Music

December 24, 2020

Optimistischer Wahnsinn: Hyper Gospel.1

Florian Rabatscher

Frohe Weihnachten euch allen … obwohl es viele Gründe, um vergnügt zu sein, wahrscheinlich nicht gibt. Die fröhliche Stimmung dieses – ach so heiligen – Festes wird von den Geschehnissen dieses Jahres beinahe im Keim erstickt. Und ich meine nicht den alten Freund Covid, sondern mehr die Umstände, in die uns dieser kleine Bastard versetzt hat. Geselliges Beisammensein? Fehlanzeige. Liegt Liebe in der Luft? Ich kann es leider durch die Schutzmaske nicht riechen. Nicht einmal dem ablenkenden Weihnachtskonsum kann man sich vollständig hingeben. Was nun also? Spart euch schon mal die diesjährige Christmette mit gesungenen Lobpreisungen auf das Christkind, denn es dürfen sich ja eh keine größeren Menschenansammlungen ergeben … Stattdessen biete ich euch zwei Songs, die auch zum andächtigen Lauschen und Sich- Besinnen einladen. Der Underground Reverend Johnny Mox trifft mit seinem letzten Release wieder einmal den Nerv der Zeit.johnnymox

Das Ding nennt sich „Hyper Gospel.1“ und enthält wirklich die letzten Reste Spiritualität, die man in dieser Zeit noch zusammenkratzen kann. Als ich bloß den Namen hörte, dachte ich, Johnny Mox hat vielleicht ein neues Genre erschaffen. Nicht so ganz, es ist zwar kein elektronischer Gospel, aber hat trotzdem ein neues Konzept. Hyper Gospel.1 ist das erste Kapitel eines Episodenalbums, das als kostenloser Download für To Lose the Track und Sonatine auf Bandcamp erhältlich ist. Es werden zwei weitere Veröffentlichungen folgen, eine im März und die dritte im Juni 2021, zeitgleich mit der physischen Veröffentlichung des Albums. Drei Episoden also, in etwa wie es die Star-Wars-Filme immer machen und eine mehr als in der Bibel. Halleluja! Sogar das Cover hat einen äußerst religiösen Touch und der Sound darauf liegt irgendwo zwischen positiv und niederschmetternd. Oder war es eher ein kühles Annehmen der Situation? Was es auch ist, mir gefällt’s. Irgendwie erinnert es mich an die Stimmung des Albums „Industrial Silence“ der norwegischen Band Madrugada. Johnnys Stimme klingt einfach immer besser und hat fast schon diesen romantisch dunklen Charakter wie jene von Sivert Høyem. Er selbst sieht es als düstere und bittere Momentaufnahme des späten Jahres 2020 und singt beim Opener „Hyper Gospel“ sogar erstmals auf Italienisch. 

Der singende Prediger erklärt es so: „2020 war das Jahr, das unser Zusammensein für immer verändert hat. Diese Platte, die in Episoden erscheint, beschäftigt sich genau damit: wie wir zusammen sind. Wie halten wir jetzt, wo alle Wahrheiten zerfallen sind und wir uns nicht mehr auf irgendetwas einigen können, alles zusammen? Die sanft dunklen Songs von Hyper Gospel handeln von Beziehungen, Technologie und Natur. Von Kooperation und Wettbewerb. Die Verwundbarkeit der letzten Monate hat auch die totale Interdependenz unserer Systeme vor Augen geführt. Hier liegt unsere ganze Kraft. Und es ist auch unsere größte Schwäche.“

Aber lassen wir die Negativität einmal beiseite und tragen wir endlich dieses verfluchte Jahr zu Grabe. Sehen wir es als Umbruch in ein neues Leben. Nichts bleibt beim Alten … und das ist auch gut so. Auch wenn alles scheinbar den Bach runtergeht, vielleicht ändern sich manche Dinge ja zum Besseren. Meint ihr nicht, dieser Virus hatte vielleicht einen höheren Sinn und sollte uns alle ausrotten? Wir nehmen uns immer so wichtig, obwohl unsere Spezies doch niemand braucht. Im Gegenteil, wir schaden der Welt sogar. Vielleicht löschen wir uns noch selbst aus, indem wir mit Atombomben alles dem Erdboden gleichmachen. Oder werden wir doch noch von den von uns entwickelten Computern ausradiert? Oder ist das alles nur eine Simulation? Wie man es in den Matrix-Filmen zu sehen bekam. Fragen über Fragen, die man sich genüsslich zu diesen zwei Songs stellen könnte.

Ein Tipp von meiner Seite zu den Feiertagen: Lassen wir einfach los mit diesen Sounds und ergeben wir uns ihrer Melancholie. Oft tut es gut, es einfach hinzunehmen. Gönnt euch ein gutes Glas Wein und lasst die Klänge großer musikalischer Prediger dieser einzigartigen Stimmung über eure Anlage knistern. Wie wäre es mit Lou Reed? Oder David Bowie? Vielleicht Nick Cave? Iggy Pop? Oder aus unseren Breitengraden: Johnny Mox. Den man mittlerweile wirklich in einem Atemzug mit solch großen Namen nennen dürfte. Mit diesen schönen Aussichten entlasse ich euch heute und wünsche ein besinnliches Fest. Flüchten wir uns nicht in irrsinnige Verschwörungstheorien, sondern ergeben wir uns dem optimistischen Wahnsinn, der uns zusammenhält. Oder wie Mr. Spock dazu sagte: „Wahnsinn hat keinen Sinn. Oder einen Grund. Aber er könnte ein Ziel haben.“ Faszinierend …

Foto: Johnny Mox

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