Music

November 5, 2020

Die dunkle Seele des Rap: Kolorphobia

Florian Rabatscher

Kennt ihr Musik, mit der man eigentlich nichts anfangen kann, aber sie trotzdem irgendwie anziehend findet? Sound, der einen wahrhaft fasziniert, allerdings im Fall, wie ein Autounfall fasziniert. Versteht ihr? Natürlich ist nichts mehr neu im digitalen Zeitalter, weil dieses uns mit so viel schräger Musik überschwemmt, dass uns scheinbar nichts mehr überrascht. Bei Rock dauerte es Jahrzehnte, bis er immer seltsamer wurde und ziemlich skurrile Genres hervorbrachte. Nun ist Rock ausgelaugt und fast schon tot. Zählt man die heutigen Verkaufszahlen, wurde er von Hip-Hop regelrecht abgelöst und überrollt. Und genau diese Musikart ist in den letzten Jahren zu einem vielschichtigen Frankensteinmonster mutiert und bietet uns immer extravagantere Subgenres. Ob es nun eine völlige Entgrenzung der Genres oder bloß ein wilder Aufguss alter popkultureller Phänomenen ist, sei dahingestellt. Jedenfalls stehen wir einer Generation gegenüber, die sehr schnelllebig und auch sehr vergesslich ist. Ihr Sound ist eine Art Vermischung, nichts Ganzes, nichts Halbes, ein Hybrid, das unendlich viele musikalische Aspekte in sich auffasst. Nennt es, wie ihr wollt: Trap, Emo-Rap, im Grund ist es einfach Musik.

Bewegen wir uns also einen Schritt weg von der verzweifelten Genresuche und beleuchten ganz einfach das Hirn eines Innsbrucker Künstlers, der sich auch vom Rock losgesagt hat und nun seine Kreativität in den Weiten verzerrter Trap-Beats auslebt. Viele kennen ihn vielleicht noch als Christopher Jais, den Gitarristen von Tripsitter, doch nun hat er sich in Kolorphobia verwandelt, den düsteren obskuren Rapper aus der Schattenwelt. Seit Anfang des Jahres hat er damit begonnen ohne großes Tamtam und wie aus dem Nichts einzelne Tracks ins World Wide Web hochzuladen. Immer in Begleitung von Fotos oder Covern, die eher einer LoFi-Black-Metal-Auskopplung zuzuordnen wären. Sein Sound und sein Auftreten verwirrt auf viele Weisen und genau das ist der Punkt. Ich sehe schon viele erhobene Zeigefinger und große Fragezeichen in den Augen der Hörer. Was, zum Teufel, soll das bitte sein? Man kennt es nicht, hört aber genau deswegen vielleicht nochmal rein. Denkt an die trashigen Horrorfilme wie „Freitag der 13“: Man weiß vorher schon, dass man keinen Blockbuster zu erwarten hat, und doch sieht man ihn sich an. Die unerklärbare Anziehungskraft der Ungewissheit. Ob es nun gut ankommt oder nicht, ist Kolorphobia völlig egal. Er folgt keinen musikalischen Regeln und macht, was er will. Trotzdem, auch negative Reaktionen sind Reaktionen und du weißt, dass du etwas richtig machst. Der Sound muss nicht wie der Rest aus dem Radio sofort eingängig sein, er soll sogar strange und etwas verstörend wirken. Ein besonderer Vibe, wenn man so will. Sein tiefstes Inneres steckt nämlich darin, das, soviel sei schon mal verraten, nicht aus Gummibärchen und Einhörnern besteht. Versteht mich nicht falsch, seine Texte handeln auch nicht ausschließlich von Blut, Leichenschändung oder dem Teufel. Es ist eben kein Happy-Sound, aber auch kein Hilferuf eines pubertierenden, depressiven Jugendlichen. Sehen wir es als Bestandsaufnahme der Realität. Denn man muss sich nicht wie Slayer Bilder einer fiktiven Hölle zusammenbasteln, wenn man längst schon darin lebt. Deshalb hat sich Kolorphobia für sein anstehendes Album ein tiefgründiges lyrisches Konzept ausgesucht: Die neun Kreise der Hölle aus Dantes Inferno. Jeder Song darauf wird sich einem dieser Kreise widmen und in die Moderne übersetzen. Natürlich so unterschwellig und versteckt, wie es nur möglich ist, um unsere (denkfaule) Gesellschaft dazu einzuladen, wieder einmal die grauen Zellen zu beanspruchen.

Soundtechnisch wird sich Kolorphobia auch in Zukunft nicht festlegen. Warum auch? Von Industrial, Hip-Hop, Trap und was weiß ich noch, wird er alles einfließen lassen, wie es ihm beliebt. Wer sich aber doch noch beinahe die Haare ausreißt, weil er unbedingt eine Genrebeschreibung für Kolorphobia benötigt, dem würde ich „Horrorcore“ nahelegen. Der obskure und dreckige Bastard von Rap, der Abseits vom Mainstream viele interessante Künstler wie Ghostemane, Bones, $uicideBoy$ oder Scarlxrd hervorbrachte. Witzigerweise entspringt diese verstörende Musikform genau dort, wo der Rock’n’Roll zu Grabe getragen wurde, aus Memphis, Tennesse. Dort, wo Elvis Presley für immer seine Augen schloss, überrollte uns in den 90ern dieser monotone Rap, mit düsteren Beats samt Maschinengewehr-Hi-Hats und Snare Rolls von der Rap-Combo „Three 6 Mafia“. Maßgebend für den Sound, der jetzt von Leuten wie Kolorphobia auf ein neues Level gebracht wurde.

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Also, an alle alteingesessenen Musikexperten: Denkt nicht, ihr hättet alles schon gehört oder Musik würde sich nicht weiterentwickeln. Kolorphobia ist ein weiteres Beispiel, dass wir längst nicht am Ende angelangt sind. Wir haben keine Vorstellung davon, wohin es sich entwickeln wird … Wir können auch gar nicht wissen, wie neue Musikformen klingen werden, und genau deshalb sind sie auch neu. Aussagen – wie das alles wäre doch keine Musik mehr oder kein originaler Rap oder einfach nur schlecht, denn früher war ja alles besser – gab es schon immer. Oder denkt ihr Punkrock wurde in seinen Anfangszeiten von allen sofort hochgelobt? Das war einfach der Sound einer anderen Generation, die sich jetzt von der neuen Welle angekotzt fühlt. Der Kreislauf der Musik. Zu Kolorphobia bleibt noch zu sagen: Hasst es, liebt es oder ignoriert es, völlig egal … jedes Gefühl ist willkommen. I D o N t c A r E a B o u T t H e o T h e R s 

Fotos: Kolorphobia

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