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December 4, 2020

Gemeinschaft neu definieren – eine antirassistische Kunstkritik

Eva Rottensteiner

Keine Kunst- oder Kulturinstitution in Italien hat sich je antirassistisch positioniert. Eine Unterscheidung zwischen „uns“ und „den Anderen“ gab es schon immer in der Kunst und Kultur. Orientalisierung heißt der Prozess, wenn sich die westliche Kultur als aufgeklärt und überlegen gegenüber dem Orient, „den Anderen“ darstellte. Schwarze Personen und People of Colour wurden als etwas Exotisches dargestellt, das nicht zu „unserer“ westlichen Gesellschaft gehört, sondern zu „den Anderen“. In der heutigen Kunst und Kultur ist das noch immer so, wenn auch subtiler. Der künstlerische Raum ist auch 2020 nur für ausgewählte Menschen offen, berücksichtigt nur ausgewählte Perspektiven und basiert nur auf ausgewähltem Wissen.

Für die diesjährige Ausgabe der AMACI Giornata del Contemporaneo am 5. Dezember 2020 will die Direktorin von Kunst Meran Martina Oberprantacher ein neues Zeitalter einleiten. „At the point of subversion (constituting the new normal)“, eine Videoperformance* der queer-feministischen Künstlerin Barbara Gamper* und der Schwarzen Aktivistin und Feministin Fouzia Wamaitha Kinyanjui*, hinterfragt dafür rassistische Machtstrukturen im italienischen Kunst- und Kulturbetrieb. Mehr noch – die zwei Frauen schaffen ein Gegenkonzept dazu. Wer darf sich einbringen? Wer redet und über wen? Wer darf Fragen stellen? Und wer antwortet? Wessen Erfahrung zählt? Und wer definiert überhaupt Wissen? 

Ein Interview mit zwei Frauen, die die Kunstwelt revolutionieren wollen.

Dass Kunst und Kultur bei uns in kolonialistischen Strukturen verwurzelt sind und immer schon mit Orientalisierung gearbeitet haben, steht außer Frage. Aber warum haben sich die italienischen Kunst- und Kulturinstitutionen bisher nicht mit ihrem eigenen Rassismus auseinandergesetzt? 

Barbara: Ich glaube, dass Italien sich nicht mit der eigenen Verantwortung in Bezug auf Kolonialismus auseinandersetzen will. Das Italien, das wir heute kennen, ist eine junge Nation und sieht sich oft selbst als Opfer von Faschismus und den Weltkriegen. In meinem Geschichteunterricht in der Schule wurde Kolonialismus in wenigen Stunden behandelt und als etwas, das schon abgehakt ist, vermittelt. Ich wuchs auf ohne zu wissen, welche Machtstrukturen heute noch vom Kolonialismus geprägt sind. Und ich glaube, dass Italien unglaublich langsam ist, das einzusehen und anzunehmen. Ich glaube auch, dass Italien große gesellschaftliche, ökonomische und strukturelle Probleme hat, die eine Weiterentwicklung verlangsamen.

010_At the point of subversion (constituting the new normal)_video still_Barbara Gamper & Fouzia Kinyanjui_2020_med res

Subversion heißt auf deutsch „Umsturz“ und „Widersetzung“: Wie geht Rassismuskritik in den eigenen Institutionen? Wie macht ihr das in eurem Projekt? 

Fouzia: Wenn der Wille da ist, diese Form der Diskriminierung einzusehen, ist es nicht schwierig. Ein großes Thema, das wir behandeln ist „power sharing“, also Macht teilen. Institutionen haben Macht. Auch Kunst Meran selbst ist eine Machtinstitution und hat hier gegenüber marginalisierten Gruppen eine Machtposition inne, seit jeher. Aber noch bevor wir diese Institutionen anschauen konnten, mussten wir schauen, wie die Machtverteilung zwischen uns zwei ist: ich als Aktivistin, Barbara als Künstlerin, ich als Schwarze Frau, Barbara als weiße Frau, als weiße queere Frau. Dieses Verhältnis können wir nicht ignorieren und haben das so auch zu Kunst Meran gebracht. Mein Eindruck dort war, dass sie bereit sind, sich mit ihrer Machtposition auseinanderzusetzen. Für mich war das immer eine geschlossene Institution, die nur für wenige offen war. Denn Rassismus ist nicht nur das N*-Wort sagen, sondern passiert auf viel subtilere Weise. Daran möchten wir arbeiten und das ist hoffentlich der Anfang von Veränderungen. 

Vor dem eigentlichen Projekt habt ihr das Machtverhältnis zwischen euch besprechen müssen. Wie war das in eurem Arbeitsprozess? 

Fouzia: Für uns war klar, dass wir in zwei unterschiedlichen Positionen sind. Die Arbeit bestand darin herauszuarbeiten, wie wir ausgehend davon ein Verhältnis herstellen können, wo wir uns auf Augenhöhe begegnen.

Barbara: Wir kennen uns seit ungefähr zwei Jahren und, ich denke, es ist essentiell, zuerst mit sich selbst anzufangen, um dann in Dialog treten zu können. Die Verteidigungsmechanismen, die wir als weiße Personen oft durchleben, wenn wir mit unserem „Weiß-Sein“ konfrontiert werden, müssen schon durchgearbeitet sein. Wir sind auch Kompliz*innen und reproduzieren rassistische Strukturen. Bei dem Treffen mit Martina und Anna von Kunst Meran hatte ich den Eindruck, dass wir in der Hinsicht schon unsere Hausaufgaben gemacht haben. Und wenn Frauen zusammenkommen, die sich ein Stück weit von den Fesseln befreit haben, die unsere Körper betreffen und in denen wir sozialisiert wurden, dann können wir zusammen etwas verändern. Wenn Frauen die Welt regieren könnten, was wäre das wohl für ein schöner Ort.

Fouzia: Dann muss das aber auch eine nicht-patriarchale Welt sein. Denn auch manche Frauen reproduzieren patriarchale Strukturen, das dürfen wir nie vergessen. 

Was waren eure Rollen in dem Arbeitsprozess? 

Fouzia: Ich habe noch bei keinem künstlerischen Projekt mitgemacht und war total fasziniert von dieser Welt, in der man sich frei bewegen und ausdrücken kann. Meine Rolle war es, meine Stimme einzubringen. Das Konzept war einen Raum für die Stimmen zu schaffen, die normalerweise nicht gehört werden. Meine Aufgabe war es Fragen zu stellen, für die oft kein Platz ist oder die unangenehm sind. Dabei war ein bewusster Schritt, mein Gesicht nicht zu zeigen, sondern nur meine Stimme und zu schauen, was das macht. Was macht das, wenn man die Schwarze Person nicht sieht. Es ist Zeit, dass unsere Stimmen gehört werden, weil die so lange unterdrückt worden sind. Das wird ein Unwohlsein beim Publikum erzeugen, weil nur Barbara gezeigt wird und man mich nur hört. Hier sollten die einzelnen Zuseher*innen hinterfragen, inwiefern sie mitdefinieren, wer gesehen und gehört wird. Jetzt müssen sie zuhören, sie haben keine andere Wahl.

Barbara: Unser Projekt ist intersektional. Wir arbeiten mit der Verschränkung von Kunst und Aktivismus und stellen Fragen zur Community, zwischen zwei Frauen, zwei Müttern, einer weißen Frau und einer Schwarzen Frau. Wir schauen uns an, welche Erfahrungen wir gemacht haben und wo sie sich treffen. Für den kreativen Prozess verwenden wir meine Fähigkeiten, also Performance und Video, um non-verbal auf Fouzias Fragen zu antworten. Wir möchten nicht einfach weiße oder Schwarze Antworten geben, das ist zu einfach für das Publikum. Der Dialog war unser Arbeitsprozess, den wir geteilt haben. 

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Ihr beide nutzt Partizipation als Element in eurer täglichen Arbeit, Barbara du in deiner Kunst, Fouzia du in deinem Aktivismus. Welche Rolle hat es hier in dem Projekt gespielt?

Barbara: Die Idee war eigentlich, eine live-Performance zu machen. Wegen des Lockdowns sind wir auf Video umgestiegen, wo wir die Rollen umdrehen: Fouzia stellt Fragen und ich antworte performativ. Eigentlich wollten wir das Publikum involvieren, was die Restriktionen aber nicht zulassen. Wir hoffen, im nächsten Jahr live performen zu können und so Partizipation schaffen zu können. Die Pandemie beeinflusst unser Projekt: die Art der Produktion, unsere Identitäten, care-giving und all das. Mit verschiedenen Herausforderungen zur gleichen Zeit umzugehen, gehört aktuell zur Realität vieler Menschen.

Wir sind sehr neugierig: Was ist eine der Fragen, Fouzia, die du stellst? Vielleicht kannst du uns eine kleine Vorschau geben … 

Fouzia: Ich kann nur mit der ersten Frage starten: Was ist Community? Den Rest möchte ich noch nicht preisgeben. Jeder interpretiert „Community“ auf eine andere Art und durch diese Eingangsfrage möchten wir jede*n Zuschauer*in auffordern, sich selbst zu hinterfragen, was das für eine*n selbst bedeutet. Als Barbara zum ersten Mal auf mich zukam, habe ich sie gefragt, was Community überhaupt bedeutet. 

Als zweiter Teil des Projekts war angedacht, dass du Fouzia die Rolle als Beraterin für Diversität und Inklusion bei Kunst Meran einnehmen wirst …

Fouzia: Das ist noch nicht sicher, wir schauen noch, was möglich ist. Kunst Meran wäre offen für eine solche Figur. Das muss nicht zwingend ich übernehmen, wichtig ist nur, dass sich jemand darum kümmert, solche Konversationen in Zukunft weiterzuführen. Es soll das Eis gebrochen werden, um über solche Themen reden zu können. Ich freue mich, dass sie bereit sind, und hoffe, dass mehr Institutionen diesen Schritt machen. Es ist 2020, wir haben keine Ausreden mehr. Wir wollen Aktionen sehen und Wandel. Das Problem sind oft Hindernisse, wie beispielsweise die Finanzierung. Das weiße System will sich aufrechterhalten, so ist das eben. Durch eine solche beratende Stelle versucht man die Dynamiken zu brechen. Hier müssen wir schauen, wer bereit ist, den wichtigen Schritt zu gehen, nicht nur für die Anderen, sondern für die eigene Institution, als Lernprozess. 

Fouzia Wamaitha Kinyanjui lebt in Lana und beschreibt sich als Aktivistin, Feministin und Mutter zweier Kinder. Sie organisiert Seminare, Beratungen und Workshops zu Diskriminierung und kritischem Weiß-Sein und gestaltet damit antirassistische Räume in der Südtiroler Gesellschaft.

Barbara Gamper kommt ursprünglich aus Meran und beschreibt sich als Künstlerin, die versucht mehr Aktivismus in ihre Kunst und Arbeit einzubringen, was sie auch als ihre Verpflichtung (auch) als Mutter sieht. In ihrer künstlerischen Praxis arbeitet sie mit Performance, Video und Textilien. Sie hat in London Bildende Kunst studiert und lebt seit kurzem in Berlin. 

Bilder: (1) At the point of subversion (constituting the new normal), sketch, Barbara Gamper + Fouzia W. Kinyanjui, 2020; (2) At the point of subversion (constituting the new normal), video still, Barbara Gamper + Fouzia Kinyanjui, 2020; (3) At the point of subversion (constituting the new normal), video still, Barbara Gamper + Fouzia W. Kinyanjui, 2020. 

Das Video wird am 5.12.2020 auf der Website von Kunst Meran Merano Arte veröffentlicht.

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