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December 21, 2020

Moreness in December. Tag Einundzwanzig: Trasumanar

Marco Russo
In die Höhe zieht es viele. – Wirklich? Gebirgsmassive wollen sie sehen. – Echt jetzt? Raue Luft wollen sie spüren. – Ernsthaft? … –– Berge müssen zurzeit viel aushalten … Wir haben überlegt, wir möchten uns mit dem Thema, wie wir es bereits in MORENESS getan haben, anders und ausgeprägter befassen. Von 1. bis 31. Dezember veröffentlichen wir Gedanken, Überlegungen und Anregungen. Das ist kein Countdown, kein Ratgeber und erst recht kein Adventskalender, sondern ein aufmerksamer Blick auf die Berge, die uns umgeben.

 

Ist eine Seele nach dem Tod nicht heilig genug, um direkt in den Himmel zu kommen, verweilt sie etwas Zeit im Purgatorium. Das Purgatorium ist ein Ort der Reinigung (purgare) und ist allgemeinhin als „Fegefeuer“ bekannt. Tertullian (christlicher Theologe der ersten Stunde) bestimmt diesen Ort allerdings als „refrigerium“, als eine Art Kühlzelle, in der die Seelen gewissermaßen auf Standby gesetzt werden, um schlafend und ohne Qualen erleidend auf den jüngsten Tag zu warten.

Auch in Dantes Göttlicher Komödie spielt der Berg eine nicht unbedeutende Rolle. Dort wird das Fegefeuer als Läuterungsberg besungen. Dieser Berg ist in sieben Abschnitten gegliedert und ein jeder Abschnitt entspricht einem Laster: Stolz, Habsucht, Neid, Zorn, Unkeuschheit, Unmäßigkeit, Trägheit und Überfluss. Auf der Spitze des Berges befindet sich das anzustrebende Ziel: das Paradies. Dem ganzen Gondeltourismus zum Trotz sind Berge mühsame und beschwerliche Brocken, doch ist einmal die Spitze erreicht, wird einem sprichwörtlich das Paradies zuteil. 

In einer weiteren Stelle verweist Dante stillschweigend auf ein zentrales kulturhistorisches Element der Berge, das vor allem das Verhältnis Mensch und Berg zum Ausdruck bringt: Die Transhumanz. Dieses Wort, das u. a. von Pier Paolo Pasolini in seinem Gedichtband „Trasumanar e Organizzar“ aufgegriffen wird, beschreibt eine der ältesten Formen der Weidewirtschaft. Die Transhumanz ist die Tätigkeit des Auf- und Abtriebes der Tiere durch die Hirten auf höher gelegene Weideflächen bzw. zurück ins Tal. 

Die Etymologie des Wortes liegt im Präfix „trans“ (hindurch/quer/durch/hinüber/jenseits/über/hinaus) und im Wort „human“, vom lat. „homo“, Mensch aber auch „humus“, Erde. Transhumanz heißt also, über die Grenzen des menschlich Gegebenen, aber auch über die Grenzen des bebauten Bodens, nämlich der Kultur, zu gehen. Ein jeder Gang auf den Berg ist ein Abenteuer und Wagnis. Es ist das Verlassen des gewohnten Umfeldes, ein Aufstieg ins Ungewisse: oben Erschöpfung und beim Abstieg die Transformation.

 

WEITERFÜHRENDES FÜR TAG EINUNDZWANZIG:

* „La Divina Commedia“ von Dante Alighieri 

* „Dieser stete Begleiter“ von Maria Oberrauch in MORENESS #01 über das Aufsteigen auf einen Berg verschiedenster Menschentypen.

* Transhumanz zwischen Schnalstal, Ötztal, Passeier, Vinschgau: Video

Bild: Auszug aus MORENESS #01 – Above the Tree Line 

 

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