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December 17, 2020

Moreness in December. Tag Siebzehn: Der Berg ruft?

Verena Spechtenhauser
In die Höhe zieht es viele. – Wirklich? Gebirgsmassive wollen sie sehen. – Echt jetzt? Raue Luft wollen sie spüren. – Ernsthaft? … –– Berge müssen zurzeit viel aushalten … Wir haben überlegt, wir möchten uns mit dem Thema, wie wir es bereits in MORENESS getan haben, anders und ausgeprägter befassen. Von 1. bis 31. Dezember veröffentlichen wir Gedanken, Überlegungen und Anregungen. Das ist kein Countdown, kein Ratgeber und erst recht kein Adventskalender, sondern ein aufmerksamer Blick auf die Berge, die uns umgeben.
Muß aufi, 
Vater,

i muß aufi.
Schau, der Berg!

Muß aufi, aufn Berg.

Der Berg ruft!

Ob mich der Berg ruft? 

Eine ehrliche Antwort … ein kleinlautes Nein

Zumindest nicht so laut und innig, wie viele andere Menschen, die ich kenne. Dabei habe ich mich wirklich darum bemüht, habe in meiner Vergangenheit einiges versucht, um mich dem Berg näher zu bringen. Ich habe mir Sonnenaufgänge in den Alpen und Dolomiten angeschaut, bin mit Schneeschuhen durch verschneite Wälder auf idyllische Hütten gestapft, habe im Sommer auf Almwiesen gelegen und in den blauen Himmel geblickt. Ich habe mich an Höhenwegen und Klettersteigen versucht und auch an mehrtägigen Hüttenwanderungen. Habe Rodelbahnen, Langlaufstrecken, Skiabfahrten getestet. Doch der berühmte Funke hat es leider nie bis zu mir geschafft. Ein neidischer Blick auf die Anderen und die Frage, wieso ich mich am Berg ständig fehl am Platze fühle, war alles, was ich empfand.

Bei mir weht der Ruf eindeutig aus dem Süden! Schon oft, eigentlich schon seit immer, träume ich davon, irgendwo am Meer zu leben. In meinen Vorstellungen sehe ich mich in einem kleinen Haus am Strand, das Meer des Südens direkt vor meiner Tür. Ich würde jeden Tag im Morgengrauen ein Bad im flachen, kristallklaren und natürlich wohl temperierten Meer nehmen, danach ein Spaziergang am menschenleeren Strand. Ich wäre sonnengebräunt, fit und rundum gesund. Alles wäre hell und leicht und selbstverständlich. Ich würde in meiner Hängematte Bücher lesen, der große Zeh im Sand zieht runde, perfekt geformte Kreise, unterbrochen nur von einem kleinen Nickerchen zwischendurch. Aus dem Nichts zaubere ich frischen, gegrillten Meeresfisch, ein eisgekühltes Glas Weißwein steht immer bereit. Swim Sleep Read Eat Repeat  – in Dauerschleife sozusagen. Ich hätte abends immer Lust meine Freunde zu sehen, zuerst ein Aperitif, dann Abendessen, Tanzen und ein nächtliches Bad im Meer. Geld würde natürlich keine Rolle spielen, es wäre einfach immer da.

Ich wollte nie aus den Bergen kommen, dabei bin ich mit den Bergen so eng verwurzelt. Die Tochter eines stolzen Schnalser Bauernsohnes, der sich ein Leben ohne seine Berge, seine Menschen, seine Musik und Tradition nie vorstellen konnte und wollte. Ich hingegen habe mich schon immer dagegen gesträubt: gegen Volksmusik, Almfeste und Knödel, gegen Heidi und den Anton aus Tirol. Habe mich am Ende jedes Meerurlaubs bereits nach dem nächsten Mal gesehnt. So sehr, dass ich es körperlich spüren konnte. Zurück daheim habe ich mich zumeist mit italienischer Musik in meine Höhle verkrochen, habe durch das italienische Fernsehprogramm gezappt und immer nach Pizza und Pasta verlangt – in der Hoffnung, das Gefühl der Weite und Freiheit, die mich am Wasser sofort erfüllt, nicht zu vergessen, mich selbst nicht zu verlieren. Der Blick aus dem Fenster, ein Blick auf Wände. Manchmal so intensiv, dass mir die Luft wegblieb …

Rasta from Jamaica in bavarian exile
Rasta from Jamaica do the raggaman style

(…)
All I want is dancing with you baby
All I want is dancing.

Der Berg ruft!

 

Ob mich der Berg ruft? 

Eine ehrliche Antwort … ein kleinlautes Nein

 

WEITERFÜHRENDES FÜR TAG SIEBZEHN:

* K2: Der Berg ruft (1994) 
* Luca Carboni: Mare Mare Mare (1992)
* „Terra Marique“ von Daniel Depellegrin in MORENESS #01 über Geschichte und Entstehung der Dolomiten. 
* „Heidi” von Johanna Spyri (1879) und „Heidi” von Zuiyo Eizo (1974)
Sirene Journal: Für alle, die das Meer im Herzen tragen.
* „Ein ganzes Leben“ von Robert Seethaler. Ein Roman über die melancholische Genügsamkeit eines Lebens in den Bergen. 

 Bild: Auszug aus MORENESS #01 – Above the Tree Line

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