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November 18, 2020

Chi la dura la vince – The Bad Seeds Company

Susanne Barta

Es gibt Geschichten, die sind so spannend und vielfältig, dass man erst mal begeistert ist und gar nicht weiß, wo anfangen mit dem Erzählen. So geht’s mir hier. Die Südtiroler Brand The Bad Seeds Company ist mir das erste Mal auf der Ecotex in Klausen aufgefallen: Zwischen überwiegend recht wenig ansprechenden Ständen, plötzlich Jeans und Jeansjacken aus Hanf mit tollem Style. Vor kurzem besuchte ich die Gründer der Brand Barbara Trenti und Andreas Geier in ihrem Geschäft/Büro/Schneiderwerkstätte in Neumarkt.

Susanne Barta @ The Bad Seeds Company

Am besten beginne ich so: Barbara und Andreas haben sich über die Musik kennengelernt. Musik machen sie auch heute noch, aber dabei blieb es nicht. Zunächst eröffneten sie in Leifers ein Strickcafé, mit Schneidereibereich, der Möglichkeit, Wolle von Südtiroler Bergschafen zu kaufen, gemeinsam zu stricken, was Gutes zu trinken, und dazu gab es am Wochenende Live-Musik. Von der Wolle und der Beschäftigung mit dem nicht unproblematischen Wollproduktionsprozess kamen sie zu Hanf. Erst zog es die beiden mit ihrem Hanf-Mode-Projekt nach Hamburg, dann ging es 2018 zurück nach Südtirol. Mode aus weiteren nachhaltigen Materialien und die Entwicklung eigener Designs kamen dazu. Über die Beschäftigung mit dem Hanf für die Textilproduktion begann sich das innovative Duo mit weiteren Möglichkeiten des Materials zu beschäftigen und das führte zum Anbau von Hanf in der Nähe von Venedig. In der Zwischenzeit arbeiten die beiden intensiv am Thema Hanf als Plastikersatz und Andreas ist auch in ein Projekt zur Entwicklung von Hanfziegeln involviert.

The Bad Seeds Company

Nachhaltig und fair

Die Einzelstücke der Brand werden vor Ort in Neumarkt produziert, die Nähmaschinen stehen im Geschäft. Barbaras Tante war Schneiderin und hat ihr viel beigebracht. Auch Tochter Sophia sitzt schon an der Nähmaschine und arbeitet mit. Die Hanf-Jeans werden in Molise in einer kleinen „Jeanseria“ genäht. Dann gibt es noch die Untermarke „2ndLife“, die u. a. Pullover und Jacken aus recycelter Baumwolle anbietet. Dazu werden alte Jeans geschreddert, zu einem Vlies verarbeitet, daraus wird ein neuer Faden gedreht, der dann weiterverarbeitet wird. Das Garn wird in Prato hergestellt, die Pullover in Lecce. Alles fair und nachhaltig. Barbara ist Biologin und achtet streng darauf, dass das, was versprochen wird, in der Produktion auch gehalten wird. The Bad Seeds Company ist PETA-Approved Vegan.  

 The Bad Seeds Company Neumarkt

Und was hat es mit dem Namen auf sich?

Bad Seeds, schlechte Samen, ist ja nicht unbedingt ein Brand-Name, der auf Anhieb Vertrauen erweckt. Aber da sind die beiden cool. Hanf war eben lange negativ besetzt und auch wenn nichts „bad“ ist an ihren Materialien – ganz im Gegenteil, setzen sie sich so vom Mainstream ab, auch vom nachhaltigen Mainstream. 

„Hanf ist eine sehr nachhaltige Pflanze, sie produziert viel Sauerstoff und hat viele tolle Eigenschaften“, erzählt Barbara. Hanf ist auch eine schnell wachsende Einjahrespflanze, braucht kaum Pestizide und Herbizide und ist sparsam, was den Wasserbedarf angeht. Gleichzeitig gilt Hanf als Verbesserer der Bodenstruktur und der Bodenfruchtbarkeit. Kleidungsstücke aus Hanf sind angenehm zu tragen, zu pflegen und das Material ist atmungsaktiv. Der Hanf, den die Bad Seeds Company verarbeitet, wird bisher von einem zertifizierten Hersteller aus Osteuropa eingekauft. Das Material sei zunächst eine große Herausforderung für die Näherinnen gewesen, denn der Jeans-Denim ist ziemlich dick, bewusst wird kein Elasthan dazu gegeben. „Wir machen ihn auch nicht stone washed, sondern weichen den Stoff nur in Wasser ein, damit er die Farbe behält.“ Barbara hat viel ausprobiert, bis das Ergebnis so war, wie sie sich das vorgestellt hat. Und sie sagt: „Um all das durchzustehen, brauchst du Mut. Aber: Chi la dura la vince.“ Susanne Barta Foto_7 

Zwischen cooler Streetwear und individuellen Einzelstücken

Verkauft wird im eigenen Shop in Neumarkt, auf Messen und online. Bald auch in Geschäften in Cortina und Hamburg. „Die Jeans-Kollektion ist ein Evergreen: High-Waist-Jeans, Latzhose und Jeansjacken. Hoodies, Pullover und Shirts wechseln“, erzählt Barbara. Dazu kommen noch Einzelstücke. Die kann man sich auch maßgeschneidert anfertigen und seit neuestem auch besticken lassen. Für den Stil ist vor allem Tochter Sophia zuständig, Barbara als Nachhaltigkeitsexpertin achtet auf Materialauswahl und Produktion. Ethisch fair, nachhaltig und stylish zu sein, das ist der Anspruch, den sie an ihr Label haben.The Bad Seeds Company Egna

Von der Mode zum Plastikersatz

Letztes Jahr haben Andreas und Barbara begonnen 82 Hektar Hanf in der Nähe von Venedig anzubauen, verschiedene Sorten, Anbau- und Erntemethoden auszuprobieren und auch eine eigene Erntemaschine zu entwickeln. „Seit zwei Jahren arbeiten wir gemeinsam mit internationalen Partnern an dieser Maschine, die es ermöglicht Hanf sofort zu verarbeiten“, erklärt Andreas. Die Maschine trennt die Blüte von den Samen, auch den Stiel und das Hanfholz von den Fasern, wobei die Fasern ganz bleiben. „Das war bisher nicht möglich ohne Beifügen von Chemie.“ Diese Verarbeitung erlaubt es auch, das Grundmaterial für Hanf-Ziegelsteine zu produzieren, die ein wertvolles Baumaterial der Zukunft sein können. Aber das ist noch nicht alles: Hanfholz, das eigentlich als Abfall gilt, kann zerkleinert und entwässert werden, so dass trockenes Pulver entsteht. Dieses Pulver kann als Expansionsmittel für Polymere eingesetzt werden. „Das ist revolutionär“, sagt Andreas, „denn so kann man zum Teil oder zur Gänze den fossilen Anteil im Plastik ersetzen“. Hanf ist also auch eine umweltfreundliche Alternative zu Kunststoff. (Anmerkung: Kunststoffe bestehen aus Polymeren. Polymere sind hochmolekulare chemische Verbindungen, sogenannte Makromoleküle aus wiederholten Einheiten, die „Monomere“ genannt werden.) „Man kann nur 20 oder 30 Prozent Hanf beigeben, man kann aber auch reinen Hanf verwenden und Polymere mit natürlichen Beigaben herstellen.“ Einige Prototypen, die als Kosmetik-Tiegel verwendet werden können, habe ich gesehen und in die Hand genommen. Schauen gut aus und fühlen sich auch gut an. Für alle weiteren Anwendungen empfehle ich mit Andreas direkt zu sprechen.The Bad Seeds Company Foto_10 

Was noch fehlt? Kapital, um die Erntemaschine ganz fertig zustellen. „Eine ähnliche Maschine gibt es bereits in Kanada, der Erfinder ist auch an unserem Projekt beteiligt“, sagt Andreas. Und Investoren, um den Prozess Hanf als Kunststoffersatz zu nützen und in die industrielle Umsetzung zu bringen.

Nochmal zurück zum Hanf für die Textilproduktion. „Soweit, um Textilien aus unserem Hanf herzustellen, sind wir noch nicht“, erzählt Barbara. Da gibt es noch einige Stolpersteine. Für die Produktion braucht es Bakterien und wo Bakterien sind, da kommen auch Larven und Maden dazu. Wenn man Hanf im größeren Stil verarbeitet, kommen eine Menge Larven und Maden zusammen, die man zwar für Fischfutter verwenden kann, aber das Material wird nicht mehr als vegan anerkannt. Bisher braucht es daher eine Behandlung des Hanfs mit Laugen, um als vegan zu gelten. Wie komisch die vegane Welt doch ab und an ist: lieber chemische Behandlungen als Larven für Fischfutter und keine Chemie. Aber so schnell geben Andreas und Barbara auch hier nicht auf, es wird weiter getüftelt. Auch dazu braucht es noch weitere Investitionen. „Das Thema interessiert internationale Investoren sehr, aber wir haben an unsere Investoren ethische Ansprüche und akzeptieren nicht alle“, sagt Andreas.

 The Bad Seeds Company Neumarkt (c) Susanne Barta

Neue Ideen für ihr Label und das Material Hanf haben die beiden nach wie vor jede Menge. Und die Energie und das Durchhaltevermögen weiterzuarbeiten. Corona macht aber auch der Bad Seeds Company zu schaffen. Der Laden ist vorübergehend zu und online läuft gerade wenig. Die Brand wäre auf der Biolife im Rahmen des GREENSTYLE Pop-ups mit dabei gewesen. Daraus wurde Corona bedingt nichts. Vor Weihnachten wird der Laden hoffentlich wieder aufgesperrt. Ich kann euch nur ans Herz legen, vorbeizuschauen. Es lohnt sich.

Susanne Barta - sustainable fashion blog

Und zu guter Letzt noch ein Song, den Barbara und Andreas im ersten Lockdown aufgenommen haben: Barbaras musikalisches Alter Ego Geena B Valentine mit dem Song „Just one word“. 

 The Bad Seeds Company Foto_15 

Fotos: (1) © The Bad Seeds Company; (2) Barbara Trenti und Andreas Geier © Susanne Barta; (3–6) © The Bad Seeds Company; (7­–9) © Susanne Barta; (10) © The Bad Seeds Company; (11+12) © Susanne Barta; (13+14) © Susanne Barta; Jeans aus Hanf  > The Bad Seeds Company; Rolli und Pullover > CORA happywear; Schuhe > Outlet Rizzolli; Mantel > Vintage, Schal > Arket;1 Tasche > Maravillas Bags; (15) © The Bad Seeds Company.

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