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October 28, 2020

„Überzeugt, dass das der richtige Weg ist“ – Thomas Mur, Direktor Messe Bozen

Susanne Barta

Die Messe Bozen hat sich vorgenommen, die nachhaltigste Messe Italiens zu werden. Das wurde auch in den strategischen Zielen verankert. Messeveranstalter haben es ja nicht leicht in Pandemie-Zeiten. Nicht, dass es irgendjemand leicht hätte, aber Veranstalter trifft Corona besonders hart. Zunächst musste alles abgesagt werden, dann braucht es aufwendige Sicherheits- und Hygienekonzepte, um analoge Begegnungen wieder möglich zu machen. Wie wichtig diese Begegnungen sind, habe ich vor kurzem auf der nachhaltigen Mode- und Lifestyle-Messe Wearfear in Linz erlebt. Es war für mich die erste Messe nach dem Lockdown. Die Stimmung war gut, soweit ich gesehen habe, hat sich jeder an die vorgegebenen Hygieneregeln gehalten, es waren etwas weniger Besucher als im Jahr zuvor, auch die Umsätze gingen bei den Austellern etwas zurück, aber es wurde gekauft, geredet, Kontakte geknüpft und Erfahrungen ausgetauscht. Alles in allem ein positives Erlebnis. Und positive Erlebnisse braucht es jetzt. Ich persönlich fühle mich ja sicherer auf einer gut organisierten Großveranstaltung als ab und an in den letzten Wochen in den schmalen Straßen der Bozner Altstadt, wenn gefühlt halb Italien, Österreich und Deutschland unterwegs ist, vielfach ohne Maske.

Bis letzte Woche war zwar klar, dass derzeit nichts wirklich fix ist, aber es schien gut auszusehen, dass die Herbstmesse und in ihrem Rahmen die Biolife stattfinden werden. Letzten Freitag wurde die Veranstaltung abgesagt. Bereits zum zweiten Mal sollte auf der Biolife die nachhaltige Münchner Fashion Plattform GREENSTYLE mit einem Pop-up dabei sein. Die Fläche wurde verdoppelt, insgesamt sollten 16 Brands präsentiert werden. Daraus wird nun nichts. Das ist ein herber Schlag, vor allem für kleine Veranstalter und Brands. Die meisten haben es geschafft, den ersten Lockdown irgendwie zu überleben, diesmal werden es wohl einige nicht mehr schaffen. Ich habe Messe-Bozen-Chef Thomas Mur noch vor der aktuellen Absage in seinem Büro besucht.02 Messe Bozen Marco-Parisi Foto_1

Thomas, wie geht’s euch als Messeveranstalter in Corona-Zeiten?

Der Moment des Lockdowns war natürlich mit der Absage von Messen verbunden. Messen, für die wir bereits viele Monate gearbeitet haben. Dann kam die Frage: Wie kann es weiter gehen? Aber schnell war klar, dass wir diese Zeit nutzen möchten. Wir haben einen Plan O, O für Opportunity, entwickelt und begonnen, in Digitalisierung zu investieren und neue Online-Formate auszuprobieren. Dabei konnten wir viele Erfahrungen sammeln. Digitale Formate gehören jetzt bereits zu unserem Standard – in Form von Webinaren, Online-Diskussionen oder auch Produktkatalogen. Analog und digital lässt sich sehr gut verbinden. Deshalb bieten wir nun auch hybride Konzepte an und investieren weiter in den digitalen Ausbau. Wir haben zum Beispiel ein Produktionsstudio eingerichtet, das schon ab Juni verfügbar war und auch von externen Firmen genutzt werden kann. Corona hat also gewissermaßen wie ein Turbo gewirkt, um die Digitalisierung und die Agilität des Unternehmens voranzutreiben. Daneben haben wir aber bereits Messen für den Herbst und das kommende Jahr geplant. Natürlich ist unsere wirtschaftliche Situation nicht einfach. Aber wir versuchen, das Beste daraus zu machen.03 FieraMesse Studios 2020 (c) Marco Parisi Foto_4

Die Messe Bozen setzt verstärkt auf Nachhaltigkeit. Sie soll die nachhaltigste Messe Italiens werden. Wie setzt ihr das um?

Zunächst haben wir über ein Benchmarking geschaut, was Messen international machen, die bei diesen Themen voraus sind. Vor allem die Skandinavier sind hier führend. Ausgehend davon haben wir eine Reihe von Ideen entwickelt und Prioritäten erstellt. Schnell war klar, dass das Thema sehr komplex ist, vor allem, wenn man versucht, es ganzheitlich anzugehen. Nicht alles, was zu machen wäre, ist wirtschaftlich so einfach möglich. Hier gilt es gut abzuwägen. Begonnen haben wir mit „Waste Management“, denn im Umfeld von Messen – vor allem beim Auf- und Abbau – wird viel Müll erzeugt. Dazu haben wir uns auf lokaler Ebene mit den entsprechenden Playern zusammengesetzt und geschaut, wie wir den Prozess optimieren können und einen Entwicklungsplan für die nächsten zwei Jahre erstellt. Dann war das Dach zu sanieren. Wir haben uns nach durchaus längerer Diskussion dazu entschieden, ein Gründach zu machen. Das Dach ist bereits installiert. Ein weiteres Thema sind die Teppichböden bei den Messen. Wir setzen auf Hochwertigkeit und da gehörte Teppichboden bisher dazu. Ein recycelbarer Teppich aber kostet das zwei- bis dreifache. Corona hat uns diese Entscheidung bis auf weiteres abgenommen, denn aus Hygienegründen werden derzeit keine Teppiche verwendet. Wer weiß, vielleicht hat sich unser Publikum dann schon daran gewöhnt? Und 2020 haben wir eingeführt, dass man mit einem Messe-Ticket auch die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen kann. Das finanzieren wir mit.04 Tempo Libero Freizeit 2019 (c) Marco Parisi Foto_5

Ich habe vor einiger Zeit mit Olaf Schmidt, Vice President Textiles & Textiles Technologies der Messe Frankfurt, gesprochen. Die Messe Frankfurt setzt in allen Formaten stark auf Nachhaltigkeit. Als Veranstalter scheint man kaum mehr darum herumzukommen. Wie erlebt ihr das?

Die Landesregierung hat sich langfristig dem Ziel der Nachhaltigkeit verpflichtet. Das ist für uns eine zusätzliche Motivation. Mit der Messe Klimahouse haben wir eine Messe im Programm, die italienweit und darüber hinaus, die Leitmesse für Bauen und Sanieren in energieeffizienter Form ist. Für uns sind Themen wie Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft Innovationsthemen. So wird das in meinen Augen noch spannender. Nachhaltigkeit ist für uns aber auch ein Qualitätsthema. Eine Marke, die etwas auf sich hält, muss darauf setzen, denn anspruchsvolle Konsumenten von morgen werden sich das ganz genau anschauen. Man weiß ja schon, dass drei von vier europäischen Konsumenten einem Produkt, einem Unternehmen, einer Dienstleistung eher zuneigen, wenn jemand dahintersteht, der sich Gedanken gemacht hat und versucht, Nachhaltigkeit umzusetzen. Wir haben Nachhaltigkeit auch in unsere KPIs hineingenommen. (Anmerkung: Der Begriff Key Performance Indicator bezeichnet Kennzahlen, mit denen die Leistung von Aktivitäten in Unternehmen ermittelt werden kann.) Ich bin überzeugt davon, dass das der richtige Weg. Das ist natürlich nicht in wenigen Jahren abgeschlossen, sondern ist ein kontinuierlicher Prozess.FAIR Fashion @ Fiera Bolzano Biolife (c) GREENSTYLE munich

Im Rahmen der Biolife ist das Messe- und Konferenzformat GREENSTYLE als Pop-up das zweite Mal zu Gast. Die Messe Bozen investiert auch in das Thema nachhaltige Mode …

Wir orientieren uns an unseren Besuchern und ihren Interessen, gerade bei den Publikumsmessen. Letztes Jahr haben wir gesehen, dass uns GREENSTYLE viele neue junge Besucher gebracht hat. Wir wollen ja auch neue jüngere Zielgruppen ansprechen. Die Dynamik, die da entstanden ist rund um den Auftritt, hat der Biolife sehr gut getan. Letztes Jahr war GREENSTYLE mit sieben Brands zu Gast, heuer werden es an die 16 sein, einige davon lokale Player. Wir konnten die Fläche also verdoppeln und das in so schwierigen Zeiten. Das ist für mich auch Beweis dafür, dass so ein Thema in Bozen funktionieren kann. In der Mode läuft weltweit vieles schief. Es gibt aber auch inspirierende Beispiele von Unternehmen, die zeigen, dass es auch anders gehen kann. GREENSTYLE x Biolife ist also ein super Match.(c) GREENSTYLE munich

Wie gesagt, die Biolife wurde Ende letzter Woche (23.10.2020) abgesagt. Viele Wochen Arbeit gehen erneut den Bach hinunter. Dazu habe ich Statements von Thomas Mur und Mirjam Smend eingeholt.

Thomas Mur: Die Absage tut uns natürlich sehr leid, vor allem, weil so viele Aussteller und Partner sich auf die Biolife 2020 gefreut haben. Es ist jedoch ganz klar, dass es die gegenwärtige epidemiologische Lage im Moment nicht zulässt, Messen durchzuführen. Es ist eine schwere Zeit für Messe- und Eventveranstalter, aber wir werden mit Zuversicht und Leidenschaft weitermachen und freuen uns bereits jetzt auf die Biolife 2021 und hoffen natürlich, dass wir das Thema „Nachhaltige Mode“ mindestens in dem Umfang wie bereits für 2020 vorgesehen, präsentieren können.

07 GMUC Founder Mirjam Smend + Kathrin Habenschaden (c) Petra Rühle Foto 11

Mirjam Smend: Mitte März mussten wir die 4th Edition der GREENSTYLE am Tag der Veranstaltung absagen. Dabei sind alle Kosten entstanden, Förderungen wurden zurückgezogen, Eintrittsgelder ausgeblieben. Das ist für Start-ups wie uns ein harter Schlag, aber wir sind – anders als einige Mitbewerber – noch da. Wir haben schnell auf die neuen Umstände reagiert, die Conference ins Netz verlegt, die Website zum Home of sustainable fashion ausgebaut, die GMUC agency | for game changer an den Start gebracht, um zur Professionalisierung der Branche beizutragen. Wir haben kleine, flexible Formate entwickelt, mit denen wir auf Messen wie der Biolife und der Heim+Handwerk (München) unser Thema platzieren können. Auch diese Veranstaltungen sind gerade abgesagt worden. Das haben wir uns natürlich alles anders vorgestellt. Wir hatten so große Pläne für die zweite GREENSTYLE @ Biolife. Ob wir deshalb aufgeben? Natürlich nicht. Unser Engagement hat ja ein Ziel: Eine Veränderung in der Modeindustrie zu bewirken. Und das ist gerade jetzt wichtiger denn je.

Die neue Mietkapsel GREENSTYLE x Fairnica „Pauline“, die auf der Biolife erstmals präsentiert werden sollte, wird nun virtuell vorgestellt. Einen Sneak Peek findet ihr hier

Weitere Maßnahmen und Informationen der Messe Bozen zum Thema Nachhaltigkeit findet ihr unter der Rubrik Sustainability

 

Fotos: (1) Thomas Mur © Susanne Barta; (2–4) Messe Bozen © Marco Parisi; (5–8) © GREENSTYLE munich; (9) GREENSTYLE munich © Petra Rühle  

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