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April 21, 2020

11_Carmel Lee Paul – Den Großteil des Tages bin ich begeistert und voller Energie

Susanne Barta

Dieses Projekt ist aus einem Gespräch mit meiner sehr geschätzten Künstlerin-Freundin Gabriela Oberkofler entstanden. Es sind Momentaufnahmen aus dem Corona-Alltag von Menschen, die mir in dieser Zeit in den Sinn gekommen sind und die aus unterschiedlichen Perspektiven beschreiben, was sie beobachten. In einem zweiten Moment einige Monate später, werden sie ausführen, wie sich „Nach-Corona“ anfühlt und was sie nun beobachten. Begleitet werden die Aufzeichnungen von Gabrielas Zeichnungen und dem für mich sehr passenden Zitat von Karl Valentin. 

 

Carmel Lee Paul lebt in Wien und ist selbständige Beraterin, Diagnostikerin und Coach. Sie hat internationale Arbeitserfahrung in den USA, Asien-Pazifik, Australien, Afrika, CEE, UK, Frankreich, Deutschland, Schweiz und Österreich. Auch in Südtirol hat sie gearbeitet. Gerne wird Carmel Lee nach ihrem ungewöhnlichen Vornamen gefragt, der geht auf ihre Mutter zurück, die Irin ist. Neu auf ihrer bereits sehr ausgebuchten Agenda: Carmel Lee Paul engagiert sich für ein Projekt in Uganda, das junge Leute ausbildet und ihnen so Zukunftsperspektiven eröffnet. Sie bringt dort ihre Coaching-Kompetenz ein. 

Carmel Lee Paul

Aufgezeichnet am 16. April 2020 

Ich bin mit meinem lieben Mann zuhause, das liebe betone ich, denn es ist wichtig, mit wem und in welcher Situation man diese Zeit verbringt. Wir gehen ab und zu spazieren, ab und zu einkaufen. Ich erlebe diese Zeit bisher nicht unbedingt als entschleunigt. Mein Mann ist Mediziner und hat sehr schnell auf Telemedizin umgestellt, ich als Coach auf Online-Coaching. Wir haben das gleich in den ersten Tagen gemacht. Darüber hinaus prasseln derzeit so viele Möglichkeiten, selbst zu lernen, auf einen ein, das ist fast nicht zu bewältigen. Unglaublich, was es an Webinaren, Vorträgen, Meetings innerhalb meiner Netzwerke gibt, wo wir uns austauschen, diskutieren und voneinander lernen. Und nachdem ich so ein neugieriger, wissbegieriger Mensch bin, tu ich mich schwer, etwas auszulassen. Ich bin guter Dinge, weil ich das alles so spannend finde. Den Großteil des Tages bin ich begeistert und voller Energie, nur gegen Abend manchmal etwas erschöpft.

Ich habe für mich persönlich bemerkt durch diese Zeit, was und wer mir wichtig ist, was und wer mir fehlt. Auch beim Coaching ist das immer wieder Thema. Wenn wir daraus die Konsequenz ziehen, dass wir Dinge, die zu viel geworden und unnötig sind, im wahrsten Sinne des Wortes ausmisten, dann kann das für Mensch und Natur eine wirklich positive Auswirkung haben. Was meine ich damit: Nicht jedes Meeting muss live sein, als Manager muss ich nicht wöchentlich nach Frankfurt fliegen, um bei einem Termin dabei zu sein, ich muss nicht jedes Wochenende so viele Freunde und Aktivitäten hineinpacken, dass keine Zeit mehr bleibt, auch mal nichts zu tun. Drei Prozent der Menschen reichen aus, heißt es, eine Verhaltensänderung einzuleiten. Wenn also drei Prozent in unserem Umfeld bemerken, es gibt gewisse Dinge, die man sich sparen kann, dann entsteht ein Veränderungsprozess.

Carmel Lee Paul Foto_3

Ich arbeite als Businesscoach und mache viele Einzel- und Team-Coachings. Schon seit einigen Jahren bin ich der Meinung, dass Online-Coaching durchaus funktioniert, für mich aber war es bisher nur eine Notmaßnahme. Ich war begeistert, wie schnell alle Coachees bereit waren auf online umzusteigen und weitermachen wollten. Nur Leute, die im medizinischen Bereich arbeiten, sind derzeit zu beschäftigt. Ich habe allerdings keine neuen Klienten dazubekommen, kannte alle meine Coachees. Außerdem beginne ich jetzt auch online TASC-Trainings zu begleiten (TASC The Art and Sciene of Coaching). In den USA und in Canada wird seit vielen Jahren online gecoacht und ausgebildet. Da lerne ich gerade dazu. Ich bin zum Beispiel dabei beim Workshop „Erickson Coaching for Health“, ein toller Workshop für Leute, die im Medizin- und Gesundheitsbereich arbeiten, mitzuwirken. 

Die psychische Belastung ist für viele größer als vorher. Man denke nur an Homeoffice und kleine Kinder zuhause. Das ist ein enormer Stressfaktor. Ich kenne niemanden, bei dem häusliche Gewalt ein Thema ist, aber allgemein ist das immer mehr Thema. Ich hoffe, dass durch diese extreme Zeit mehr Aufmerksamkeit darauf gerichtet wird. Ebenso auf das Thema alleinerziehende Mütter. Auch ich war einige Jahre alleinerziehend und habe als Selbständige erfahren, wie gering die Unterstützung hier ist. Ich habe das geschafft, weil ich gut ausgebildet und eine energische Person bin, aber es war sehr schwierig.

Carmel Lee Paul Foto_4

Ich befürchte, dass die meisten hoffen, Corona möge so bald als möglich vorbei sein, um weitermachen zu können wie bisher. Die Lobby der Wirtschaft drängt darauf, dass nachgeholt wird. Natürlich ist es vielfach eine Katastrophe, was passiert. Wenn ich mir die Reise- und Tourismusbranche anschaue, Fluglinien, Hotels und Restaurants gehen ein. Hier wird man darauf pochen, dass es nicht nur weitergeht wie vorher, sondern dass man aufholt. Aber da wird uns Corona vielleicht einen Strich durch die Rechnung machen, denn wenn zu schnell gelockert wird, wird es eine zweite Welle geben, das hört man aus allen wissenschaftlichen Beiträgen. Genauso weitermachen wie bisher halte ich also für unvernünftig und hoffe, dass es zumindest in gewissen Bereichen genug Menschen gibt, die erkennen, dass Konsequenzen absolut notwendig sind. Menschen brauchen meist Leid, um sich zu verändern. Auch jetzt sieht man, wie schnell Veränderung geht, wenn das Leid groß genug ist. Wenn wir es jetzt nicht kapieren, werden wir nochmals eine auf den Deckel bekommen und spätestens dann wird es systemische Veränderungen geben.

 

Fotos © Carmel Lee Paul  

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