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July 22, 2020

Wir verkaufen Messe-Konzepte, nicht nur Fläche – Olaf Schmidt, Messe Frankfurt

Susanne Barta

Die Mode-Schwerpunkte in Deutschland verschieben sich. Die führenden Messeveranstalter Messe Frankfurt und die Premium Group übersiedeln mit ihren Messen von Berlin nach Frankfurt. Ab Sommer 2021 richten sich alle Augen auf die „Frankfurt Fashion Week“. „Fünf Plattformen, drei Messen, zwei Konferenzen, über 2.000 Designer, Brands und Modeunternehmen – die Frankfurt Fashion Week wird zu einem hochgradig attraktiven und relevanten Standort für das internationale Modebusiness“, kündigt die Messe Frankfurt das ambitionierte Projekt an. Die Nachricht schlug wie eine Bombe ein.

Was das heißt, welche neue Ausrichtung sich die Messen geben, welche Rolle dabei die weltweit wichtigste Messe für nachhaltige Mode „Neonyt“, die sich als globaler Hub für Mode, Nachhaltigkeit und Innovation versteht, spielt, das habe ich Olaf Schmidt gefragt, Vice President Textiles & Textiles Technologies der Messe Frankfurt.

Herr Schmidt, Frankfurt soll der neue Hotspot für die internationale Fashion Welt in Deutschland werden. Die Übersiedlung der Messen „Premium“, „Seek“ und „Neonyt von Berlin nach Frankfurt hat viele überrascht. Ist dieser Neustart Corona geschuldet?

Corona hat vielleicht die Entscheidung noch etwas beschleunigt, aber die Verhandlungen laufen schon seit Oktober 2019, sind also deutlich vor Corona gestartet. Wir wollten etwas verändern, etwas Neues machen. Foto_2 Bürgermeister Michael Müller, Olaf Schmidt, Neonyt Show Director Thimo Schwenzfeier © Messe Frankfurt GmbH

Corona hat die Textilindustrie hart getroffen, die Auswirkungen sind noch gar nicht in allem absehbar. Muss die Industrie, müssen Messeveranstalter umdenken?

Ich habe vor kurzem im Radio gehört, wie viele Leute Angst um ihren Arbeitsplatz haben und wie sich die Handelsstrukturen verändern werden. Bezogen auf den Textileinzelhandel gibt es Prognosen, dass um die 20 % der Einzelhändler diese Situation vielleicht gar nicht überleben werden. Zusätzlich kommen regelmäßig Nachrichten zu uns über Insolvenzen und wirtschaftliche Schwierigkeiten von Bekleidungsunternehmen, auch wenn manche schon vor der Corona-Krise Probleme hatten. Daher wird eine Veranstaltung im Sommer 2021 natürlich anders aussehen als 2019, unabhängig davon, ob sie in Berlin oder Frankfurt stattfindet. Wie wirkt sich das jetzt auf die Messe aus? Für die Veranstaltungen, die heuer abgesagt wurden, haben wir versucht, ein entsprechendes digitales Produkt zu kreieren und so in der Kundenbeziehung zu bleiben. Da waren natürlich auch Formate dabei, die nicht das gebracht haben, was man sich gewünscht hat. Vor Corona sagte man ja schon, es wird alles digitaler und fragte sich, welche Berechtigung Messen überhaupt noch haben in Zukunft. Aber jetzt lässt sich gut sehen, dass Messen auf jeden Fall ihre Berechtigung haben. Die Leute brauchen und wollen diese Zusammenkünfte. Natürlich hängt das auch von den Produkten ab. Im technischen Bereich ist es etwas anders als bei Mode. Wie wollen sie denn bei Mode, überhaupt im textilen Bereich, Textilien haptisch rüber bringen, wenn sie nur digital gezeigt werden? Natürlich soll es digitale Ergänzungsprodukte geben, sie können ein physisches Zusammenkommen aber nicht ersetzen. Wir hoffen, dass sich die Situation nächstes Jahr so weit entspannt hat, dass es langsam wieder losgehen kann.

Foto_3 Renewcell ab © Messe Frankfurt GmbH

Messeveranstalter stehen weltweit gerade unter großem Druck. Sie haben die Strukturschwierigkeiten des Handels angesprochen, auch Konsumgewohnheiten könnten sich verändern. Anzunehmen ist also, dass vieles nicht mehr so wie bisher laufen wird. Wie können zukunftsfähige Konzepte aussehen?

Es wird ja oft gesagt, ihr als Messegesellschaft vermietet ja nur die Fläche. Klar, wir vermieten die Fläche, aber letztendlich verkaufen wir Messe-Konzepte. Wie bei der Neonyt zum Beispiel, die ja die wichtigste Nachhaltigkeitsmesse weltweit ist. Die Neonyt bietet auch ein Konferenzformat, Lectures, die Prepeek, ist also eine Veranstaltung, wo die Community  zusammenkommt. Für ein erfolgreiches Produkt braucht es eigenen Content, auch wenn es in erster Linie darum geht, dass man dorthin kommt um seine Produkte zu verkaufen. Messeformate sind immer in einem Veränderungsprozess begriffen. Man redet viel von Eventisierung, das ist auch ein Spagat, denn die Besucher sollen ja nicht überfordert werden mit zu vielen Veranstaltungsangeboten. Im Vordergrund stehen die Produkte, Networking und die Informationen was am Markt passiert.

Technologie und Nachhaltigkeit sollen als Schwerpunkte bei der Frankfurt Fashion Week gestärkt werden. Wie wird das umgesetzt?

Nachhaltigkeit ist ja kein neues Thema für uns. Wir haben als Messe Frankfurt schon früh entschieden, dass wir in dieses Segment hineingehen und vor zehn Jahren begonnen sehr viel zu investieren. Wir haben dann mit der Neonyt, die aus den kleinen Formaten „Green Show Room“ und „Ethical Fashion Show“ entstanden ist, auch den Zeitgeist getroffen, kuratierte, höherwertige Brands zu zeigen. Es ist allen klar, dass das Thema Nachhaltigkeit einer der großen Treiber im Textil- und Modebereich ist. Diese Industrie erzeugt viel Umweltverschmutzung, im Produktionsverfahren, aber auch im Aussortieren von Kleidung, denn das alles landet ja wieder irgendwo. Das heißt, das Thema Nachhaltigkeit begleitet uns über das ganze Messeformat, wird aber auch bei Aktivitäten in der Stadt, bei Designerpräsentationen immer mitspielen, ohne natürlich konventionelle Themen auszusparen. Wir wollen ja kein Fingerpointing machen. Es ist auch aktuell so, dass nicht alle Produkte nachhaltig sind, aber viele Unternehmen in einem Transformationsprozess sind. Dieser Transformationsprozess ist eine sehr gute Entwicklung und, was da passiert, muss man auch zeigen.
Auch das Digitalisierungsthema spielt in die Nachhaltigkeit hinein, da viele nachhaltige Praktiken ja nur möglich sind, wenn im Produktionsbereich digitale und technische Lösungen entwickelt werden. Wir haben zwei entsprechende Messeprodukte in Frankfurt, die Techtextil und die Texprocess.  Es geht hier um Performancetextilien, Smart Textiles, die bestimmte Funktionen haben, die in der Bekleidungsindustrie eingesetzt werden können, neue Produktionsverfahren, zum Beispiel eine effektive Ausnutzung von Stoffen, um Cloudlösungen etc. Wir wollen alle diese Themen nach vorne stellen. Dabei geht es um den ganzen Prozess, von den Materialien, über das Produktionsverfahren bis zur Mode, die dann am Runway zu sehen ist.Neonyt Fashion Show, Kraftwerk, Berlin © Alexander Koerner, Getty Images for MBFW

Rückt die Neonyt auf der Frankfurt Fashion Week mehr ins Zentrum? 

Die Neonyt hat sich sehr positiv entwickelt. Die Veranstaltung wächst stark und hat eine hohe Akzeptanz bekommen. Aber es gab auch Kritik für die langen Wege zwischen den Veranstaltungsorten. In Frankfurt sind nun alle Messen und Veranstaltungen an einem Standort auf dem Messegelände. Wir werden daher auch Besucherzielgruppen erreichen, die früher nicht unbedingt zur Neonyt gekommen wären. Auch sollen sich die beiden Konferenzen – „Fashionsustain“ von uns und die „Fashiontech“ der Premium Group – befruchten und enger vernetzen. Es werden also alle Messen davon profitieren. Auch soll in Frankfurt die Stadt besser eingebunden werden, etwas, das in Berlin nicht so gut gelungen ist. Die Messe ist zwar eine reine Businessplattform, aber wir wollen die Veranstaltung auch in Stadt bringen und die Leute begeistern. Foto_6 Olaf Schmidt © Messe Frankfurt GmbH

Abschließend noch eine persönliche Frage: Welche Rolle spielt Kleidung für Sie? 

Kleidung hat für mich einen hohen Stellenwert. Ich habe immer im textilen Modebereich gearbeitet und es geht ja, wie es so schön heißt, nicht ums Verkleiden, sondern darum, seine Persönlichkeit auszudrücken. Mode soll Spaß machen, gleichzeitig gibt man auch Statements ab. Sie sollte aber so eingekauft werden, dass sie nicht nur für einen Abend benutzt wird, sondern längerfristig. Natürlich sollen die Leute Bekleidung kaufen, aber bessere Qualität. Schade finde ich, dass in Deutschland Mode nicht so sehr als Kulturgut gesehen wird wie etwa in Frankreich und Italien. Ich bin auch im Fashion Council Germany tätig und da ist es unter anderem unsere Aufgabe das Thema Mode in der Öffentlichkeit und in der Politik so zu verankern, dass es eine andere Wahrnehmung bekommt.

In Punkto nachhaltige Mode hat aber Deutschland die Nase vorn. Da tut sich viel mehr als in Italien und Frankreich …

Beim gesamten Nachhaltigkeitsthema gibt es ein Gefälle zwischen Nord- und Südeuropa. Nachhaltigkeit ist ja auch von Innovationen getrieben und da ist Deutschland stark. Auch ist die deutsche Öffentlichkeit für das Thema sehr offen. Im Food-Bereich zum Beispiel hat sich Nachhaltigkeit als eine Normalität entwickelt und ist etabliert. Ein ganz wichtiger Punkt bei Nachhaltigkeit in der Mode ist, dass einem das Kleidungsstück gefallen muss. Dass es also nicht nur Bekleidung ist, sondern Mode. Nur nachhaltig zu sein reicht nicht. Das war auch immer das Konzept der Neonyt. Wir stellen hier Mode in den Vordergrund, die Nachhaltigkeit ist sozusagen das Backing, um überhaupt dort auszustellen. Seitdem sind auch eher konventionell eingestellte Einkäufer bereit, diese Produkte zu kaufen. Den Handel kann man nur animieren mutiger zu sein, wenn die Produkte gefallen.

© Messe Frankfurt GmbH

Zum Thema Neonyt könnt ihr noch weitere Blog-Beiträge lesen: Das Interview mit Neonyt Show Director Thimo Schwenzfeier und den Nachbericht zur letzten analogen Neonyt im Januar in Berlin. Wir freuen uns auf die Frankfurt Fashion Week! 

Fotos: (1) ARYS © Messe Frankfurt GmbH; (2) Bürgermeister Michael Müller, Olaf Schmidt, Neonyt Show Director Thimo Schwenzfeier © Messe Frankfurt GmbH; (3) Renewcell ab © Messe Frankfurt GmbH; (4 + 5) Neonyt Fashion Show, Kraftwerk, Berlin © Alexander Koerner, Getty Images for MBFW; (6) Olaf Schmidt © Messe Frankfurt GmbH; (7 + 8) © Messe Frankfurt GmbH 

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