Music

November 26, 2020

Brachiale Zen-Musik: Shame On Youth! releasen ihr Debütalbum

Florian Rabatscher

An meinen Ohren kleben immer noch Reste von trockenem Blut, als ich die Kopfhörer langsam herausziehe. Was ich gerade gehört habe, war das volle Brett. Aber geht es mir schlecht? Keineswegs, warum auch? Man geht doch auch in die Sonne, schwitzt und verdurstet beinahe und tut es trotzdem. Es gibt auch Leute, die ständig auf ihr Skateboard steigen, hundertmal hinfallen, sich alle erdenklichen Stellen aufschlagen und trotzdem, sie tun es. Besteigst du einen Berg, könntest du runterfallen, sogar wenn du nur dein Haus verlässt, könntest du überfahren werden, und trotzdem tun wir diese Dinge. Versteht ihr? Denn genau so ist es auch bei der Musik, die wir hören. Gefährliche Bands besaßen immer schon eine magische Anziehungskraft. Und morgen liebe LeserInnen, am Freitag, 27.11.2020, kommt Ärger auf uns zu. Verpackt in dröhnende Fuzz-Klänge, unglaubliche Gitarren-Solos, einen treibenden Bass-Sound und ausgefeilte Drum-Parts, sodass sogar Dave Grohl vor Neid erblassen würde. 
Shame On Youth! releasen nämlich über Go Down Records ihr Debutalbum „Human Obsolescence”, das wahrscheinlich wie ein Meteorit in eure Plattensammlung einschlagen und schon beim ersten Hördurchgang euren Plattenspieler in Schutt und Asche verwandeln wird. Angekündigt wurde es mit dem wahrscheinlich besten Teaser: das ganze Album in ein paar Sekunden in 10.000-facher Geschwindigkeit.Ich habe bereits in die Variante mit normaler Geschwindigkeit reingehört und kann euch verraten: Dieser Sound ist der Hammer, im wahrsten Sinn des Wortes. Er hämmert sich in deine Gehörgänge und pumpt damit die doppelte Menge an Blut durch deine Adern. Du fühlst dich wie ein Zwölfjähriger, der zum ersten Mal Red Bull trinkt und dem dabei wahrhaftig Flügel aus seinem Rücken wachsen. Meine Schwerhörigkeit ist gerade erst wieder abgeklungen, denn ich hatte schon vor zwei Jahren die Ehre über diese Band zu schreiben, und jetzt sind sie wieder da und mein Gehör wieder weg. Doch so soll es sein. Die Scheibe beginnt wie ein Science-Fiction-B-Movie und legt gleich los. Zeit für ein bisschen Solo-Headbanging in den eigenen vier Wänden. Es ist bereits dunkel draußen, während ich diese Zeilen schreibe, und mit sehnsüchtigem Blick wünsche ich mich an einen klebrigen Tresen, eingequetscht zwischen verschiedenste Freaks. Ein Gemisch aus Ammoniak und alten Alkoholresten beißt sich in meine Nase, während ich verzweifelt versuche, aus vollem Hals ein Bier zu bestellen, was bei dieser lauten Musik unmöglich ist. Vor einem Jahr noch eine Horrorvorstellung, doch genau jetzt sehnt man sich nach solchen Momenten … Diese Musik gibt mir wenigstens ansatzweise das Gefühl, wieder dort zu sein. Wo ist der Rock ‘n’ Roll hin? Ist er mit Corona verschwunden? Oder war er schon vorher tot? Ich kann mich nicht mehr erinnern … In diesem Album steckt er jedenfalls, doch nicht auf die altbewährte „Tutti Frutti, all rottie“-Weise, sondern dreckig samt sozialkritischem Unterton.   

Es ist der Sound der 80er, den man nicht gleich mit diesen Jahren verbindet. Also fernab von düsteren New Wave Beats und menschlichen Außerirdischen, die „Karma, karma, karma, karma, karma chameleon“ dudeln. Auch weit entfernt vom damaligen Glam Rock mit harten Rockern, die mehr Haarspray als ihre Freundinnen verwendeten. Es ist dieser Old-School-Punk-Vibe von Bands wie Black Flag, Circle Jerks oder Adolescents. Man fährt bunte Skateboards, trägt unfassbar kurze Jeans, kniehohe weiße Socken, passende Hitop Sneakers und Jeansjacken mit so vielen Band-Aufnähern, dass man vom Stoff nichts mehr sieht. Sogar das Albumcover passt zu dieser Zeit, weil die Designs stark an Raymond Pettibons Werke für Black Flag erinnern. Als ich vom Album den Song „Seed“ höre, fällt mir erst auf, dass sich noch mehr in diesem Sound verbirgt. Er ist gefährlich und trotzdem irgendwie ruhespendend. Die Spiritualität des Stoner Rock trifft auf das Rotzige des Punk Rock. Oder einfacher gesagt: Brachiale Zen-Musik. Dieses Monster vereint irgendwie den Sound von Fu Manchu mit dem der Backyard Babies. Genau so hätten Nick Oliveris Solo-Sachen klingen müssen, tun sie aber leider nicht. Das Album klingt wirklich, wie man es sich von ihnen erwartet hätte, mit dem feinen Unterschied, dass diese Aufnahme Bombe ist und die Band sich technisch stark entwickelt hat. Shame On Youth! haben diese animalische Energie, die man live von ihnen kennt, tatsächlich in ein Album gepackt.  ShameOnYouth2Natürlich legst du dir so eine Platte nicht während eines romantischen Candle Light Dinners oder zum Entspannen vor dem Kaminfeuer auf. Es geht schon eher in Richtung gemütliches Besäufnis unter Freunden. Aber ist das schlimm? Ich finde nicht, denn auch solche Momente gehören zu unserer Auffassung von Musik dazu. Man will doch nicht immer die sogenannte hohe Kunst der Klänge zu hören bekommen, oft muss es wirklich wieder einfach mitten in die Fresse sein. Wahre Helden sind nicht nur Michael Jackson oder Phil Collins, sondern auch Iggy Pop oder Lemmy von Motörhead. Eine wahre Wohltat in Zeiten versetzt zu werden, in denen dich jeder schief angeschaut hätte, wenn du behauptet hättest, dass man in Bars irgendwann nicht mehr qualmen dürfe. Trotzdem gewöhnt man sich an alles, auch an Besserwisser mit ihrer Political Correctness, zum Beispiel. Doch wenn ich diesen Sound höre, weiß ich wieder, was es heißt, seinen Kopf einfach an die Wand zu knallen und darüber zu lachen.

Vergesst also schwafelnde Politiker, verschwörerische Hippies, militante Weltverbesserer, denn es geht ja sowieso alles den Bach hinunter. Betäuben wir lieber unser Gehör, während wir wie Bescheuerte tanzen und erheben wir unser Discounter-Dosenbier auf den gröhlenden Gitarrero Ace T, den Punrock-Sechssaiter-Virtuosen Georgy Lee Lewis, den unheimlich brummenden Bassisten Teo Kowa und die Krake an den Drums, Fede Threepwood. Zusammen sind sie Shame On Youth!, die morgen ein Album auf den Markt bringen, das einen Sound in sich birgt, auf den viele schon gewartet haben. Die Hoffnung stirbt also wirklich zuletzt. The Show Must Go Wrong. 

Fotos: Shame On Youth!

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