Music

December 31, 2020

Die beste schlechteste Band: Forgotten Dicks

Florian Rabatscher

Endlich nähert sich die wohl schlimmste Jahreszahl, seit ich denken kann, ihrem Ende zu. Was könnte 2020 wohl noch toppen? Ich hätte da noch was … Meine letzte Review dieses Jahres widme ich einer ganz besonderen Band. Vorhang auf für die legendären Forgotten Dicks aus Bozen. Ich wurde freundlicherweise von ihnen gefragt, ob ich nicht ihr neuestes Album „…what else?“ durch den Dreck ziehen könnte. Dabei fiel mir auf, dass ich tatsächlich noch nie ein Wort über diese Combo geschrieben habe. Unerhört, na dann wird’s langsam wirklich Zeit. Die Band treibt ja schon seit 2006 ihr Unwesen und ist für viele mehr als nur irgendeine weitere Krach-Combo. Schon so lange malträtieren sie gekonnt ihre Instrumente und beglücken uns mit unbeschreiblich eigenartigen Gefühlen. Ich verbinde so viel mit dieser Band, dass es mir ziemlich schwer fällt, alles hier niederzuschreiben. Wer diese Musik aber vielleicht zum ersten Mal hört und sich denkt, es sei bloß unausstehlicher Krach, dem sei gesagt: Stimmt zum Teil, aber so einfach ist es trotzdem nicht. Sie selbst gaben ihrer Musik schon viele Namen: Rude Punk, Zensur Punk, Quarantine Punk, Sweet Punk, 69 % Punk, Ugly Punk oder einfach Street Punk. Und ja, es ist Punk. Ein Wort, das für mich nicht bloß für linksradikales Gedankengut steht, sondern dazu da ist, der Hässlichkeit des Lebens ein würdiges Antlitz zu verleihen. Und genau das macht den Geist dieser Band aus.Forgotten DicksStellt euch unglaublich abstoßende Leute vor, die mit erhobenen Mittelfinger in einem versifften nebligen Keller zu unfassbar schlechter Musik ihr schales Bier schlürfen. Klingt nicht gerade ansprechend, aber irgendwie lassen sie genau solche Dinge in einem anderen Glanz erstrahlen. Die dreckige Seite des Lebens wirkt somit wie Gold. Es ist nicht nur Krach, es ist Kunst, was diese Jungs da zusammenzimmern, und genau das muss doch einmal erwähnt werden. Sie gehören genauso zu dieser Stadt wie der Obstmarkt, nur müsste das einmal jemand unseren Kulturexperten beibringen. Obwohl … das wäre dann schon wieder Mainstream und wie alle eingefleischten Fans wissen, hassen sie dieses Wort. Es gibt wahrscheinlich auch nichts, das weniger Hipster ist als ihr Sänger Patrick Santifaller. Alles, was nur im Entferntesten etwas mit Mainstream zu tun hat, wird von ihm in die Mangel genommen. Er ist gegen Polizei, gegen den Staat, gegen Krieg, gegen Nazis, gegen Nichtraucher, gegen Tattoos (was man leicht unterschwellig dem Song „Fuck Tattoos“ entnehmen kann), gegen unzählige Musikarten, wahrscheinlich auch gegen dich und mich und eigentlich allem, was süß, schön oder für uns irgendwie annehmbar ist. Aber trotzdem ist dieser Typ für mich wohl einer der legendärsten Frontmänner hierzulande und purer Rock’n’Roll. Ihr seid ihm auch sicher schon einmal begegnet, vielleicht trällerte er euch (ohne dass ihr es wolltet) ein Liedchen vor, vielleicht schrie er während eines Festivals in euer Zelt, weil er den Bassisten Max suchte, vielleicht erklärte er euch, warum ihr Mainstream seid oder (das Wahrscheinlichste) vielleicht wollte er einfach nur eine Zigarette schnorren. Jedenfalls sollte euch jetzt bewusst sein, dass euch ein wahrer Underground-Held gegenüberstand.FD3Wenn man also von Bozens Underground spricht, sollte man den Namen dieser Band nie vergessen. Denn gemeinsam mit seinen tapferen Mitstreitern Hofer am Sechs-Saiter, Maxi Müllian am Vier-Saiter und Föbe am Schlagwerk sorgt er als Forgotten Dicks für Angst und Schrecken in der hiesigen Musikszene. Bei ihnen ist es nicht bloß Gerede über Chaos, sie sind dessen Inkarnation. Technische Schwierigkeiten, Stimmverlust, besoffene Bandmitglieder, protzige Riffs, raue Stimmen, vernichtende Körpergase und aus dem Takt zu sein gehört bei ihnen zum Programm. Und meine Damen und Herren: Ich liebe es. Als ob man einen Monty-Python-Sketch über eine Punkband sehen würde. Noch authentischer geht einfach nicht. Natürlich könnte man sagen, sie sind nicht bloß eine Spaß-Band und machen Ernst … blablabla … Aber sie haben doch Spaß? Und genau das vermitteln sie auch. Pop-Punk-Bands wollen immer lustig wirken, sind aber nicht mehr als der Montags-Lacher von Peter Drassl.

Ihre selbstbetitelte EP von 2012 stellt für mich persönlich einen musikalischen Höhepunkt dar. Nicht nur, dass auf dieser der Underground-Welthit „Justice“ zu finden ist, es war auch die Zeit, in der man die Band vermehrt live sah und lernte, wie schön doch Trash sein kann. Fast ein Lebensgefühl, das dann wieder langsam aus der Szene verschwand. Warum schneiden sich junge Bands nicht eine Scheibe davon ab? Bereits ihr erstes Release aus dem Jahr 2008 „Legalize Prostitution“ war ein Meilenstein für schräge Musik. „Pyramid“ ist für mich immer noch der eigenartig schönste Song überhaupt. Und wer sich immer schon wunderte, wer die hübsche Frau auf dem Cover ist, für den werde ich das Geheimnis nun lüften. Es ist Martin Spitaler, den man heutzutage eher als James Bach kennt.Der erste Track „Underground“ wurde übrigens auf dem letzten Album, über das ich hier ja sprechen wollte, neu aufgelegt. Nicht in besserer Qualität, sondern garstiger als je zuvor. Ja, auch auf ihrem neuesten Streich „…what else?“ stehen sie immer noch für das ein, was sie ausmacht: Nämlich die beste schlechteste Band der Welt zu sein. Sie machen, was sie wollen, und das hört man. Dabei gibt es schon mal Intros, bei denen längst schon angefangen wird, während Santi noch einzählt und schiefe Töne, die sich an wirklich gute Songs schmiegen. Vielleicht sind die Aufnahmen nicht das Gelbe vom Ei, aber die Songs haben alle diesen unbeschreiblichen Charakter, der ihre Musik ausmacht. Auch Santis Texte sind bei Weiten nicht so sinnlos, wie man meinen würde.Ist es also das beste Album dieses Jahres? Von der technischen Seite aus gesehen: Auf keinen Fall. Aber vom Bauchgefühl her: Auf jeden Fall. Wir hatten zwar keine 68er Aufstände oder irgendetwas vergleichbares, aber Forgotten Dicks repräsentieren immer noch das, wofür unsere Generation steht: Bedingungslose Rückverdummung. Keiner wird verstehen, was ich damit meine, weil wir mittlerweile alles viel zu ernst nehmen, und genau das ist der Punkt. Seht diese Musik also als Heilmittel gegen dieses verfluchte Jahr. Nutzen wir das Talent dieser Band, hässliche Dinge in etwas Schönes zu verwandeln, und sagen: 2020 war ein super Jahr. Warum? Na, weil ein neues Dicks-Album veröffentlicht wurde. Und ich kann mir vorstellen, Santi würde sagen: Corona war eh nur fucking Mainstream! Frohes neues Jahr!

Fotos: Forgotten Dicks

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