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May 9, 2020

16_Nachwort zum ersten Teil der Lockdown Aufzeichnungen

Susanne Barta

 Dieses Projekt ist aus einem Gespräch mit meiner sehr geschätzten Künstlerin-Freundin Gabriela Oberkofler entstanden. Es sind Momentaufnahmen aus dem Corona-Alltag von Menschen, die mir in dieser Zeit in den Sinn gekommen sind und die aus unterschiedlichen Perspektiven beschreiben, was sie beobachten. In einem zweiten Moment einige Monate später, werden sie ausführen, wie sich „Nach-Corona“ anfühlt und was sie nun beobachten. Begleitet werden die Aufzeichnungen von Gabrielas Zeichnungen und dem für mich sehr passenden Zitat von Karl Valentin. 

 

15 Leute haben mit mir über ihre Lockdown Erfahrungen gesprochen. Entlang der Fragen, „wie sie diese Zeit erleben, was sie beobachten und ob sie denken, dass es systemische Veränderungen durch dieses außergewöhnliche Ereignis geben wird“. Für mich waren diese Gespräche wichtige Bezugspunkte. Eine intensive Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Menschen und ihren Gedanken. Sie haben diese Zeit noch einmal mehr zu etwas Besonderem gemacht. 

Gabrielas Zeichnung, Schafe, die auf einem abgegrenzten Raum, auf einem Teller weiden, könnte nicht besser passen. Neben anderen Erfahrungen, erlauben diese Wochen des Lockdown, einen Blick wie mit einem Vergrößerungsglas, serviert wie auf einem silbernen Tablett, auf das, was ist und vor allem wie es ist. Alles wird klarer, deutlicher sichtbar. Solidarität, Angst, ebenso wie der doch beträchtliche Egoismus. Die Philosophin Marie-Luisa Frick formuliert in den Aufzeichnungen: „Wir brauchen jetzt keine Antworten auf das ‚große Warum‘. Warum kommt jetzt dieses Unglück, warum ist es eingetreten? Wir brauchen auch keine Kindereien wie ‚Die Natur will uns etwas sagen‘. Wir sollten uns eher fragen, wie gehen wir damit um und was heißt das für unser menschliches Leben.“Susanne Barta Foto_1

Einige Bücher haben mich in dieser Zeit begleitet. Harald Welzers Gesellschaftsutopie für freie Menschen „Alles könnte anders sein“, Heinz Budes Buch „Solidarität“, Eva Illouz’ und Edgar Cabanas’ brillanter Essay „Das Glücksdiktat und wie es unser Leben beherrscht“ und jetzt lese ich Kurt Kotrschals umfangreichen Band „Mensch. Woher wir kommen, wer wir sind, wohin wir gehen“. Vor allem das Buch von Eva Illouz hat Zusammenhänge aufgezeigt, die mir in dieser Deutlichkeit nicht klar waren. Zwischen der Glücksindustrie, der Tyrannei des positiven Denkens, Neoliberalismus und Konsumdiktat. Und ich habe dort Wörter gelernt wie „Happychonder“, „Generation Selbstliebe“, „Psychobürger“ und „Glücksgestörte“. Das Buch hat vor allem in dieser Zeit gut getan, denn ein nüchterner Blick scheint mir wichtiger denn je zu sein.

Ich erinnere mich an Kommentare zur Lage, in denen fast schwärmerisch darüber geschrieben wurde, wie wir alle im gleichen Corona-Boot sitzen. Aber schon sehr schnell hat sich gezeigt, dass die Unterschiede größer sind denn je. Zwischen entwickelten und weniger entwickelten Ländern und Regionen, Stadt und Land, zwischen arm und reich, jung und alt, zwischen Gruppen oder Populationen (da es keine biologische Grundlage für Rassen gibt), zwischen den Geschlechtern. Dass Frauen in einer solchen Krise die größere Prozess-Kompetenz haben, behaupte ich hier, hat sich gezeigt. Die Chefinnen dieser Welt agieren klarer, mit mehr Augenmaß, weniger Eitelkeit und scheinen vor allem weniger anfällig zu sein für die Verführungen der plötzlichen Macht. Und wer zuhause das meiste stemmt, zwischen Arbeit, Kindern, Homeschooling und Haushalt, ist auch keine Überraschung. Daher würde ich sagen liebe Freundinnen, Rezepte auszutauschen ist ok, aber jetzt geht es auch darum, endlich Machtverhältnisse in Frage zu stellen und sie dementsprechend zu verändern.Susanne Barta Foto_2+3

Was Corona gesellschaftlich bewirken wird, das wird sich erst weisen. Der Journalist Andreas Pfeifer befürchtet in seinen Aufzeichnungen eine wiederholte, aber noch brutalere, Umverteilung von unten nach oben, der Arzt Martin Langer  hält grundlegende systemische Veränderungen vor allem für einen intellektuellen Wunsch, der Unternehmer Heiner Oberrauch hat Sorge, „dass nachher vieles einfach so weitergeht wie bisher, dass sogar in einigen Bereichen überreagiert wird, weil der Nachholbedarf groß sein wird“. Der Rektor der Freien Universität Bozen, Paolo Lugli, ist moderat optimistisch, was die digitalen Möglichkeiten der Lehre betrifft, etwas weniger, was die Lernfähigkeit des Systems Italien betrifft. Die Gastwirtin Petra Oberkofler hofft, dass sich die Wertigkeit vieler Dinge ändern wird. Der Verhaltensbiologe Kurt Kotrschal ist nüchtern und sagt: „Menschen bleiben Menschen und sie werden auch nach der Krise versuchen, ihre Eigeninteressen zu wahren und in alte Muster zurückfallen.“ Auch Birgit Gostner, Verwaltungsleiterin der Obstgenossenschaft Laurin, glaubt, dass wir nach einer gewissen Zeit wohl wieder unsere alten Rhythmen aufnehmen werden. 

Die Frage aber ist: Was wollen wir??? Wollen wir wieder zurück in dieses überhitzte, überdrehte Hamsterrad? Gabriela Oberkofler formuliert das so: „Man läuft und läuft und läuft. Irgendwann fällt das Rad aus der Schiene und man fliegt durch die Luft, kommt irgendwo unsanft auf und realisiert erst, in welcher Situation man ist.“ Auch Antonia Egger Mair hofft darauf, dass die Schnelllebigkeit weniger wird. Denn, „es muss nicht alles gleich und sofort passieren“. Wenn wir das also nicht wollen, ist es an uns allen, darauf zu schauen, dass wir nicht da weiter machen, wo wir aufgehört haben. Der Architekt Peter Zumthor möchte jedenfalls nicht mehr zurück. Und der Soziologe Heinz Bude ist sich ziemlich sicher, dass es kein Zurück gibt, sondern nur eine Veränderung. Das ist die Frage, die mich am meisten beschäftigt: Wie kann das gelingen? Wie lassen sich mehr als nur kosmetische, gesellschaftliche Veränderungen auf die Schiene bringen? Dass unser Credo eines scheinbar unendlichen, linearen Wirtschaftswachstums unvernünftig und dumm ist, alle wissenschaftlichen Erkenntnisse liegen dazu auf dem Tisch, heißt nicht, dass wir bereit sind, das zu verändern. Für den Klimaforscher Georg Kaser ist klar: „Wir bleiben dran.“ Jung-Unternehmerin Isabelle Prinoth fordert uns auf zu „Let’s think outside of the box“. Und Coach Carmel Lee Paul meint: „Wenn wir es jetzt nicht kapieren, werden wir nochmals eine auf den Deckel bekommen und spätestens dann wird es systemische Veränderungen geben.“Susanne Barta Foto_4+5

Im Herbst/Winter geht es in die zweite Runde dieses Projekts. Nach dem Zitat von Karl Valentin „Hoffentlich wird’s nicht so schlimm, wie’s schon ist“, das uns durch diese Serie begleitet hat, soll dem zweiten Teil ein Zitat von Harald Welzer vorangestellt werden: „Die Welt ist zum Verändern da, nicht zum Ertragen“.

 

Zeichnung: Gabriela Oberkofler 
Fotos © Susanne Barta 

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