Fashion + Design > Fashion

June 17, 2020

E-Mail-Konversationen über Mode: Susanne Barta und Roland Novak #3

Susanne Barta

Zwei Dinge haben mich zu diesem Format inspiriert. Ein interessantes und intensives Gespräch mit Roland über Mode, Stil, Nachhaltigkeit, Männer- und Frauenmode im November 2019 im Café Hofer in Bozen und die Konversationen auf Manrepeller zwischen Leandra Medine Cohen und ihrer Chefredakteurin Harling Ross über Fragen des Stylings. Die Zugänge zu Mode von Roland und mir sind sehr unterschiedlich, die Begeisterung für das Thema aber verbindet uns. [Hier geht’s zu Teil 1 und Teil 2 der Konversationen.] Die Fotos zu dieser Geschichte sind letztes Wochenende im Ahoi Minigolf entstanden. 

Susanne schrieb am 27.5.2020

Lieber Roland,
in diesen Wochen sind mir immer wieder Fragen in den Sinn gekommen, die ich mit dir besprechen wollte. Etwa: Diese ungewöhnliche Zeit, in der wir gerade leben, stellt auch die Beschäftigung mit dem eigenen Stil in einen neuen Kontext: Braucht es die anderen, das Außen, den Dialog? Oder reicht es, coole Outfits für sich selbst zu kreieren? Wie siehst du das? Oder: Wie geht es dir konsumtechnisch? Findest du auch, dass man eigentlich verdammt wenig braucht? Oder: Welche Rolle spielt Mode in einer Zeit des Lockdown?
Heute haben wir uns im Café Hofer zum Kaffee getroffen und geplaudert. Gleich aufgefallen ist mir dein gekonnt geknotetes, sehr schönes Seidentuch, das als Mund- und Nasenschutz dient. Dass sich hinter dem Tuch eine ganze Welt an Geschichten, Metaphern und Stilfragen verbirgt, war schnell klar. Daher möchte ich den dritten Teil unserer E-Mail-Konversation so eröffnen: Warum Tuch und keine Maske? 

Susanne Barta + Roland Novak Foto_2

Roland schrieb am 2.6.2020

Liebe Susanne,
irgendwie hat sich durch die Einführung der Maskenpflicht für den Jungen in mir ein vor Jahrzehnten das letzte Mal geträumter Traum in den Alltag gerettet: einmal als Bankräuber wie in den Edgar Wallace Filmen durch die Straßen zu ziehen. Oder als John Wayne in einem John-Ford-Western zu reiten. Kleidung generell schien mir in der strengeren Lockdown-Phase ein zentrales Thema, wenn es um die Rettung des Alltäglichen, Gewohnten und Bekannten ging. Wie präsentiere ich mich meinen Schülern im Online-Unterricht, wie beim Video-Meeting mit dem Lehrerkollegium oder gar beim kurzen Situationsbericht Face-to-Face auf Teams mit der Direktorin? Durch die Aufrechterhaltung eines bestimmten Kleidungscodes, glaube ich, konnten bestimmte Erschwernisse umgangen werden. Und sobald es nach draußen ging, war für mich klar, bei der Knappheit an chirurgischen Masken sollten diese einzig und allein dem Personal vorbehalten sein, die sie auch dringend benötigen. Nachdem ich doch über eine ansehnliche Anzahl an Halstüchern, Neckerchiefs oder Foulards verfüge, die sich im Laufe der Jahre angesammelt haben, war es für mich klar, diese endlich auch zu verwenden, als Schutz. Und hier eröffnet sich ja ein breites Feld an Überlegungen: wovor schützt uns im nichtklinischen Alltag eine Baumwollmaske, ein um Nase und Mund gebundenes Baumwoll- oder Seidentuch? Ich habe bemerkt, dass deine der chirurgischen Maske nachempfundene weiße Baumwollmaske weniger als Kleidungsstück empfunden wird, als vielmehr eine Botschaft enthält: Dieser Schutz ist ein handgefertigtes Produkt einer mir nahestehenden Schneiderin und dadurch unterstütze ich sie in ihrer Arbeit. Ganz im Sinne der Glocalisierung. Bin ich da richtig?

Susanne Barta + Roland Novak Foto_3

Susanne schrieb am 3.6.2020

Lieber Roland,
mit dem Mundschutz ist das so bei mir: Am liebsten ziehe ich einen Strumpf an, da habe ich einige alte vom Skifahren. Vor allem einen Camouflage-Strumpf mag ich gerne, man schaut darin ein wenig nach Guerilla aus. Aber der Strumpf ist zu heiß geworden. Ich habe einige Masken ausprobiert, von einer habe ich einen Ausschlag bekommen. Daher dann gleich die Nachfrage bei Lisi Tocca von CORA happywear, ob sie nicht etwas Nachhaltiges und Ungiftiges habe. Die Dinger trägt man ja zum Teil ziemlich lange und, wie ich gemerkt habe, sind einige Stoffe alles andere als unbedenklich. Lisi hat aus ihren Stoffresten Mundschutz nähen lassen, den sie in ihrem Geschäft in der Vintlerstraße auch verkauft. Diese Masken sind super fein und hautfreundlich. Dann habe ich noch eine sehr schöne bekommen von einer Freundin aus Linz, auch sie hat aus Stoffresten Masken gemacht.
Zu deiner Frage nach Glocalisierung: Ja, ich finde es wichtig, Unternehmen zu unterstützen, von denen man möchte, dass sie diese Krise bewältigen. Für kleine Brands, die Wert auf Nachhaltigkeit und Fairness legen, ist das besonders herausfordernd. Ich kann es nicht oft genug wiederholen, auch für mich: Weniger kaufen und besser. Ich habe bisher nur Secondhand gekauft, eine Bluse und Jacke bei Kleopatra in Bozen und eine Bluse beim Wams in Innsbruck. Masken, wie gesagt, bei CORA happywear, auch sonst gibt es dort tolle Basics. Einige sehr schöne Sachen für den Sommer habe ich beim Kauri Store gesehen.
Wie machst du das? Kaufst du bewusster? Unterstützt du bestimmte Labels?Susanne Barta + Roland Novak Foto_4+5

Roland schrieb am 7.6.2020

Liebe Susanne,
ich muss zugeben, dass ich mir in den letzten Wochen Zeit genommen habe, bestimmte Konsumangewohnheiten zu überdenken. Es war eigentlich eine einmalige Gelegenheit, dies in Ruhe zu tun. Und da hat mir ein Begriff, den du auch benutzt, als roter Faden gedient: Basics. Im Bereich Menswear wird das oft als Wardrobe Staples umschrieben. Damit sind sehr wohl auch Basics gemeint, also die klassische weißes-T-Shirt-Jeans-Kombi oder die Chino und das lockere Freizeit Sakko. In puncto Basics/Staples ist mir leider aufgefallen, dass mir was fehlt. Keine Sommerschuhe im Schuhregal! Meine Reaktion auf diese Erkenntnis war erwartungsgemäß gekennzeichnet von kalten Schweißausbrüchen und nächtelangem Wachliegen. Also, damit da kein Missverständnis aufkommt: Schuhwerk habe ich schon; das meiste fällt in den Bereich Boots, also knöchelhohe Lederschuhe, ein paar Oxfords oder Derbys sind auch dabei, aber so ein Loafer, der ideale Sommerschuh, der hat mir gefehlt. Als dann Martin Hilpold seine Schuhwerkstatt wieder geöffnet hat, bin ich zu ihm und habe ein paar Tassel Loafers in Auftrag gegeben. Vorausgegangen ist da natürlich eine relativ lange Recherche im Internet. Da gibt’s ja die Ivy Klassiker von GhBass, die Weejuns, dann verschiedene Pennys von Solovair oder (vom Preis her unerschwinglich) Alden. Aber all diese Angebote können bei Schuhen besonders eines nicht ersetzen: den Schuster, der dir die Maße deiner Füße nimmt, feststellt, dass dein rechter Fußrücken oder Rist mehr Platz benötigt als der linke, dies bei der Herstellung berücksichtigt, und du dann einen Schuh bekommst, der dich die nächsten fünf oder gar zehn Sommer begleitet. Um auf deine Frage zurückzukommen, ja, die letzte Zeit habe ich genutzt, um meine Leidenschaft für Kleidung zu überdenken und die Brennweite neu einzustellen. Vom generischen Made in Italy bin ich auf ein Made in Firenze, Toscana, Emilia Romagna, Ravenna, Follina, Marche, Bozen usw. umgestiegen. Es gibt auch immer mehr Hersteller, die die Produktionswege sehr detailliert kommunizieren. Und da sind wir Endverbraucher wieder gefragt. Unsere Entscheidungen beeinflussen die Zukunft mehr, als wir uns zutrauen. Wie sieht das bei dir aus? Was muss oder kann ein kleines lokales Label alles an Kommunikation leisten, damit es sich vor Ort aufrechterhalten kann und, wie beispielsweise ein Sarner Janker, beinahe zu einem mitteleuropäischen Wardrobe Staple wird?

Susanne Barta + Roland Novak Foto_6+7

Susanne schrieb am 9.6.2020

Lieber Roland,
ich habe vor kurzem mit Marina Spadafora, Designerin und Koordinatorin von Fashion Revolution Italy, gesprochen. Und sie sagt unter anderem: „Wir befinden uns in einem historischen Moment, in dem die Handlungen eines jeden die Zukunft bestimmen, die wir unseren Kindern ermöglichen. Der Akt, etwas zu kaufen, ist nicht mehr nur ein wirtschaftlicher, sondern eine Abstimmung für die Welt, die wir jetzt und in Zukunft wollen.“ Dem stimme ich zu. Auch wenn klar ist, dass das Eintreten für mehr Fairness und Nachhaltigkeit immer ein gemeinsames Tun von Politik, Industrie und Konsument*innen sein muss.
Als kleines, nachhaltig produzierendes Label ist es nicht einfach zu überleben, vor allem in einer Zeit wie dieser. Das sehe ich, wohin ich blicke. Dennoch wird es vielen gelingen. Einerseits durch Kreativität und persönlichen Einsatz, aber auch, weil diese Zeit in ihre Hände spielt. Herkömmlich produzierende Brands bekommen immer mehr Erklärungsbedarf, wo und wie sie ihre Produkte herstellen. Ob sie Ressourcen verschleudern, giftige Chemikalien verwenden, ob sie Hungerlöhne zahlen etc.
Kundenpflege ist sehr wichtig. Auch die machen kleine Brands meistens besser. Sie haben vielleicht nicht Zeit ständig Newsletter zu verschicken, aber sie sind meist näher an ihren Kund*innen. Das beweist auch dein Konsumverhalten, oder?
Was zum Stapel wird, hat wohl damit zu tun – ob Sarner oder weißes T-Shirt –, dass es für Jahrzehnte Teil der Garderobe sein kann – das T-Shirt wird man vielleicht mal auswechseln müssen, den Sarner eher nicht –, ob es sich vielfältig einsetzen lässt, also sich keinen kurzfristigen Trends unterwirft und, dass die Qualität stimmt. Und die stimmt bei Fast Fashion Brands definitiv nicht. Das alles zu kommunizieren ist für ein kleines Unternehmen nicht ganz einfach. Aber die sozialen Medien bieten hier sehr große Möglichkeiten. Und wir sehen, dass das auch funktioniert. Vor allem bei jüngeren Mode-Konsument*innen. Und dann kommen auch Initiativen hinzu, wie zum Beispiel die GREENSTYLE munich, die kleine Brands dabei unterstützt, dass Konsument*innen sie entdecken und kaufen können, einmal im Rahmen einer B to C Messe und einer Konferenz und darüber hinaus durch das Bespielen vielfältiger Kommunikationskanäle. Ganz im Sinne von #bettertogether.
Mich würde interessieren: Was erwartest du dir als anspruchsvoller Kunde von den Marken, die du erwirbst oder unterstützt?Susanne Barta + Roland Novak Foto_8+9

Roland schrieb am 12.6.2020

Liebe Susanne,
ich liebe Geschichten. Ich erzähle auch gerne Geschichten. Wobei in meinen Lieblingsgeschichten der erfundene, kreative Anteil und der tatsächliche, belegbare sich immer schön die Waage halten. Ein Kleidungsstück muss für mich immer eine Geschichte haben. Diese kann ganz unterschiedlichen Quellen entspringen. Einige Stücke in meinem kleinen Archiv sind Originale aus den 1910er bis 1960iger Jahren, aus sehr unterschiedlichen Epochen und Ländern. Sie weisen charakteristische Merkmale auf, die sie für den Einsatz als Kleidungsstück für den Arbeitsalltag oder für festliche Anlässe auszeichnen. Viele weisen eindeutig auf einen Einsatz im militärischen Bereich hin. Meine neueren Kleidungsstücke bilden diese Geschichten ab. Es sind teilweise sogenannte Reproduktionen oder Neuinterpretationen. Und das macht für mich den Wert und die Wertbeständigkeit eines Kleidungsstückes aus. Sein Stammbaum und die Art der Wiederbelebung seiner Geschichte. Daraus ziehen vor allem kleine Unternehmen, die meistens von der Leidenschaft der Gründer leben, ihre Geschichten, die sie dann in ihren Kleidungsstücken vernähen. Interessant ist vor allem, wie diese kleinen Unternehmen für sich werben. Im überschaubaren Netzwerk von Begeisterten spricht es sich meistens sehr schnell herum, wenn etwas Neues irgendwo auftaucht. Und da ist Instagram sicher die wichtigste Plattform, da der visuelle Anteil sehr hoch und die Kommunikation über Bilder fürs Auge zentral ist. Meine Bevorzugung eines Halstuchs als relativem Mundschutz in der Zeit der Maskenpflicht entstammt solchen Geschichten. Welche Geschichte erzählen Kleidungsstücke für dich?Susanne Barta + Roland Novak Foto_10

To be continued…

Wir bedanken uns bei Tobe Planer und dem Ahoi-Minigolf-Team. Ahoi findet ihr auch auf Facebook und Instagram. Ein Dank an Urban von Klebelsberg für die Fotos und an Lisi Tocca von CORA happywear für die Zurverfügungstellung des Kleids. 

Auf den Fotos zu sehen:
Susanne trägt ein Kleid von CORA happywear aus der neuen Kollektion, eine Lederjacke von Re-bello und die Sneakers sind von Veja https://www.veja-store.com.
Roland trägt ein Beret von Cappelleria Melegari, striped knit shirt von Max Rohr, USN Pants von Red.Quintessence, Socks von Heritage9.1, Derbys von Schuhmacher Martin Hilpold
Foto (1–3) © Urban von Klebelsberg; Foto (4) © Roland Novak; Fotos (5–10)  © Urban von Klebelsberg 

Print

Like + Share

Comments

Current day month ye@r *

Discussion+

There are no comments for this article.

Related Articles

Archive > Fashion