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September 23, 2020

„Nachhaltigkeit ist ein Gummibegriff“ – Filmemacher Werner Boote bei der Dolomitale 2020

Eva Rottensteiner

Bambuszahnbürste, Bio-Baumwolljeans und Zug statt Flug. Gratulation zum Starterpack „Nachhaltige Bourgeoisie“, Sie sind ein guter Bürger. Alles richtig gemacht. Wirklich? Nein, erklären uns Autorin und Journalistin Kathrin Hartmann (Ende der Märchenstunde 2009, Aus kontrolliertem Raubbau 2015, Die Grüne Lüge 2018) und Filmemacher Werner Boote (Plastic Planet 2009, Population Boom 2013, Alles unter Kontrolle 2015) in ihrem Dokumentarfilm „The Green Lie“ (2018). Die Konzerne haben uns verarscht. Wir sind bloß grün-gewaschene Konsum-Opfer grün-gewaschener Firmen mit grün-gewaschenem Marketing. Gibt es zu sehen beim Filmfestival Dolomitale (22.–27.9.) in St. Ulrich am Samstag (26.9.). An dem Abend wird auch der Short Film Award 2020 und der Dolomitale Documentary Preis verliehen. Einen kleinen Boote-Vorgeschmack gibt’s hier:

Im Film räumst du auf mit dem Irrglauben, dass Konsument_innen durch Konsum den Klimawandel stoppen können. Alles Greenwashing, sagst du. Sollen wir jetzt alle aufhören, auf unsere Elektroautos zu sparen, Tofu boykottieren und doch zum Arschlochkaffee (so im Film genannt!) anstatt „Fairtrade“ greifen? 

Ich glaub, das Problem bei dieser Frage ist schon die Bezeichnung “Konsument_in”, weil das ein Begriff aus der Industrie ist für Individuen, die nix im Kopf haben außer einzukaufen und Geld abzuliefern. Der erste Schritt ist, dass wir aufhören müssen, uns als Konsument_innen zu bezeichnen. Wir sollen uns mehr als Bürger_innen begreifen. Als solche haben wir die Pflicht, etwas für das Zusammenleben und unsere Lebensgrundlage Natur zu machen. Das bedeutet, auf der einen Seite mehr Hirn einschalten und auf der anderen Seite die Pflicht, Veränderungen zu fordern. Das muss jeder nach bestem Wissen und Gewissen machen. Man soll natürlich versuchen, gscheit einzukaufen, soweit das geht, und dann gibt es genug Organisationen, bei denen man mitagieren kann und dafür sorgen kann, dass Konzerne nicht systematisch die Umwelt zerstören und Menschen ausbeuten.

Der berühmte linke Intellektuelle Noam Chomsky sagt im Film: „Die reichsten acht Menschen besitzen so viel wie die halbe restliche Menschheit. Die Macht über alle wichtigen Entscheidungen liegt bei denen, die das Kapital haben.“ Er fordert eine Revolution. Bisgt du Antikapitalist, Herr Boote? 

Ich habe es nicht so verstanden, dass er zur Revolution aufruft. Wer unzufrieden ist, soll aktiv werden. Das war mir ein wichtiges Statement im Film, denn viele merken zwar, dass sie von Konzernen und Politik betrogen werden, aber nichts tun. Als Bürger_in hat man aber die Pflicht, sich an der Änderung des Systems aktiv zu beteiligen. Ich habe als kleiner Filmemacher Werner Boote aus dem 4. Wiener Bezirk nicht die Generallösung, weil unser System ein sehr komplexes ist. Wir leben in einer Wirtschaftsordnung, in der Konzerne systematisch die Umwelt zerstören. Und da müssen wir einen Wandel dieses Systems in Gange setzen. Ich glaube, dass der schon im Gange ist. In den 1970er Jahren haben wir angefangen, uns über die Umwelt Gedanken zu machen. Aber anstatt damals bessere Gesetze durchzusetzen, haben die Konzerne begonnen uns grüne Lügen zu erzählen und uns vorgegaukelt, dass sie eh lieb zu den Menschen und zur Umwelt sind. Jetzt nach 50 Jahren haben wir gemerkt, dass das grüne Lügen sind und gehandelt werden muss. Das ist es auch, was im Film mit Revolution gemeint ist. Es muss in allen Bereichen Veränderungen geben, die grüne Lügen obsolet machen.  

Das hört sich schon sehr antikapitalistisch an. Unsere Wirtschaftsordnung ist ja der Kapitalismus. 

Es gibt viele Ansätze weltweit, wo sich Personen überlegen, wie man es anders angehen könnte. Was das für ein System sein soll, kann ich nicht sagen. Aber es muss gesetzlich verankert werden, dass Konzerne die Rechte von Mensch und Tier voranreihen. Das ist ein schweres Unterfangen, aber das ist am Anfang immer so. Jemand muss damit beginnen und dann ziehen die anderen nach. Ich will mich jetzt auch nicht in eine Schublade schieben lassen. Es muss sich was ändern und die Frage ist, wo die richtigen Ansätze liegen. 

Klima-Aktivismus und System-Widerstand ist aber auch eine Form von Prestige und Klasse. In einer Filmszene im Zug spricht das Kathrin Hartmann kurz an. Siehst du das auch so?

In der Szene geht es darum, dass viele Menschen ums nackte Überleben kämpfen. Die haben kein Geld. Die können sich dann gerade mal Arschlochprodukte leisten, die billig auf den Markt geworfen werden, obwohl die den meisten Schaden für Mensch und Tier anrichten. Dafür sollten die Konzerne zur Verantwortung gezogen werden. Gerade wenn sie den Schaden in anderen Ländern verursachen.The Green Lie Werner Boote

Du wirst manchmal mit dem US-Filmemacher Michael Moore verglichen. In einem anderen Interview meintest du, dass Moore, im Gegensatz zu dir versucht, seine These zu bestätigen. Allerdings haben Dokumentarfilme doch immer auch ein aktivistisches Moment, oder? 

Schwierige Frage. Mein Zugang ist der, dass es ein Problem gibt, das mich berührt und wo ich mich hineinschmeiße, gerade wenn es auch mehrere Personen interessieren könnte. Dann versuche ich dem Thema in seiner Komplexität nachzujagen. Plastik ist ein allumfassendes Thema, genauso wie Bevölkerungswachstum, auch wahnsinnig komplex. Ich versuche dann, so viele Bereiche wie möglich abzudecken. Ich weiß nicht, ob das dringend bedeutet, dass Dokumentarfilme aktivistisch sind. Bei den Themen, die ich wähle, soziale Themen, Verteilungsgerechtigkeit und Umwelt, stoße ich immer auf etwas, wo ich mir eine Veränderung wünsche. Da ist der Schritt zum Aktionismus ein sehr kleiner. Ich fühle mich dann auch verpflichtet den Film fertig zu machen und aufzuzeigen, wie man es besser machen könnte. Dabei lasse ich im Laufe der Arbeit auch Wandlungen zu, um zu verstehen wie blöd ich eigentlich am Anfang war. Wie das andere Kollegen angehen, keine Ahnung. Bei meinen Filmen merke ich oft erst im Schnittraum, was rauskommt. Bei Plastic Planet habe ich einen Zeitungsartikel über Fische gelesen, die sich aufgrund einer schädlichen Substanz nicht mehr fortpflanzen können, die von einer Plastikfabrik ins Abwasser gelangt ist. Ich wollte wissen, was das heißt, schädlich. Und als ich da im Tonstudio saß, Film schon fertig geschnitten, ist mir kein Schlusssatz eingefallen. Mein Kollege im Nebenzimmer meinte, ich solle einfach sagen, dass Plastik so schlecht ist, wenn ich mich schon so viele Jahre damit beschäftigt habe. Aber ich habe es nicht über die Lippen gebracht. Vielleicht ist es ja doch anders, als man denkt. Ich starte als Neugieriger und nicht als Mensch, der anderen etwas aufoktroyieren will.

Glaubst du, dass Kultur die politischen Agenden beeinflussen kann? Bei Plastic Planet war die Resonanz enorm. 

Plastic Planet zählt laut der Webseite „The Numbers“ zu den 100 erfolgreichsten Dokumentarfilmen aller Zeiten. Demnach haben den Film viele Leute gesehen, auch wenn ich als Filmemacher wenig dafür bekomme. Das Thema bekam Aufmerksamkeit. Menschen haben angefangen, plastikfrei zu leben, Schnuller wurden vom Markt genommen. Kulturprodukte bringen politisch auf jeden Fall was ins Rollen. Und das Tolle bei Dokumentarfilmen ist, dass sie emotionalisieren, sodass sie zum Nachdenken anregen. Meine Filme sind Call-to-action-Filme, die dazu aufrufen, aktiv zu werden. Die Filme werden immer wieder in Parlamenten angesprochen oder gezeigt, auch The Green Lie im EU-Parlament.

Was ist deine Motivation, wenn es finanziell nicht so ertragreich ist? 

Ich bin ein besessen neugieriger Mensch, der es nicht ausstehen kann, wenn es Ungerechtigkeiten gibt. Und das Medium Film ist genial und kann, egoistisch gesagt, meine Neugier befriedigen. Ich kann mit den wunderbarsten Menschen sprechen und wichtige Schauplätze besuchen. Film ist auch eine gigantische Kunstform, mit der man durch Bild und Ton größte Emotionen erzeugen und ein endloses Spektrum von menschlichen Leidenschaften befriedigen kann. Was ich mache, ist die von mir wahrgenommene Realität emotional aufzuarbeiten. Das kostet oft Jahre der Recherche, bevor man sich überhaupt trauen kann, ein Thema zu behandeln. Auf einer solchen Durststrecke muss man beharrlich bleiben, aber ich will auch wissen, was am Ende des Tunnels ist. – Auch wenn man sich mit dem amerikanischen Geheimdienst anlegt und dann womöglich im Gefängnis in China landet oder von einer Anakonda angefallen wird, was mir schon passiert ist.

Was steht als Nächstes an? 

Ich setze mich morgen in den Zug und fahre in die Dolomiten, worauf ich mich schon riesig freue. Seit meiner ersten Fernsehdokumentation über Südtirol nach dem Autonomiegesetz für den ORF war ich nicht mehr dort. Es wird aber ein kurzer Besuch, weil die Arbeit drängt. 

Und woran arbeitest du? 

Die Sache ist die, dass ich keine Ahnung habe, was ich für einen Film mache, bis er nicht fertig ist. Meistens sagt mir die Marketing-Abteilung am Ende, wovon mein Film handelt, und ich sage dann: Stimmt. Solange ich im Prozess bin, versuche ich meine Offenheit zu bewahren. In Wirklichkeit bin ich noch am Herumtapsen. 

Dann wünschen wir viel Spaß auf der Dolomitale!

 

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