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June 25, 2020

past-present-future_03_Michael Steinwandter: Der Boden lebt

Franz
In den vergangenen Wochen und Monaten hat sich die Wissenschaft aufgrund der besonderen Pandemie-Situation weltweit, vielleicht mehr als sonst, in Haushalte und Köpfe gedrängt. Auch Südtirol ist seit Jahrzehnten ein wichtiger Standort für Forscherinnen und Forscher und ihre Arbeit. Was hat sich für sie aufgrund von Covid-19 verändert?

Er, Jahrgang 1986, hat in Bruneck das Realgymnasium mit wissenschaftlicher Fachrichtung besucht. Da wurde ihm klar, dass er Naturwissenschaften studieren möchte. Fast hätte er sich für Physik entschieden, doch interessierte er sich von Kindheit mehr für Biologie. 2005 begann Michael Steinwandter sein Biologiestudium an der Universität in Innsbruck, schloss das Masterstudium in Ökologie und Biodiversität ab und schließlich 2019 den PhD in Ökologie. Seit 2015 arbeitet der Forscher im Institut für Alpine Umwelt von Eurac Research in Bozen und erforscht das Bodenleben. 

PAST

Erklär uns doch bitte, was dich bewegt hat, dich auf dein Forschungsfeld zu konzentrieren? Was reizt dich – immer noch und immer wieder – daran?

Diese Fachrichtungen – immer mit Schwerpunkt Bodenzoologie – haben mich immer fasziniert, da ich (Krabbel-)Tiere besonders interessant fand und immer noch finde. Als Bodenökologe untersuchte ich nicht nur die Tiere selbst, sondern auch, wie sie sich ins Ökosystem einfügen, welche Anpassungsstrategien sie entwickeln und wie sie auf Änderungen reagieren. Mein Spezialgebiet sind Bodentiere in alpinen Ökosystemen, die weltweit kaum erforscht sind und deshalb kann ich mich richtiggehend austoben.

Worum geht es in deiner aktuellen Forschung?

Momentan erforsche ich im Rahmen mehrerer Projekte Bodentiere wie Spinnen, Käfer, Regenwürmer und Tausendfüßer in alpinen (also jene, die über der Waldgrenze leben), aber auch in tiefer gelegenen alpinen Lebensräumen (also jene, die in den Alpen generell leben). Eine Aufgabe, der ich mich besonders widme, ist dabei die Erfassung der Doppelfüßer in Südtirol, sprich der eigentlichen „Tausendfüßer“. Sie sind bei uns kaum erforscht und nur sehr wenige in Südtirol beschäftigen sich damit (vielleicht bin ich sogar der einzige ; – ) ?). Zudem beteilige ich mich beim Biodiversitätsmonitoring Südtirol und analysiere dort die Bodentier-Gemeinschaften in den verschiedensten Lebensräumen in ganz Südtirol. 

PRESENT 

Wie haben sich Herangehens- und Arbeitsweise, Instrumente und Methoden im Bereich deiner Forschung zum Zeitpunkt des Notstands verändert? 

Glücklicherweise hatte ich viel Computerarbeit zu erledigen und, da Eurac Research sehr zuvorkommend in Bezug auf Home-Office ist und war, konnten wir alle sehr gut von zuhause weiterarbeiten. Als jedoch der Beginn der heurigen Feldsaison näher rückte und doch einiges an Vorbereitungen und Bastelarbeiten zu machen waren, wurde es etwas stressig, besonders da Einkäufe nicht so einfach zu erledigen waren. Unterm Strich hat jedoch alles sehr gut geklappt und wir sind wieder in ganz Südtirol unterwegs, wenn auch mit zusätzlichen Sicherheitsbestimmungen. 

Was hat die Pandemie speziell geändert? 

Geändert hat sich durch die Pandemie hauptsächlich mein Arbeitsablauf. Wenn ich im Büro oder Labor bin, arbeite ich von früh morgens bis nachmittags. Von zuhause aus zu arbeiten, erforderte Flexibilität, Geduld und Humor, da es mit meinen Kleinkindern oft etwas chaotisch war : – ) Ich musste in mehreren Schichten arbeiten und oft bis lange in die Nacht, um unserer Familienarbeit gerecht zu werden.

Konzentriert sich deine Forschung nun auf andere, neue Dinge, die du vorher nicht in Betracht gezogen hättest?

Meine Forschung an sich hat die Pandemie nicht verändert. Jedoch sind Themen, wie nachhaltige Dienstreisen und der Schutz der Natur und naturnahen Landschaft, die wir untersuchen und leider manchmal stören müssen (beispielsweise durch Bodenproben) noch stärker in den Vordergrund gerückt.

Zurzeit wird viel von Natur gesprochen, die sich ihren Platz zurückerobert … Bemerkst du davon etwas? Entwickelt sich eine neue Biodiversität? Ist das Teil deiner Forschung? 

Da wir durch das Biodiversitätsmonitoring viel über die Artenvielfalt lernen, wird sich am Ende des Jahres, sobald die Analysen fertiggestellt sind, zeigen, ob sich diese Pause, welche die Natur von uns Menschen erhalten hat, positiv ausgewirkt hat. Generell bin ich jedoch der Meinung, dass der Zeitraum des Lockdowns zu kurz war, um signifikant-positive Effekte für die Wildtiere erwirkt zu haben, da ja wieder alles auf Hochtouren läuft und die Natur wieder hinter Wirtschaft, Tourismus und Mobilität gestellt wurde. Ich selbst genoss jedoch (von zuhause aus) die Ruhe, die vielen verschiedenen Vogelstimmen und den klaren Himmel ohne Kondensstreifen. Und so manch einer wird sich gewundert haben, wie viel Natur um und mit uns lebt, wenn wir Menschen einmal langsamer machen. 

FUTURE

Welche Auswirkungen wird die Pandemie auf deine Forschung haben? 

Diese Pandemie, die laut Experten nur eine Frage der Zeit und sicher nicht die letzte war, hat ihren Urspung in der Ausbeutung von Natur (diesmal jener von Wildtieren) und hat uns gezeigt, dass wir zu sehr in unberührte Landschaften eindringen und diese stören. Die Forderung nach Flächen, die stärker geschützt oder vielleicht gänzlich vom Menschen abgeschottet werden sollten, wurde wieder lauter. Solche Flächen bieten den Tieren und Pflanzen Zuflucht und Erholung und wirken sich positiv auf die Biodiversität aus. Meine Forschung könnte in Zukunft verstärkt in Richtung solcher unberührten Landschaften gehen. 

Was nimmst du persönlich aus diesem Notstand mit und wie wird sich das auf deine Forschungsarbeit auswirken? 

Persönlich habe ich die Zeit auch genossen, da ich viel zuhause bei meiner Familie war und, auch wenn es manchmal stressig war, wir sehr viel zusammen unternommen haben. Auch fand ich es erleichternd, dass wir mit weniger, als uns eingeredet wird, sehr gut ausgekommen sind und wir uns glücklich schätzen konnten, dass wir auf dem Land mit einem Garten wohnen. Meine Forschung selbst wird sich nicht sehr verändern, da wir stets naturnahe Gebiete untersucht haben. Jedoch war ich glücklich darüber, dass die Akzeptanz von Forscher*innen und deren Forschung von Anfang der Pandemie an ernster genommen wurde, und die Politik sie (endlich) in ihre Entscheidungsprozesse stärker miteingebunden hat: ein positives Zeichen, das auch in Zukunft verstärkt notwendig wird (Themen: Klimawandel, Artensterben, Umweltverschmutzung).

Foto: Eurac

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