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July 24, 2020

Anleitung zum Waldspaziergang #04: Was tönt? – Ohr sein.

Kunigunde Weissenegger
Welcome back! Der Anlass bleibt derselbe: Die Kunstankäufe (2012–2018) der Südtiroler Landesabteilung für Deutsche Kultur sind im Juni 2020 im Sammelband „Arbeiten – Lavori in corso II“ erschienen. Bis 23. August 2020 zeigt die Ausstellung „unlearning categories“, kuratiert von BAU, im Museion eine Auswahl davon. Unsere Waldspaziergangsserie begleitet dich durch die Vielfalt der 150 Positionen von 100 Künstlerinnen und Künstlern. Das Erlebnis ist ein neues.

Du und der Wald. Wie genau hörst du hin, wenn du ihn besuchst? Wenn du über Wurzeln steigst, deine Finger in Moos schummelst, Fichtennadeln wie Goldregen auf dich rieseln, dein Knie Farnkraut streift, deine Nase vor einem tief hängenden Ast ausweicht, du einen Haselstrauch umrundest, dahinter auf ein Fuchsloch stößt, einen Ameisenhügel bewunderst, die Höhe eines Baumes bestaunst, den Wald auch mal aus der Ferne betrachtest?

„Wie definiert man einen Baum? Wenn ich >Baum< sage, hat jeder ein Bild vor Augen, doch wenn man nach einer Definition sucht, ist das beinahe unmöglich. Braucht er Holz? Sind Äste ein Kriterium? Muss es ein Stamm oder können es mehrere sein? Wie sieht es mit Blättern aus?“[1]

 scarponi Wanderschuhe

Welcome back. Hier entlang. Die Wanderschuhe tragen dich, federnd, leichtfüßig, angespannt, achtsam und andächtig. Er spricht zu dir. Der Wind ist sein Sprachrohr. Diesmal gnädig und schonungsvoll, nicht stürmisch und verheerend.

Versuch dich im Dickicht zurechtzufinden. Verlass dich auf dein Ohr. 

Und du hörst den Wind, der durch die Ranken und Gewächse pfeift. Er summt Lieder, die auch traurig klingen, spielt mit trockenem Laub am Boden, entreißt sich ein Lächeln und erwidert den Blick, der ihm scheinbar von den Wänden entgegen geworfen wird.
[Elisabeth Hölzl, Gang/Winter, aus dem Zyklus Libera Viva, 2010–12]

Leg eine Rast ein. Ja, gern jetzt gleich. Ruh dich auf dem Efeu aus, sammel Energie (nicht Pilze) für später, wenn du von Laut und Schall umgeben sein wirst. Es wird phantastisch!

Zart, leise, zaghaft, ein Flüstern, ein Murmeln, ein Zischen, ein Tuscheln. Spricht so ein Baum? Schwatzt so ein Blatt?
[Wolfgang Wohlfahrt, Eines Tages in einem Geschäft, 2010]

Stürmischer wird es. Erde wirbelt, Zapfen fliegen, Samen flitzen und Nadeln auch. Es rauscht und braust und bläst und wirbelt.

„Trouble ist ein interessantes Wort. Es lässt sich auf ein französisches Verb aus dem 13. Jahrhundert zurückführen, das >aufwirbeln<, >wolkig machen< oder >stören< bedeutet. Wir alle auf Terra leben in unruhigen Zeiten, in aufgewirbelten Zeiten, in trüben und verstörenden Zeiten. Die Aufgabe besteht nun darin, reagieren zu können, und zwar gemeinsam und in unserer je unbescheidenen Art.“
[2] 

Ein Regenbogen, ein weißer Vogel, ein erzürnter Boden, erregtes Grün. Wie friedlich ist es hier? Wie sicher bist du? Es ist laut. Nur der Himmel scheint ruhig. Fast zu ruhig.  
[Cornelia Lochmann, Abschied und Wiederkehr, 2014]

 cestino Korb 

Lass dich vom Wind forttragen. Vielleicht kommst du aus eigener Kraft irgendwann einmal wieder hierher zurück. Zum Glück lenkt dich ein Pfiff ganz in der Nähe ab. Der Korb, den du inzwischen aus praktischen Gründen auf deinem Kopf balancierst, damit du deine Hände frei hast, ist zum Nest mutiert. Es wird geziept und gezwitschert, gepiepst und gesungen. Horch! 

Sie kennen nichts. Sie folgen dem Ruf der Natur. Und du? Versuchst lässig Haltung zu wahren. Die Nachrichten von Gestern fest umklammert, dabei ist Morgen schon längst Heute und Heute … ?
[Sylvia Barbolini, Am seidenen Faden, 2015]

Auch das Rotkehlchen blickt vorwurfsvoll. Und was sagt es zu dir? Spricht es von Flügen und Freiheit oder von Erderwärmung und Artensterben?
[Irene Hopfgartner, aus der Serie Arkadien I, 2014]

Drum singet ihr Vögel.
Tschiep Tschiep Tscharipp
Drum singet ihr Vögel,
denn ich sing jetzt mit.
Tschiep Tschiep Tscharipp
Tschiep Tschiep Tscharipp
Tschiep Tschiep Tscharipp
Tschiep Tschiep Tscharipp
[3]

Der Wald hat viele Stimmen. Und manchmal sind sie auch zu sehen. Wenn du willst …
[Urban Grünfelder, Flowers of good, 2016]

binocolo Fernglas

Jetzt kannst du es zücken. Zur tieferen Betrachtung. Wie ein Gemälde mag er manchmal erscheinen … durchs Fernglas betrachtet noch harmlos und sanftmütig. Auch unser Wald ist ein vielfältiger Lebensraum. Ein komplexer, ein absonderlicher, grotesker. Hier gehen viele ein und aus. (… und in Zukunft hoffentlich auch noch …)

Da tippt dir etwas auf die Schulter, sagt „Hey du,“ und „mach Platz, jetzt kommen wir, rück beiseite, wir waren immer schon hier, Wurzelstöcke, morsche Baumstämme lieben wir, willst du mich auch in Zukunft noch sehen, lass sie lieber stehen …“.
[Annemarie Laner, Ohne Titel II (Hirschkäfer), aus der Serie Ich spür ein Tier, 2011]

Unruhig wirst du.

Fassbar?
Greifbar?
Existent?

Weißt du es?

Da tuschelt und flüstert, da murmelt und zischt es wieder. Auch in unseren Wäldern.  Mach dich auf Spurensuche.
[Linda Wolfsgruber, Dolomitensagen, 2010] 

… und wenn alles nur ein Projekt ist?
 [Heinz Mader, Nagetiere aus dem Projekt retuschieren der Werkserie Ich bin so frei, 2012] 

Bis zum nächsten!

Waldspaziergang passeggiata franzLAB unlearning categories Museion BAU

[1] Francis Hallé, Atlas der phantastischen Pflanzen, Frederking & Thaler, München, 2019
[2] Donna J. Haraway, Unruhig bleiben – Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän, campus, Frankfurt, 2018
[3] Gustav, Abgesang

 

Graphic design by Claudia Gelati

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