thinking“, die Daten liegen unmissverständlich auf dem Tisch. Wenn wir also nicht bereit sind, entsprechend mit Corona umzugehen und gemeinsam und solidarisch nach Lösungen suchen, dann … Ja, was dann?Susanne Barta Foto_7Nochmals ein Schwenk zur Modeindustrie. Die Pandemie und ihre Folgen haben die Schwächen der Modeindustrie schonungslos offengelegt. Gleichzeitig aber auch den Blick auf neue Möglichkeiten und positive Veränderungen ermöglicht. Die anfänglichen Bedenken, dass die Krise die Bemühungen der Branche, ökologische und soziale Herausforderungen aktiver anzugehen, zum Scheitern bringen könnte, sind einem neuen Gefühl der Dringlichkeit gewichen. Der Anspruch, dass Unternehmen mehr tun sollten, als nur Geld zu verdienen, wird schneller als erwartet zum Mainstream. Wie genau die neuen Geschäftsmodelle der globalen Modeindustrie aussehen werden, ist jedoch noch nicht ausdiskutiert. Die Branchenplattform „Business of Fashion“ stellt aber klar fest: „Die Veränderungen in diesem Jahr werden den Rahmen für die Zukunft setzen.“ Susanne Barta Foto_8+9Und darum geht’s. Den Rahmen für die Zukunft zu setzen. Und wo könnte man darüber besser nachdenken als in der Natur. In der Stille der verschneiten Landschaften.Susanne Barta Foto_10PS: Ich habe diesen Text vor der Nachricht des tragischen Todes unserer Freunde Michl und Monika Grüner geschrieben, die beiden sind am Sonntag unter einer Lawine gestorben. Der Schock und die Trauer sitzen tief. Vor kurzem ist auch unser Freund Sven Sachsalber verstorben. Zu viele Verluste … Ich habe das, was ich geschrieben habe, daraufhin nochmals gelesen, es ist immer noch passend, aber die Brutalität des Lebens ist in einigen Momenten kaum auszuhalten. 

Fotos © Susanne Barta 

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