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July 29, 2020

Let’s make fashion circular

Susanne Barta

Die globale Modeindustrie produzierte im vergangenen Jahr an die 114 Milliarden Kleidungsstücke. Allein die Amerikaner*innen verbrauchen mehr als 20 Milliarden pro Jahr, das sind 64 Kleidungsstücke pro Person und Jahr. Das war vor kurzem auf der Plattform Business of Fashion zu lesen. Dabei handelt es sich zumeist um Billig-Kleidung, die in enormen Mengen und unter Verwendung riesiger Mengen natürlicher Ressourcen hergestellt und nach kurzer Zeit wieder weggeworfen wird. Häufig produziert von Arbeiter*innen, die sich unter unzumutbaren Bedingungen zu hohen sozialen und ökologischen Kosten abrackern. Es wäre also höchste Zeit verantwortungsvollere Geschäftsmodelle aufzubauen. Corona hat die Situation weiter verschärft. Denn die Krise hat die Modeindustrie – von der Produktion bis zum Handel – sehr hart getroffen. Es wird derzeit viel diskutiert, auch reflektiert. Wie weit dann daraus auch menschen- und umweltfreundlichere Geschäftsmodelle entstehen, werden die nächsten Monate und Jahre zeigen.

Ihr habt sicher schon von Circular Economy gehört. Kreislaufwirtschaft basiert auf den Prinzipien, Abfall und Umweltverschmutzung zu vermeiden, Produkte und Materialien in Gebrauch zu halten und natürliche Systeme zu regenerieren. Das Gegenteil davon ist lineares Wirtschaften. Mit den Worten der Ellen Mc Arthur Foundation gesprochen: „Take-make-waste“.

Wird zirkuläres Wirtschaften auf die Modeindustrie übertragen, sprechen wir von Circular Fashion. Über das Thema wird gerade viel geredet, die Prinzipien aber in die Praxis umzusetzen, ist alles andere als einfach. Marina Chahboune habt ihr hier schon kennengelernt. Sie arbeitet als Nachhaltigkeitsmanagerin, vor allem in Indonesien, Bangladesch und Pakistan und betreibt die Agentur Closed Loop Fashion. Marina kann viel darüber erzählen, wie zirkuläre Businessmodelle in der Praxis aussehen und funktionieren können. Sie arbeitet unter anderem gerade auch an zwei sehr spannenden Pilot-Projekten: In Pakistan entwickelt sie mit fünf der größten Fabriken des Landes Strategien, wie sich Kreislaufwirtschaft im Rahmen einer internen Rückführlogistik integrieren lassen könnte. Und beim Projekt in Indonesien geht es darum, aus textilen Polyesterabfällen per Faser zu Faser-Recycling eine neue Polyesterfaser für die Modeindustrie zu entwickeln. Es wäre eine Sensation, wenn es klappt, sagt sie.

© Closed Loop Fashion Foto_2_Waste storage_querformat

Marina, der Name deiner Agentur Closed Loop Fashion gibt bereits die Richtung eurer Arbeit vor. Sind zirkuläre Modelle noch überwiegend Zukunftsmusik oder gibt es schon soviel unternehmerisches Umdenken, dass wir von einer Wende sprechen können?

Gerade ist viel in Bewegung. Man hat in dieser Pandemie gesehen, wie verwundbar die Modeindustrie ist. Kreislaufmodelle können Unternehmen dabei unterstützen, in Krisenzeiten besser Stand zu halten und unabhängiger in der sonst linear aufgestellten textilen Kette zu agieren. Auch wenn Circular Economy derzeit ein großes Thema ist, ist es dennoch auch Zukunftsmusik. Denn vieles fehlt noch, um Kreislaufmodelle praktisch umzusetzen – Infrastrukturen, Rücknahmelogistik-Systeme, Technologien und die entsprechende Gesetzgebung. In vielen Ländern gibt es noch kein textiles Abfallmanagement. Altkleider können zum Beispiel gar nicht zurückgenommen werden, es fehlen Sortieranlagen. Das gilt auch für Produktionsabfälle oder Systeme für Faser-Recycling. Neben der Infrastruktur fehlen aber auch Investitionen in neue Technologien und Business-Modelle. Man müsste bereits im Bildungssystem anfangen und Designer in den Markt bringen, die ganzheitlich denken, um dann Produkte zu kreieren, die zirkulär funktionieren. Es braucht auch viel Wissen über Fasern und Chemikalien – welche lassen sich biologisch abbauen, welche sind recyclebar? Für viele ist das noch Neuland. 

Gibt es große Unterschiede zwischen Europa und Asien?

Der europäische Markt ist derzeit führend beim Thema Kreislaufwirtschaft. Kreislaufmodelle wurden im Rahmen des Green Deal der Europäischen Union in Form eines Circular Economy Action Plan aufgenommen – der Fokus wird stark auf textilen Abfall und Recycling gesetzt. Europa ist ein Post-Consumer Markt, ein Konsumentenmarkt. In den asiatischen Ländern ist das etwas anders, da gibt es viele große produzierende Länder, einige sind aber auch schon große konsumierende Märkte. Das heißt, es gibt unterschiedliche Abfälle, die hier zusammen kommen und adressiert werden müssen. Ich arbeite gerade mit einem Expertenteam des United Nations Development Program zusammen, um eine nationale Kreislaufstrategie für den Textilsektor in Indonesien zu entwickeln. Damit wäre Indonesien das zweite Land in Asien, das auf nationaler Ebene eine solche Strategie integriert. China hat bereits seit 2009 ein Circular Economy Law eingeführt. Europäische Aktionspläne lassen sich aber nicht 1:1 auf andere Ländergruppen anwenden.

© Closed Loop Fashion Foto_3 

Ist es schwierig, solche Prozesse zu implementieren? Wie arbeitet ihr?

Die Fabriken haben die geringste Marge in der Textilkette und daher oft wenige Finanzmittel zur Verfügung, um in neue Technologien zu investieren oder in Trainings für Designer und Produktentwickler. Wenn wir in Fabriken gehen, sind sie zunächst meist etwas verhalten beim Thema Kreislaufwirtschaft und oft kommt die Frage: Was ist denn daran gut für uns? Die meisten internationalen Lösungen sind bisher auf Post-Consumer-Abfälle abgestimmt, also auf die Rücknahme von gebrauchter Kleidung, diese aufzubereiten in Upcycling- oder Redesigning-Prozessen oder deren Wiederverwendung über Leasing- und Leihmodelle. Das würde für die Fabriken bedeuten, dass sie weniger Auftragsvolumen haben. Es geht also darum, interessante Ansätze herauszuarbeiten, wo der Benefit für sie sein kann. Auch sollen sie verstehen, dass sich der Markt wandelt und auch sie Strukturen entsprechend verändern müssen. 

Was und vor allem wen braucht es dafür, dass ein solcher Wandel stattfinden kann?

Gerne wird von den fünf klassischen Rs gesprochen: Reduce, Reuse, Refurbish, Repair und Recycle. Darüberhinaus geht es um die Entwicklung und Benutzung von nachhaltigen Materialien, das Umdenken von Designprozessen, Investitionen in neue Technologien und neue Stakeholder in der textilen Kette, die Kreislaufmodelle möglich machen, wie zum Beispiel Resale Plattformen. Da können viele neue Jobs entstehen. Aber es braucht uns alle dazu. Der größte „bottleneck“ derzeit bei Post-Consumer Abfällen sind die Kunden. Modefirmen verlieren sozusagen das Produkt nach dem Verkauf an den Kunden und haben keinen Einfluss mehr auf seine Verwendung. Ein konkretes Beispiel: Viele Konsumenten schneiden die Materialzusammensetzung aus den Kleidungsstücken heraus und wenn dann wiederverwertet wird, ist diese Information nicht mehr zugänglich. Das ist ein großes Problem für das Recycling. Hier braucht es neue technologische Möglichkeiten diese Informationen zu speichern, unabhängig von den Kunden.

© Closed Loop Fashion Foto_4_Fabric waste Off-cuts_

Wo funktionieren Kreislaufmodelle schon gut?

Es gibt einige sehr große erfolgreiche Plattformen wie Thread Up und The Real Real, Plattformen, die das Konzept des Resale gut anwenden. Der Resale-Markt soll laut letztem Branchen-Report eines der erfolgversprechendsten Konzepte von Kreislaufmodellen sein. Er wächst am schnellsten und ist gut skalierbar. Anders ist das zum Beispiel bei Zero Waste Designs. Im großen Stil ist eine Produktentwicklung ohne Abfälle im Zuschnitt schwierig umzusetzen. Das sind zeitintensive Design- und Herstellungsprozesse, die ein Umdenken brauchen. Die Produkte kosten auch mehr, weil jemand Zeit investiert hat, dass kein Abfall entsteht. Gerade sind die Ölpreise so stark gefallen, dass neu produzierte Polyesterfasern günstiger am Markt sind als die recycelte Alternative. Keine Chance also für Wettbewerb derzeit. Auch wollen nach wie vor nur wenige Konsumenten die Preisdifferenz für nachhaltige Produkte bezahlen. Hier sind wir alle gefragt und gefordert. Und der Markt muss verstehen, dass die Preise, die wir momentan bezahlen, in Zukunft so nicht mehr verantwortbar sind. 

Noch ein Wort zu Materialien. Da tut sich ja gerade sehr viel …

Wir sehen einen Wandel von den klassischen Textilfasern wie Baumwolle und Polyester hin zu ganz vielen Alternativen. Derzeit sind das meist noch kleine Projekte, die aber viel Potential haben, skaliert zu werden in der Produktion. Das sind Fasern, die nicht unbedingt durch Agraranbau oder aus Erdöl gewonnen werden, sondern beispielsweise aus Industriebfällen, wie Orangenschalen und Apfelreste, und aus Algen, oder auf Bakterienbasis gezüchtet werden und natürlich recycelte Fasern aus textilen Abfällen. Diese Fasern sind sowohl für die Kreislaufwirtschaft als auch für die Verbraucher interessant.

© Closed Loop Fashion Foto_5

„Die Umstellung auf eine Kreislaufwirtschaft könnte der größte Schritt zur Modernisierung der globalen Produktion und des globalen Konsums seit der industriellen Revolution sein“, sagen Experten. Wie Marina geschildert hat, ist einiges bereits im Gange, aber da sind noch viele Hürden zu nehmen. Wer sich für das Thema interessiert, hier noch einige weiterführende Links: Die schwedische Agentur Green Strategy, gegründet von Anna Brismar, ist sehr aktiv im Bereich Circular Fashion. Ihr findet hier zum Beispiel die wichtigsten Key Principles sehr gut aufbereitet. Interessant auch die Global Fashion Agenda. Sehr viele Infos und tolle Videos gibt’s bei der Ellen Mc Arthur Foundation und auch bei Fashion for Good ist einiges zu finden.

 

Fotos: (1–5) © Closed Loop Fashion 

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