Music

June 16, 2020

Vertonte Hölle für Feministen? „Porn Chic“

Florian Rabatscher

Alle Jahre wieder, droppen Beichtstuhl Basement ihre Lieder … und würde ich noch weiter reimen, dann müsste es weiter heißen: Und dieses Mal geht es in und um die Glieder. So ungefähr könnte man den neuesten Release „Porn Chic“ der Brixner Hip-Hop-Formation beschreiben. Die Rapper Penisregulator und Steven Gem laden euch auf diesem Album zu einer Reise in die Welt der Vintage-Pornos ein. Obwohl man bei manchen Textzeilen schon eher von Hardcore-Pornos sprechen müsste, in welchen die Herren wahrscheinlich ihre Inspiration für diese Scheibe fanden. Vielleicht waren genau diese Schmuddel-Filmchen ihr Hauptprogramm während der Quarantäne und irgendwie muss man auch diese Erfahrung verarbeiten. Nicht destotrotz zeigt sich der Sound wieder einmal von seiner besten Seite. Die Beats sind schön vinylknackig und facettenreich Old-School. Vintage-Porno trifft auf nostalgische Hip-Hop-Beats und Penisregulators Brustbehaarung passt perfekt ins Bild, sodass sogar Austin Powers vor Neid erblassen würde. Yeah, Baby! Penisregulator

Vor allem aber gefällt mir dieser Hauch von Deutschrap aus längst vergangenen Tagen, den sie bei den ersten beiden Tracks versprühen. Heute dominieren Acts wie Capital Bra, SXTN oder Manuellsen mit ihren von Autotune durchtränkten Hits sogar die Clubszene und definieren das Genre neu. Was wir aber auf „Porn Chic“ hören, erinnert eher an eine längst vergessene Kultur, die rein gar nichts mit der heutigen Hip-Hop-Landschaft am Hut hat. Bei den Tracks „Trinkfest“ und „Stadtdiskothek“ erleben wir sogar einen noch größeren Sprung zurück in die Zeit. Es geht beattechnisch in die 80er Jahre, zu den Anfängen des Raps. So unpassend für dieses Land, dass man sich beim Hören unweigerlich Schuhplattler in Lederhosen mit Adidas-Streifen und riesigen Goldknödeln um den Hals beim Breakdance vorstellt. Aber es hat was. Dabei fällt mir auch auf, wie lange es diesen Sound schon gibt, aber wird er auch dementsprechend gewürdigt? Nicht dass ich gegen Fortschritt wäre, aber warum werden Blues, Jazz oder Rock´n´Roll Revivals so gefeiert und die von Old School Hip-Hop nicht? Speziell in der jetzigen Zeit spielen Rap-Klassiker wie „Fuck Tha Police“ von NWA doch wieder eine große Rolle. Oder meint ihr etwa, es wäre passender die Bilder der derzeitigen Protestwellen mit Chubby Checkers „Let’s Twist Again“ zu unterlegen? Mein Gott, was für eine bescheuerte Vorstellung. Vergessen wir das alles, weil die Botschaft von „Porn Chic“ sowieso eine andere ist. Aber, was ist eigentlich die Botschaft darauf? Vielleicht, wie witzig die Dialoge in den Lederhosen-Sex-Komödien aus den 70ern waren:

„Sakra isch des a Gebirg …“
„Ah Glück, dass du a Bergsteiger bist!“

 „Acht Kilo Dynamit, aber so a kurze Zündschnur dran … Gea Toni, mach keinen Zwergen-Aufstand, pack den kleinen wieder ein.“Steven Gem

Geht es um die ganzen, imaginären Rapper, die vom selbst ernannten Pimmel-Admiral und Steven Gem darauf gedisst werden? Oder geht es bloß um Sex? Von Geschlechtsverkehr zwischen realen Personen kann hier aber jedenfalls nicht die Rede sein, es klingt oft eher nach den Fantasien eines pickligen zwölfjährigen mit Zahnspange, der im Kinderzimmer unter seinem Tom-Turbo-Poster auf „Real Gangsta“ macht. Leichenfick? Kinderfick? Tierschwänze? Auf ihre Scheide pissen? Ich will euch auch gar nicht zu nahe treten oder den Sittenpolizisten spielen, aber zu gewissen Textpassagen fällt mir nur der Satz von Danny Glover im Film „Lethal Weapon“ ein: „Ich bin zu alt für den Scheiß.“
„Natürlich“ fand man Tracks wie „Arschficksong“ von Sido oder „Lutsch meinen Schwanz“ von Kool Savas einmal „lustig“, aber sogar die Künstler selbst distanzieren sich heute von diesen Songs. Wenn es euch nur darum geht, mit solchen Faxen aufzufallen, dann lasst es lieber sein, denn es geht auch anders. Sogar ein Typ wie Moneyboy, der nicht einmal auf den zweiten Blick als ernstzunehmender Rapper erscheint, fällt heutzutage einfach durch gute Musik auf. Im Ernst, hört euch nur „Rap Up 2019“ von ihm an und ihr wisst, was ich meine. Sheesh! Die einzige Zeile, die auf „Porn Chic“ annähernd eine Botschaft verbreitet, kommt von Steven Gem im Track „Trinkfest“: „Ne abgefuckte Welt, in der wir aufwachsen, doch zumindest kann man freitags einen draufmachen.“ Ich will euch auch gar keine Ratschläge erteilen oder den Moralapostel spielen, aber auffallen kann man auch durch schlichtweg gute Musik. Und genau das, hättet ihr auch drauf. Versteht mich also nicht falsch, wenn man von den kleinen lyrischen Ausuferungen einmal absieht, ist es eine wirklich solide Scheibe und nicht bloß die vertonte Hölle für Feministen. Genau in solchen brisanten Zeiten gäbe es doch mehr, als nur über alle Arten von Gliedmaßen und einem fragwürdigen Frauenbild zu rappen. Trotz allem, bin und bleibe ich ein Fan von dieser Truppe und freue mich schon auf ihren nächsten Release. 

Fotos: Beichtstuhl Basement

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