Music

November 13, 2020

Von Maschinen-Stimmen und Genre-Sprüngen: Ed Golfo

Florian Rabatscher

Es liegt gut einen Monat zurück, als es noch diese zutiefst verstörende Pandemie-Variante von Konzerten gab: Sitzkonzerte. Die Art von Veranstaltungen, die ich eigentlich meiden wollte. Doch der kalte Entzug trieb mich dazu, diesen so synthetisch wirkenden Ersatz in Kauf zu nehmen. Es ist nicht dasselbe, aber immer noch besser als nichts. (… ungefähr wie Methadon, veganer Fleischersatz oder alkoholfreies Bier … – wie ich diese falschen Biere verabscheue, aber nicht einmal die wurden bei diesen Konzerten ausgeschenkt. Himmel, diese Corona-Verordnungen!) Wie ich also so dasitze und mich frage, warum ich mir das eigentlich antue, betritt ein Mann die Bühne, der mich den ganzen Schlamassel schnell vergessen lässt.

Sein Name: Ed Golfo.
Sein Auftreten: Äußerst schlicht.
Seine Musik: Nicht von dieser Welt.

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Ich lehne mich zurück und genieße die Show. Die Bühne scheint viel zu groß für eine einzige Person, doch er füllt sie allein mit seinem Groove aus. Man könnte meinen, ein Alleinunterhalter könne nur mit allerlei Schnickschnack und einem extravaganten Auftreten überzeugen. Falsch gedacht. Dort oben steht ein eher unauffälliger Mann, bewaffnet mit einer Gitarre, einem Studiomikrofon samt Pop-Up-Schutz, einem Laptop und einer wild ausgewachsenen Beatles-Tolle auf dem Kopf. Ja, Solo-Künstler liegen immer noch voll im Trend und es gibt sie in verschiedensten Formen, als üblichen Bob-Dylan-Verschnitt oder verrückten Typen, der zehn Instrumente gleichzeitig spielt. Von dieser Sorte hab ich einige gesehen – einmal sogar einen alten Kauz, der zudem eine Flöte in der Nase stecken hatte – also weiß ich, wovon ich spreche.

Bei Ed Golfo spricht jedoch allein der professionelle Sound für sich, es scheint, als ob er live ein ganzes Studio dabei hätte. Musik auf höchstem Niveau, wenn ich das behaupten darf, die sofort in die Knochen geht, doch tanzen ist leider nicht erlaubt, obwohl es immer schwerer fällt, dem Drang zu widerstehen. Man fühlt sich beobachtet, fast schon angeklagt und hat Angst sich zu bewegen. Ich schnippe deswegen unauffällig mit den Zehen mit, denn ich kann das, wirklich. Ich merke aber schnell, dass Ed Golfo auch die anderen Leute mitreißt und der ganze Druck verschwindet … 

Als schließlich seine letzte Auskoppelung „Mistakes“ erklingt, schießen mir während des äußerst eingängigen Hooks verschiedenste Gedanken durch den Kopf: eine Stimme, die durch einen Vocoder läuft und dazu neuartige funky Discomusik – echt jetzt? Das ist übertriebener als John Travoltas Schmalzlocke in Saturday Night Fever und ich liebe es. Es erinnert stark an die Klänge von Daft Punk, aber hat trotzdem seinen eigenen Charakter. Vor meinem geistigen Auge erscheinen riesige Discokugeln, Anzüge in den unmöglichsten Farben, Superdiven, Drag Queens, Kokain schnupfende Yuppies und das dekadente Studio 54. Einfach gesagt: Es ist ein Fest und Vocoder sind doch das legendärste Stimm-Tool überhaupt, nicht wahr? Dieses Stimmfeld zwischen Mensch und Maschine fand ich immer schon genial. Nicht umsonst findet man diesen Effekt auch unter den Werken von so manchen Legenden, wie Kraftwerk oder Giorgio Moroder. Bereits in den 60er Jahren, als die Komponistin Wendy Carlos für Clockwork Orange Beethovens „Ode an die Freude“ durch einen Vocoder jagte, verlieh es sogar diesem Klassik-Stück einen futuristischen Glanz, obwohl es natürlich heutzutage eher ulkig wirkt.

Trotzdem: Warum benutzt das eigentlich fast keiner mehr? Ach stimmt, es wurde ja von seinem Nachfolger dem nervigen Auto-Tune ersetzt … Ich könnte weinen. Cher, ich verfluche dich und deinen von Auto-Tune durchtränkten Hit „Believe“, der uns das alles wahrscheinlich eingebrockt hat. Aber zurück zu Ed Golfos Song „Mistakes“, einen Song, den man laut hören sollte. Obwohl der Gesangspart immer derselbe bleibt, wirkt er nie so. Grandiose Steigerungen, jeder Sound-Schnipsel sitzt und am Ende wirkt der Song fast schon irgendwie vertraut. Ein French-House-Classics-Future-Funk-Mix, als ob buntes Konfetti aus deinen Boxen schießen würde. Magnifique!


Ed Golfo heißt im wirklichen Leben Andrea Garofalo, stammt aus Trient und lebt mittlerweile in unserer Hauptstadt. Also: Was inspiriert jemanden in unserer alpinen Gegend zu so einem Sound? Nach über zehn Jahren als Mitglied der Trientner Alternative-Rock-Band „Alchimia“ und in weiteren etlichen Projekten als Gitarrist an zweiter Stelle, hat sich Andrea nun als Ed Golfo in etwas Spannendes verwandelt. Er widmet sich völlig seinem eigenen kreativen Geist und verblüfft uns damit. Er liebt es anscheinend sich in andere Erfahrungen zu träumen, vertont und verbildlicht es, wie übrigens sein neuestes Video „Nuguinea“ beweist. Dieses verträumte Stück klingt völlig anders als „Mistakes“ und wurde vom Künstler Marco Monfardini visuell umgesetzt. Für den Schnitt griff dieser übrigens auf das Sync Film Archive zurück, das mehr als 10.000 Amateurfilme aus den 1920er bis 1980er Jahren enthält. Man sieht also, der ganze Kram wird wieder ernst, Musik ist wieder im Aufwind.

Was uns wohl als nächstes von Ed Golfo erwartet? Man weiß es nicht, aber neue Stücke sind schon in Arbeit. Behaltet diesen Künstler also lieber im Auge, denn von ihm kommen noch außergewöhnliche Genre-Sprünge auf uns zu, so viel ist sicher.

Fotos: Omar Calderone

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