Music

January 1, 2021

Das Mixed Chick mit dem Gold im Mund: Nenda

Eva Rottensteiner

„Sag mal, woher kommst du eigentlich wirklich?“, „Sprichst du auch Deutsch?“. Menschen fassen ihr in die Haare und wenn sie laut wird, dann sei es ihr exotisches Temperament. Nenda Neururer ist ein „mixed chick“ aus dem Ötztal, eine Person of Colour, die in ihrem Alltag immer wieder mit rassistischen Aussagen konfrontiert ist. In ihrer ersten Single „Mixed Feelings“ rappt sie darüber und will Schwarze Menschen und People of Colour in Österreich sowie den subtilen Rassismus, der von der weißen Mehrheitsgesellschaft ausgeht, sichtbar machen. In „Zu dunkel für das eine Land, zu weird für das zweite“ drückt sie ihre gemischten Gefühle aus, die Verwirrung, einen Kulturschock und die Suche nach der eigenen Identität. Gemixt werden im Song der freischaffenden Schauspielerin auch die Sprachen. Mit ihrem englisch-deutsch-tirolerischen Rap hat sie eine Förderung gewonnen und wird mittlerweile in den FM4-Charts rauf- und runtergespielt.

Sound on!

Dein Song ist um drei Uhr nachts im Lockdown entstanden. Was hat sich da in dir abgespielt?

Ich habe den Lockdown mit meiner Mitbewohnerin in London verbracht. Wir sind ein sehr kreativer Haushalt, sie als Regisseurin und ich als Schauspielerin und haben uns immer gegenseitig kreative Aufgaben gegeben, wie basteln oder ein Gedicht schreiben. Und nach einer Stunde oder so haben wir uns im Wohnzimmer das Resultat präsentiert. Weil ich schon länger richtig Musikproduzieren lernen wollte, habe ich dann um drei Uhr nachts an Beats herumprobiert. Dazu sind mir ein paar Lyrics eingefallen, die ich über die restliche Woche verteilt eingearbeitet habe. Ich habe die Aufnahme einem Freund von mir, der selber Produzent ist, geschickt und vereinbart, dass wir den Song eines Tages mal produzieren werden. Doch als mich die Leute vom Fördergeld angerufen haben, musste alles ganz schnell gehen. Ich weiß noch, wie ich panisch zuhause gehockt bin und versucht habe, den Song fertig zu schreiben. Mit meinem Produzenten habe ich das Ganze dann im Studio verfeinert.

Was bedeuten „mixed feelings“ für dich persönlich?

Wenn man als „mixed race“ in einem hauptsächlich weißen Land aufwächst, muss man sich immer erklären. Und die Antworten sind nie genug, man fühlt sich nie genug. „Mixed Feelings“ ist die Verarbeitung dessen, was ich als Kind nicht getscheckt habe. Als Kind versteht man noch nicht, warum man so viele Fragen beantworten muss und woher das kommt. Als Erwachsene habe ich viele Gespräche mit anderen „mixed“ Leuten geführt. Und ich habe das Gespräch mit mir selber angefangen. Immer noch reden mich Leute auf Englisch an, wenn ich durch Innsbruck spaziere. Die Menschen sollen ihr Verhalten reflektieren. „Mixed Feelings“ ist auch ein Prozess, der in die Wege geleitet wurde, wo ich mir selber Fragen stelle und den Menschen um mich. Warum fragt ihr mich, wo ich herkomme und Eva nicht? Und warum glaubt ihr mir nicht, wenn ich Tirol sage?

Im Video trägst du „grillz“ und fütterst Schafe. Willst du damit auch Klischeebilder über Tirol herausfordern?

Auf jeden Fall. Ich möchte, dass die Leute ihren Tellerrand erweitern. Wir können alle Tiroler*innen sein. Wer sagt, dass ich mit grillz und Dirndl keine bin. Ich finde es lustig, diese Elemente zu kombinieren. Der Opa hat schon gefragt, wieso ich soviel Gold im Mund hab. Es passt auch zum Song, denn egal, wie man es macht, ist es verkehrt. Ob ich mit grillz auf die Alm gehe oder mit Dirndl durch die Stadt laufe, niemandem kann man es recht machen.

„Aber tschecksch du, Tirol, dass i des Land verlassen hab, weil mi zuviele Leit fragen, ob i deitsch sprechn kann?“. Du lebst und arbeitest mittlerweile in London. Bist du wirklich geflohen? Welche Beziehung hast du zu deiner Heimat im Ötztal?

Zuerst hatte ich schon Bedenken wegen der Reaktionen auf den Vers, aber viele haben mir dann erzählt, dass sie gar nicht wussten, wie das für mich ist, wenn mir ständig fremde Menschen in meine Haare greifen. Geflohen bin ich aber nicht. Ich bin freiwillig ausgewandert, um meine Schauspielkarriere zu verfolgen. Wahrscheinlich hätte ich den Unterschied gar nicht oder erst spät gemerkt, wenn ich nicht nach London gegangen wäre. Ich liebe das Ötztal und freue mich immer heimzukommen und diesen Ort als mein Zuhause zu bezeichnen. Jedes Mal, wenn ich im Flieger sitze und die Berge sehe, blüht mein Herz auf.

Apropos London: Erzähl mal von deiner Schauspielarbeit.

Ich habe bei vielen Theaterstücken in London und anderswo in England mitgespielt, auch bei einigen Filmen. Kurz vor Corona habe ich angefangen für ein „all-female Hamlet“ zu proben, also ein rein weiblich besetztes „Hamlet“. Davor habe ich bei „Death of a Salesman“, der Tod eines Handlungsreisenden, im Westend mitgespielt. Im Stück geht es um eine Familie in den 50ern, die den Aufstieg im Business nicht schaffen. Die Aufführung im Westend war eine der ersten Aufführungen, welche die ganze Familie mit Schwarzen Schauspieler*innen besetzte, eine gute Produktion mit wichtiger Message.

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Kann man deinen Song auch als Manifest für andere „mixed chicks“ verstehen?

Auf jeden Fall. Mir haben schon Eltern geschrieben, dass ihre kleinen „mixed“ Mädels und Jungs das Video cool finden. Eine Mama hat mir eine Aufnahme geschickt, in der das Kind sagt: „Mama schau, die schaut so aus wie ich und redet so wie ich“. Ich will ihnen zeigen, dass sie sich nichts gefallen lassen und keine dummen Fragen beantworten müssen. Als ich klein war, habe ich nie wen gesehen, der so ausschaut wie ich, weder im Fernsehen, noch in der Schule, noch in der Bank hinterm Tresen. Ich möchte auch, dass wir uns sehen. Und ich will, dass weiße Menschen darüber nachdenken, wie der Alltag für nicht-weiße Menschen ist.

Bis vor einiger Zeit war Rap eher Männerdomäne. Das hat sich mit Cardi B, Nicki Minaj und Co. grundlegend geändert. Ist Rap für dich politisch? Und kann/soll female Rap deiner Meinung nach auch gesellschaftliche Machtverhältnisse ändern?

Klar ist Rap politisch, weil er Themen wie Rassismus und Sexismus aufgreift. Ich finde es toll, wenn man mit Rap als Medium die Menschen zum Denken anregt, und ich finde es wichtig, dass Frauen dort übernehmen. Rapperinnen der ersten Stunde wie Missy Elliot, Queen Latifah und Lauryn Hill haben uns den Weg geebnet. Für mich ist Repräsentation wichtig. Wenn Kinder oder Teenager eine Frau mit ihrem Namen auf den Postern sehen, hat das einen größeren Einfluss als viele meinen. Außerdem denken durch „Mixed Feelings“ jetzt einige über Alltagsrassismus nach, womit sich die meisten noch nie befasst haben, weil sie damit eben nie konfrontiert sind.

Du rappst in „mixed feelings“, dass dies erst der Anfang sei. Welche Pläne schwirren dir gerade im Kopf herum?

Ich habe Pläne für weitere Songs, die ich aufnehmen und veröffentlichen möchte, und ich habe schon eine Idee für ein weiteres Musikvideo. Als Schauspielerin möchte ich die Geschichte eines Songs auch visuell erzählen. Inhaltlich bleiben die nächsten Songs politisch und es wird in Richtung Rassismus und Sexismus gehen, weil ich Gespräche darüber in den Menschen auslösen möchte. Einer der Songtexte ist mir im Zuge der Ermordung von George Floyd und der Black-Lives-Matter-Proteste zugeflogen.

Photo Credits: Yuki Gaderer

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