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December 2, 2020

E-Mail-Konversationen über Mode: Susanne Barta und Roland Novak #4

Susanne Barta

Zwei Dinge haben mich zu diesem Format inspiriert. Ein interessantes Gespräch mit Roland über Mode, Stil, Nachhaltigkeit, Männer- und Frauenmode im November 2019 im Café Hofer in Bozen (das es leider nicht mehr gibt) und die Konversationen auf Manrepeller zwischen Leandra Medine Cohen und ihrer Chefredakteurin Harling Ross über Fragen des Stylings. Manrepeller, kurzeitig umbenannt in Repeller, gibt es leider auch nicht mehr. Die Zugänge zu Mode von Roland und mir sind sehr unterschiedlich, die Begeisterung für das Thema aber verbindet uns. [Hier geht’s zu Teil 1, Teil 2  und Teil 3 der Konversationen.]

Susanne Barta Foto_2+3 

Roland schrieb am 20.11.2020

Liebe Susanne,

als ich neulich bei euch im Weinberg zu Besuch war, ist mir aufgefallen, dass die Arbeiter, aber auch der Weinbauer selbst, beim Rebenschneiden die Schere und sämtliches anderes Werkzeug in die Hosentaschen ihrer sichtlich ausgewaschenen und ausgebeulten Jeans verstauten oder bei Bedarf wieder hervorholten. Die Arbeit im Weinberg oder beim Mähen oder beim Schafe hüten auf der Alm ist nicht nur für den Menschen mit großem körperlichen Einsatz verbunden. Das, was er dabei anhat, was er auf seinem Körper trägt, muss einiges aushalten und gleichzeitig auch bequem sein. Da scheint eine Jeans genau das Richtige zu sein. Seit über 100 Jahren gibt es nun schon diese Art von Hosen aus festem Baumwollstoff. Getragen im frühen 20. Jahrhundert von Matrosen, Bauarbeitern, Bauern, Cowboys und zu unsterblichen Ruhm gebracht von den Goldgräbern und Minenarbeitern in den USA. Der Name Levi’s ist wohl am engsten mit ihnen verbunden, auch wenn der Gründer dieser Weltmarke eigentlich „nur“ die Patentrechte auf die Messingverstärkungen oder Rivets für die Taschen hat. Der Schnitt der 501 von Levi’s ist dennoch zum Inbegriff für die Jeanshose geworden. Sie war auch sicher eines der ersten Kleidungsstücke, das sowohl von Männern als auch von Frauen getragen wurde. Bei der Arbeit auf dem Felde gab es keine Geschlechtertrennung. Wie sich die Geschichte der Jeans anhört wird im Podcast von Heddels Blowout sehr gut erzählt.

Roland Novak Foto_4+5 

Als ich 2017 bei einem Kurzbesuch in Wien auf eine Studio D’Artisan SD-D01 in meiner Größe stieß, wusste ich bereits um die historische Bedeutung dieses Modells Bescheid. Das Buch von David Marx, „Ametora”, ist zum Verständnis des Japan-Kultes ab den frühen 1980igern sehr zu empfehlen. Mit der D01 begann 1986 die Phase des Markteintritts der sogenannten Osaka Five Labels, die für allerhöchste Qualität und detailgetreue Wiederbelebung der klassischen Jeans nach historischen Vorlagen standen und immer noch stehen.
Wie kommt aber dieses Bekleidungsstück in den hiesigen Weinberg? Die Generation, die um 1970 herum in Südtirol auf die Welt gekommen ist, dürfte sich vielleicht noch an eine Zeit erinnern, in welcher eine Jeans in den Läden Seltenheitswert hatte. Kannst du dich an deine erste Jeans erinnern? 

Susanne schrieb am 20.11.2020

Lieber Roland,
an meine erste Jeans erinnere ich mich leider nicht mehr. Woran ich mich aber erinnere, sind einige Modelle, die ich mir sehr gewünscht habe und dann auch zum Geburtstag oder zu Weihnachten bekommen habe. Kleidung gab es in meiner Kindheit, außer wenn es notwendig war, zu diesen Anlässen. Ich erinnere mich zum Beispiel an ein Jeanskleid in meiner Volksschulzeit, das ich, solange ich hinein passte, mit Begeisterung trug. Und an eine Jeans mit aufgestickten Blümchen und eine Latzhose. Allesamt Lieblingsstücke meiner Kindheit.
Jeans haben mich beim Aufwachsen begleitet. Ich erinnere mich auch an ein Modell aus meiner Gymnasiums-Zeit mit andersfarbigem Strich an den Außennähten, das war mal sehr „in“. Auch verschiedene Varianten der Jeans-Latzhose waren Teil meiner Jugend. Nach langer Pause besitze ich nun wieder eine, gefunden beim Nowherevintage-Kilo-Sale in Bozen. Sie ist von einer Marke, die ich nicht kenne, richtig dicker Baumwollstoff, ohne Elasthan. Ich trage sie zu unterschiedlichen Anlässen, unterschiedlich gestylt. Jeans kaufe ich heute nur mehr Secondhand oder von einem nachhaltigen Label. Die Produktion einer Jeans verbraucht etwa 7.000 Liter Wasser, dazu kommt noch jede Menge Chemie für Färbung und Waschung. Von der Produktion her also kein nachhaltiges Kleidungsstück. Außer man trägt die Hose viele, viele Jahre lang oder kauft Secondhand oder eben nachhaltig. Vor kurzem habe ich meine erste Jeans aus Hanf von der Südtiroler Brand „The Bad Seeds Company“ getragen. Nachhaltig produziert, ohne Zusatz von Elasthan, nicht stonewashed und toll zu tragen.

Susanne Barta Foto_6+7

Über die Jeans im Südtiroler Weinberg weiß ich leider nicht gut Bescheid. Ich bin in Tirol aufgewachsen, im nicht ländlichen Ambiente. Wie lange trägst du deine Jeans? Worauf schaust du beim Kauf?

Roland schrieb am 21.11.2020

Liebe Susanne,
mit dieser blauen Hose aus Baumwolltwill verbinde ich eine meiner frühesten Erinnerungen, was den Kauf von Kleidung angeht. Beeinflusst von den ersten Werbespots von Levi’s  – u. a. – in den frühen 1980igern ging ich damals selbstbewusst in ein Geschäft in der Rosministraße. Da ich aber damals schon zur Kategorie der sogenannten „Finti magri” gehörte, jenen Jugendlichen also, die immer die größte vorhandene Größe eines Bekleidungsstückes benötigten, wurde es keine der für mich zu schmal geschnittenen und teureren 501er, wohl aber eine etwas weiter und bequemer geschnittene, meinem Budget entsprechende Jeans aus italienischer Produktion. Da ich damals auch immer gerne Stiefel trug, war das Cowboy-Image dann doch in meinen Augen ganz ok.
Diese Hose, wie eigentlich alles, was ich damals anhatte, wurde bis zur Beinahe-Auflösung getragen. Auch weil immer die mütterliche Drohung im Raum stand, aufzupassen auf das, was man anhatte, denn die nächste Hose gibt es erst in einem Jahr oder so. Als Alternative gab es nur die bereits ein wenig abgescheuerte Cordhose, die aber den angepeilten Coolness-Faktor extrem senkte. Meine Beziehung zu Kleidung ist sicher dadurch sehr geprägt worden und vielleicht ist gerade diese Erinnerung an eine Zeit des „eingebildeten” Mangels der Grund für mein Interesse an Kleidung und der Suche nach besonderen Stücken. Eine Jeans, wenn ich die finde, die mir passt, wird sehr lange getragen.

Roland Novak Foto_8+9 

Ich horte allerdings auch meistens ein „ungetragenes” Exemplar genau dieses Modells, für den Fall, dass es einmal nicht mehr verkauft wird. Bei Jeans bevorzuge ich den mittelschweren (15 Unzen), ungewaschenen (raw) Denim. Vor einigen Jahren hatte ich auch das Glück, eine Hose aus einer Leinen- und Hanf-Mischung von „Freitag” zu erwerben. Eine ideale Sommerhose. Wenn ich ein neues Stück erwerbe, dann gab es da meistens schon eine Recherche im Vorfeld zu Rohmaterial, Verarbeitung aber vor allem zum Schnitt. In der Geschichte der Jeans gibt es immer wieder Pioniere, welche dem Denim einen neuen Schnitt verpassen. Vor kurzem konnte ich mit Alessio Berto von @tailorpatternsupport darüber sprechen. Er erklärte mir, welche Art von Denim sich für welche Schnitte besser eignen und welche nicht. Ich mag sie gerne hoch geschnitten und mit viel Platz im oberen Beinbereich und ein wenig enger (slightly tapered) im unteren. Auch ist der Cuff, also die Stulpe, sehr wichtig. Die muss schon eine bestimmte Länge aufweisen, da die Hose dadurch besser fällt. Überhaupt ist mir aufgefallen, dass die Jeans immer dann eine zentrale Rolle in der Bekleidung spielte, wenn sich auch gesellschaftlich etwas veränderte. So erhält sie gerade jetzt im Gesamtdiskurs zur Nachhaltigkeit doch eine prominente Rolle. Oder?

Susanne Barta Foto_10

Susanne schrieb am 23.11.2020

Lieber Roland,
die Jeans ist seit vielen Jahren aus unseren Kleiderschränken nicht mehr wegzudenken. War die Jeans historisch gesehen vor allem praktische Arbeitsbekleidung, ist sie heute ein Kleidungsstück für alle Lebenslagen. Der Trend der Mode zu mehr Bequemlichkeit, Stichworte Oversize, Athleisure, Normcore hält nun schon recht lange an und, ich glaube, wird auch nicht mehr verschwinden. Dazu kommt, dass Style-Inspirationen für Frauen verstärkt aus der Männermode kommen. Ich sehe das wie du, gesellschaftliche Veränderungen spielen hier eine große Rolle, vor allem die Veränderung des Frauenbildes.
In den Fokus der Nachhaltigkeitsdiskussion kam die Jeans, wie gesagt, durch ihren problematischen Produktionsprozess. Ich habe dazu vor einiger Zeit ein Gespräch mit dem Journalisten und Denim-Experten Kay Alexander Plonka auf meinem Blog geführt und auch ein Videogespräch für die GREENSTYLE aufgenommen. In der Zwischenzeit gibt es viele tolle nachhaltige Labels, die alles, was das Jeansherz begehrt, auch  nachhaltig anbieten, wie zum Beispiel Dawn Jeans, MUD Jeans, Nudie Jeans, The Bad Seeds Company … Auf meiner Kleiderstange hängen sehr unterschiedliche Modelle – hellblau, dunkelblau, weiss, schwarz, gerade geschnitten, Boyfriend Cut, Flare, Highrise … Wie auch immer man das Thema Jeans für sich gestaltet, eines finde ich wichtig: Hände weg von Fast-Fashion-Billig-Jeans. Ich bin keine strikte Gegnerin von Elasthan, da ich eine bequeme Sitzform sehr schätze und man das Material, wenn nur einige Prozent beigefügt werden, dennoch recyceln kann. Ich weiß allerdings, dass das für Denim Liebhaber, wie du auch einer bist, ein No-Go ist. Ich bewundere Leute, die hier alle möglichen Recherchen anstrengen und genau wissen, welche Modelle sie aus welchem Grund tragen möchten. Bei mir ist es eher so, dass die Jeans zu mir kommt als ich zu ihr.

 Roland Novak Foto_11+12 

Roland schrieb am 24.11.2020

Liebe Susanne,
ja, da wären wir wieder bei unserer Ausgangsfrage: Wie kommt die Jeans zum blauen Schurz? Dieses Bild ist schon seit Jahren fester Bestandteil meines Frühstücks. Da begrüßt mich immer der Ernst von der Milchpackung mit einem großen Milchfaß fest in seinen Händen. Und natürlich mit der Jeans und dem blauen Schurz. Diese Hosen kann man aber erst seit den frühen 1970iger Jahren auf Bildern von Landwirten bei der Arbeit erkennen. Davor gab es nur die Arbeitshose aus festem Wollstoff oder Leinen. Handgefertigt, natürlich, fürs Leben gemacht. Die Jeans ist da um einiges billiger; was die Haltbarkeit angeht, glaube ich, war die ursprüngliche Hose sicher besser. Die Kernmerkmale der Jeans, die kommerzielle Verbreitung, die Eigenschaften des Stoffes, haltbar und fest bei gleichzeitigem Tragekomfort, um nur einige zu nennen, haben diesem Kleidungsstück zu seinem Status als universales Kulturgut verholfen. Dass an diesem Stück auch sehr gut die Veränderungen einer Gesellschaft ablesbar sind, macht es umso interessanter. Der Ernst ist der beste Beweis dafür.

To be continued …

 Susanne Barta Foto_13

Fotos:
(1, 3)  © Susanne Barta;
(2, 4, 5) © Roland Novak: Studio D’Artisan SD-D01;
(6) © Susanne Barta: Latzhose Secondhand, Pullover aus recyceltem Jeansstoff 2ndLife (Untermarke The Bad Seeds Company), Schuhe Chloe (über 10 Jahre alt);
(7) © Susanne Barta: Jeans aus Hanf > The Bad Seed Company, Pullover > Secondhand Kleopatra, Gürtel > Chanel, Schuhe > JCrew (alt);
(8, 9) © Roland Novak: Pike Brothers;
(10 –13) © Susanne Barta 

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