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July 15, 2020

Rent your clothes

Susanne Barta

Nicola Henseler ist Innovationsmanagerin bei einem Automobilzulieferer. In ihrer Elternzeit hat sie begonnen, sich intensiver mit Nachhaltigkeit in der Mode zu beschäftigen. Daraus ist Fairnica entstanden, die erste online Fair Fashion Capsule Wardrobe Vermietung Deutschlands. Fünf bis sieben miteinander kombinierbare Kleidungsstücke hat jede Kapsel. Sie werden von verschiedenen Leuten kuratiert, das sorgt für Abwechslung. Man kann aber auch seine eigene Kapsel zusammenstellen.

Nicola, wie bist du darauf gekommen, dass man Kleidung besser mietet statt kauft?

Ich ernähre mich seit 20 Jahren vegetarisch. Mit der Zeit wurde mir immer klarer, dass ich mich auch näher mit den Produktionsbedingungen bei Kleidung beschäftigen möchte, habe das aber ein wenig vor mir her geschoben. In der Elternzeit begann ich einen Blog zu schreiben, der hieß schon Fairnica. Mir wurde mehr und mehr bewusst, dass wir weg vom Kaufen mussten. Viele Menschen wollen Neues, wollen die Trends tragen, das wird man nicht ändern können. Aber wenn man ein Kleidungsstück eh nur zwei Monate anziehen möchte, dachte ich mir, muss man es ja nicht besitzen, sondern könnte es wieder abgeben. Bei meinen Recherchen habe ich gesehen, dass es da noch nicht sehr viel gibt. Ich habe einiges ausprobiert, aber nichts passte so richtig, die Stücke waren einfach nicht gut mit meinen Sachen zu kombinieren. Ich wollte also etwas entwickeln, was man gut kombinieren und mit der eigenen Garderobe ergänzen kann. Einige Freunde haben sich dem Projekt angeschlossen, bei einem Gründerwettbewerb gewannen wir den Nachhaltigkeitspreis und hatten so das Startkapital, dieses Konzept umzusetzen.

Foto_2_KapselKarlie_Copyright_Fairnica + Foto_3_ KapselNora_Copyright_StylephotosdeDas Konzept, Kleider zu mieten, kommt aus den USA. In Europa gibt es noch nicht viele Angebote. Vor allem gibt es keines wie eures. Wer sind eure Kund*innen und wie kommt Fairnica an?

Wir haben Kunden aus Deutschland und Österreich. Auch aus der Schweiz kommen viele Anfragen, aber da funktioniert es mit dem Zoll nicht. Wir versenden EU-weit, aber da die Website bisher nur auf Deutsch ist, gibt es aus anderen Ländern bisher keine Bestellungen. Wir sind auch noch zu unbekannt. Auf das Konzept bekommen wir sehr viel positives Feedback, wenn wir mit Leuten sprechen. Manche zögern zwar bei gebrauchten Kleidungsstücken oder denken, dass wir nicht die passenden Größen anbieten können. Wir führen bei Damen XS bis XL, bei Herren bis XXL, ab Herbst gibt es auch bei Damen XXL. Unsere Kunden bewegen sich so zwischen 30 und 50 Jahren. Für die ganz Jungen sind wir vermutlich ein wenig zu teuer.

Foto_4_KapselJasper_Copyright_AngelinaOuchani-2 + Foto_5_KapselJasper_Copyright_AngelinaOuchani

Wer leiht, kauft weniger, verringert so seinen ökologischen Fußabdruck und hat dennoch Abwechslung. Denkst du, wird sich der Trend zur Miete verstärken?

Ich bin davon überzeugt, dass das die Zukunft ist. Ich habe vor zehn Jahren in der Musikbranche gearbeitet und da konnte sich niemand vorstellen, dass man mal keine CDs mehr kaufen wird. Das ist ja noch nicht lange her und doch hat man das Gefühl, es ist ewig her. Jeder benützt heute einen Streaming-Dienst. Die Veränderungen gehen so schnell. In ein paar Jahren wird jeder sein Abo haben auf unterschiedlichen Plattformen und seine Kleidung zugeschickt bekommen. Aus Hygienegründen wird man wohl nicht alles mieten, sondern Bademode, Unterwäsche und Sportsachen nach wie vor besitzen. Mein Wunsch wäre es, dass jeder nur eine Grundgarderobe zuhause hat, die ja auch für jeden anders aussieht, und alles, was darüber hinausgeht, soll gemietet werden. Foto_6_ KapselCarla_Copyright_Stylephotosde

Die Kapseln sind ja so konzipiert, dass die Stücke untereinander kombinierbar sind und dann auch mit der eigenen Grundgarderobe ergänzt werden …

Wir haben eine kleine Umfrage gemacht und gesehen, dass fast alle bestimmte Kleidungsstücke im Schrank haben. Ich brauche also keine Jeans zu vermieten. Diese vorhandenen Teile können dann mit den Kapseln kombiniert werden. Die vier Basics, die wir voraussetzen, sind eine blaue und eine schwarze Jeans, ein weißes und ein schwarzes T-Shirt. Das mit den Kapseln kombiniert, ergibt 30 Outfits. Für einen relativ geringen Betrag hat man dann doch sehr viel Abwechslung.

Wie hat sich Corona auf euer Projekt ausgewirkt?

Wir hatten das Glück, dass wir uns damals entschieden, Fairnica zunächst nebenberuflich zu machen. So haben wir relativ wenige Fixkosten. Wir arbeiten vom Homeoffice, zahlen uns keine Gehälter aus, alles, was wir verdienen, wird investiert. Da wir kein großes Marketingbudget haben, gehen wir strategisch so vor, dass wir abwarten, bis der Markt soweit ist und wir dann voll einsteigen können. Puffer haben wir keinen. Nach dem Lockdown habe ich einfach nur gehofft, dass die Fixkosten reinkommen. Da hatte ich schon Angst. Der März ist zunächst gut gestartet, aber nach dem Lockdown kamen bis Mitte April gar keine Bestellungen rein. Mitte April haben wir dann eine neue Kapsel veröffentlicht. Ich hatte die Sachen hier, es hat ja auch keinen Sinn, wenn die Sachen im Keller herumliegen. Und dann war die Kapsel innerhalb eines Tages ausgebucht. Wir haben es also ganz gut geschafft. Danach wurde spontan noch eine Kapsel veröffentlicht. Wir wollten den Labels was abkaufen, denn die brauchten ja auch Unterstützung. Und auch diese Kapsel ist gut gelaufen. 7+8_KapselFiene_Copyright_Fairnica

Wie schauen eure nächsten Schritte aus?

Wir wünschen uns natürlich, dass sich der Markt in die Richtung solcher Konzepte entwickelt. Auch wir selbst möchten neue Zielgruppen erschließen. Es werden Business-Kapseln heraus kommen, wir wollen Schwangerschafts- und Übergrößen-Kapseln machen. Dafür brauchen wir unterschiedliche Labels, weil nicht alle alles anbieten, vor allem, was Größen betrifft. Aber ich beobachte, dass immer mehr Fair Fashion Brands auf den Markt kommen, die Abwechslung größer wird und es bald gar keinen Grund mehr gibt, andere Sachen zu kaufen. Man muss sich als Konsument aber leider noch immer eingehend mit dem Thema beschäftigen. Natürlich ist es einfacher, in die Stadt zu gehen und sich irgendetwas zu kaufen. Diese Recherchearbeit und das Finden der Kleidungsstücke versuchen wir den Kunden abzunehmen. Deswegen nehmen wir möglichst viele Labels in die Kapseln auf, damit die Kunden die Labels kennen lernen. Ein gewisser Bildungsauftrag ist hier auch mit dabei.

Die Kapseln von Fairnica bewegen sich preislich zwischen 67 und 87 Euro pro Monat. Mehrere Monate sind etwas billiger. Alle Details findet ihr auf der Website.

Foto_9_KapselIda_Copyright_Connie Beatrice

Wie Nicola schon gesagt hat, allzu viele Angebote gibt es noch nicht in Europa. Aber Fashion-Rental-Plattformen und Abonnements scheinen das Geschäftsmodell der Zukunft zu sein. Die Nachfrage steigt. Im August zum Beispiel launcht Wonder-Wardrobe-Macherin Daria Andronescu WOW.rentals. Wenn ihr Daria noch nicht kennt, hier findet ihr mein Interview mit ihr über ihre Wonder Wardrobe Capsule Methode.

In Italien kann man Outfits für bestimmte Anlässe leihen, zum Beispiel bei DressYouCan oder bei Drexcode. Auch in Italien nimmt das Thema ein wenig an Fahrt auf, wie man im Corriere della Sera nachlesen kann. 

In Österreich gibt’s die Plattform endlos fesch. Und wer unbedingt eine Jeans braucht, kann eine bei der niederländischen Brand Mud Jeans leasen. 

Ein interessantes Modell wurde in London entwickelt: Vestiaire Collectives Ex-CMO Matt Heiman verleiht auf seiner Plattform Cocoon Luxustaschen zu durchaus erschwinglichen Preisen. Für £99 pro Monat können Verbraucher Accessoires von über 30 Luxusmarken ausleihen, von Dior, Saint Laurent und Bottega Veneta bis hin zu jüngeren Labels wie Rejina Pyo und Jacquemus. Ein interessantes Interview mit Matt Heiman könnt ihr auf der Website des Gottlieb Duttweiler Instituts lesen. 

Die besten Leih-Möglichkeiten findet man aber bisher in Deutschland. Hier noch einige weitere Tipps: Die erste Rental-Plattform war die Kleiderei, die gibt es leider nicht mehr online, man kann sich seine Kleider jetzt in Geschäften in Köln und in Freiburg leihen. Aber Kleiderei-Gründerin Thekla Wilkening hat ihre Erfahrung 2019 in STAY AWHILE eingebracht. In ihrem neuen Online-Service bietet sie individuelle Pakete mit Fair Fashion-Teilen. Styles flexibel leasen, monatlich zahlen und solange behalten wie man möchte, kann man zum Beispiel auch bei UNOWN. Designerkleider gibt’s bei Chic by Choice und auch bei myonbelle findet ihr vielleicht was. 

Und abschließend noch ein Hinweis von Nicola: Gerade laufen auf Startnext zwei Crowdfunding-Kampagnen, und zwar von KLYDA und von NRNY, die noch Unterstützung brauchen. Beide Start-ups bauen Plattformen auf, bei denen Kunden sich untereinander Kleidung vermieten können. „Eine Mischung aus Kleiderkreisel und AirBnB“. 

Fotos: (1) Kapsel Carla © Fairnica; (2 + 3) Kapsel Karlie © Fairnica, Kapsel Nora © Stylephotos.de; (4 + 5) Kapsel Jasper © Angelina Ouchani; (6) Kapsel Carla © Stylephotos.de; (7 + 8) Nicola präsentiert Kapsel Fiene; Nicola beim einpacken © Fairnica; (9) Kapsel Ida © Connie Beatrice

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