Music

December 17, 2020

Ländliche Hustler: Von Seiten der Gemeinde x Da Kessl

Florian Rabatscher

Aus Tirol kommen vor Weihnachten noch besinnliche Klänge auf uns zu. Besinnlich? Naja, wir können uns wieder besinnen, wie Bombe doch die Tiroler Rap-Musik ist. Morgen, am 18.12.2020, kommt ein Release auf den Markt, bei dem nicht viel gekleckert, sondern dick aufgetragen wird, wie es sich nun mal bei diesem Genre gehört.
Die alpinen Hip-Hop-Schwergewichte Von Seiten der Gemeinde und Da Kessl melden sich mit einer Kollaboration, die wohl auch noch den letzten Lederhosen tragenden, Bier im Übermaß konsumierenden, Gülle anstatt Chanel tragenden Hinterwäldler zum exzessiven Kopfnicken zwingen wird. Glaubt es mir, es gibt kein Entkommen, sogar ein Traktor würde sich plötzlich in einen hüpfenden Lowrider verwandeln.  

„Be, be, be prepared. Drop die Kick, drop die Snare.“ – heißt es in der ersten Auskopplung und genau so fühlt es sich an. Seid ihr bereit für tighte Tiroler Mundart, gepaart mit fetten Killer Beats? Na, das hoffe ich doch, denn das ist es, was euch auf den sieben Tracks dieser Mörder-Scheibe namens „Pfau EP“ erwartet. Seit dem ersten gemeinsamen Konzert von „Von Seiten der Gemeinde„ und „Da Kessl“ im April 2014 spielten die beiden Mundart-Rap Bands weiterhin zusammen viele Konzerte in ganz Österreich, zelebrierten das „Geweihnachtsfest“ im Alten Kino Landeck und arbeiteten immer wieder miteinander an Songs. Der Wunsch nach einem Kollaborationsprojekt bestand schon seit längerem und im Sommer 2020 bot sich dann die Gelegenheit. Kurzfassung: Yo!Zepp, Mo Cess, Klaus Run, ChrisFader, Testa und Pirmin, sechs Tiroler, die ihre sieben Sachen packten, sich für einige Tage in einem alten Pfandfinder-Camp in ihrer Homebase Landeck verschanzten, ununterbrochen an Musik arbeiteten und nun ihre erste gemeinsame EP präsentieren. Der Name des Camps „Pfadi Au“ inspirierte sie übrigens zur Namensgebung „Pfau“. Aber nicht nur das, die Platte klingt auch noch so vielfältig wie das Federkleid dieser Tiere. Rap auf Tiroler Mundart? Vielleicht irgendein Comedy-Abklatsch? Weit gefehlt, das ist deep shit … Der breite Oberländer-Dialekt schmiegt sich nämlich perfekt an die ausgefeilten Turntable Beats. Für uns passionierte Dialektsprecher klingt das unglaublich, aber ich schwöre euch, komischerweise besitzt es auch noch einen derartigen Flow, dass sogar jemand, der die Sprache nicht versteht, sich trotzdem vor Begeisterung in die Faust beißen würde.PFAU EP Graffiti © Thomas Hofer 

Auch wenn das Jahr 2020 sonst nicht viel Gutes hervorbrachte, die musikalischen Releases waren es auf jeden Fall. Speziell das Label Duzz Down San glänzte soundtechnisch wie hochkarätige Gold Grillz im Mund eines Rappers. Kann dieses Label nicht auch einmal etwas Schlechtes releasen? Langsam wird’s echt ermüdend, denn es ist imstande, immer noch eins draufzusetzen. Wir berichteten erst Ende Oktober vom dunklen Industrial-Hip-Hop-Märchen „Mirrors“ von Spinelly, dann war da noch im März das Projekt Sonde 44, wo ebenfalls zwei Mitstreiter der Pfau EP involviert waren. Und nun die Krönung mit einer Platte, auf der wir Zeuge der wohl ersten Tiroler Hip-Hop-Super-Group werden. Ein Moment, der fast schon in die Geschichtsbücher eingehen sollte. Denn nicht nur der Sound ist jetzt schon legendär, es ist auch interessant, in welches Licht damit diese ländliche Gegend gerückt wird. Ich habe es bei Sonde 44 schon gesagt, dass ich Teil einer Tiroler Rap-Gang sein möchte und jetzt will ich es noch mehr. Was sind schon große Hip-Hop-Gruppen wie 187 Strassenbande? Ich meine, Hamburg City steht ja schon allein für sich und das ganze Gangsta-Gehabe wirkt oft nur noch lächerlich. Natürlich geraten diese Rapper ständig mit dem Gesetz in Konflikt und GZUZ-Verkaufszahlen werden wahrscheinlich in die Höhe schießen, wenn er jetzt schlussendlich im Knast sitzt. Doch diese EP ist eine Spur härter, weil sie es tatsächlich schafft, kleine Tiroler Kaffs auf die Hip-Hop-Karte zu packen. Ich glaube, deswegen kann man sich auch bei uns hier bestens damit identifizieren. Nach dem Genuss dieser EP dürfte es keine Schande mehr sein, aus einem verschlafenen Nest zu kommen. Kapuze auf, Kopfnicken, Arme verschränken und sich ganz ohne Scham als ländlicher Hustler fühlen. Großstädte wie Berlin oder Hamburg sollten sich lieber warm anziehen, denn aus den Alpen rollt eine kleine Hip-Hop-Revolution auf sie zu. Von nun an heißt es: Fäuste in die Luft und Props to Zams, Urgen, Imst, Landeck, Prutz und Stanz. Pilgert also zahlreich morgen ins idyllische Zams in Tirol, denn dort wird von 16:00–18:00 Uhr der „Pfau Merch Kofferraum Sale“ stattfinden. Mehr Style geht nicht, und dass nicht im Ghetto von Compton, sondern auf dem Venet-Parkplatz in Zams. Respect!Von Seiten der Gemeinde x Da Kessl - 2 © Thomas Hofer

Eine weitere Inspiration für das kreative Schaffen bei dieser EP war übrigens die Widerstandskämpferin Sophie Scholl, der die Unterkunft der Pfadi Au gewidmet ist. Ihr bekanntes Lieblingslied „Die Gedanken sind frei“ wurde zum Leitmotiv und half dabei, sich musikalisch frei zu machen und etwas komplett Eigenständiges und Originelles zu kreieren. Freie Gedanken und keine Schranken. Besser könnte man die Arbeit dieser sechs Herren nicht beschreiben. Hier wurde nicht nur guter Rap produziert, er wurde auch noch für ländliche Gegenden salonfähig gemacht. Irgendwelche Vergleiche wären hier völlig fehl am Platz, denn diese Szene steht von nun an für sich. Ein kleiner Schritt für die Jungs von „Da Kessl“ und „Von Seiten der Gemeinde“, aber ein großer Schritt für die Tiroler Rap-Community. Oder nicht? Ja, voll …

Fotos: Thomas Hofer

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