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April 3, 2020
5_Kurt Kotrschal – Menschen bleiben Menschen
Susanne Barta
Dieses Projekt ist aus einem Gespräch mit meiner sehr geschätzten Künstlerin-Freundin Gabriela Oberkofler entstanden. Es sind Momentaufnahmen aus dem Corona-Alltag von Menschen, die mir in dieser Zeit in den Sinn gekommen sind und die aus unterschiedlichen Perspektiven beschreiben, was sie beobachten. In einem zweiten Moment einige Monate später, werden sie ausführen, wie sich „Nach-Corona“ anfühlt und was sie nun beobachten. Begleitet werden die Aufzeichnungen von Gabrielas Zeichnungen und dem für mich sehr passenden Zitat von Karl Valentin.
Der renommierte Biologe und Verhaltensforscher Kurt Kotrschal ist auch in Südtirol ein Begriff, vor allem als Experte in Sachen Wolf. Er ist Gründer des Wolfsforschungszentrums (WSC) in Ernstbrunn, Niederösterreich und hat viele Jahre als Nachfolger von Konrad Lorenz, die Konrad Lorenz Forschungsstelle in Grünau im Almtal geleitet. In seinen letzten Büchern beschäftigt er sich vor allem mit uns. Im Oktober erschien „Mensch. Woher wir kommen, wer wir sind, wohin wir gehen“ und in diesen Tagen kommt im Residenzverlag „Sind wir Menschen noch zu retten? Gefahren und Chancen unserer Natur“ heraus.
Aufgezeichnet am 31. März 2020
Verändert hat sich vor allem meine Wahrnehmung der Umgebung. Der Autolärm ist weg, der Flugzeuglärm auch. Jetzt erst fällt auf in dieser unglaublichen Stille, wie laut die Zeit vorher gewesen ist. Einerseits schön, aber auch ein bisschen bedrohlich, weil das Unbewusste ständig sagt, „um Gottes Willen, wo sind die Leute“. Andererseits bin ich ein durchaus soziophober Mensch und die gegenwärtige Situation erlaubt mir, selektiver mit Leuten in Kontakt zu sein als vorher. Allerdings sind auch Kontakte, wie zu den Enkelkindern, unterbunden und das ist nicht schön.
Ob ich den Wölfen abgehe, weiß ich nicht. Ich war schon länger nicht mehr dort. Das Wolfsforschungszentrum gehört zur Veterinärmedizinischen Universität und die unterliegt sämtlichen neuen Regelungen. Das heißt, der Betrieb ist eingestellt, nur eine Handvoll Trainerinnen macht dort Journaldienst und betreut die Wölfe und Hunde. Sie haben jetzt mehr Zeit, mit den Tieren zu arbeiten und Beziehungspflege zu machen, die wissenschaftliche Hektik hat ziemlich abgenommen.
In meinem zweiten Buch über den Menschen, das Mitte April 2020 erscheint, geht es mir darum, die Relevanz unseres Wissens über die menschliche Natur für eine menschengerechte Politik zu thematisieren. Das ist ein Minenfeld, gerade wenn sich ein Biologe darum kümmert. Ich habe mir dabei einen Überblick verschafft, was jene Eigenschaften der Menschen sind, die wir aus der sozialen Evolution mitbekommen haben, und die unsere Grundbedürfnisse prägen. Menschen sind extrem soziale Wesen, es gibt kein Tier auf der Welt, das sozialer wäre. Was wir derzeit erleben, ist einer der interessantesten und radikalsten, gesellschaftlich-sozialen Versuche, den es je gegeben hat. Ich hoffe, dass die Soziologen, Politologen und viele weitere forschen wie die Wilden. Wir brauchen jetzt Daten, wie die Leute auf die Situation reagieren. Einerseits kann man sehr wohl vorhersagen, dass Leute, die bisher sozial nicht besonders gut verbunden waren, die sich mit digitalen Medien auch schwertun, vermutlich vor allem ältere Leute, immer stärker in die Vereinsamung abrutschen. Und Einsamkeit tötet Menschen. Das heißt, die gegenwärtigen Maßnahmen werden nicht nur Leben retten, sondern auch Leben kosten. Die Leute reagieren sehr unterschiedlich, das liegt in der Natur des Menschen. Es gibt Leute, die stürzen sich in den Sport, andere ins Bloggen, andere wieder ins Kochen, Essen und Trinken. Wir werden sehen, dass das durchschnittliche Körpergewicht der Bevölkerung zunehmen wird und auch das ist nicht ganz ohne Folgen.
Auf der anderen Seite sind wir eingebettet in die digitale Welt und es wird spannend zu sehen, wie das unser weiteres Kommunikationsverhalten verändern wird. Auch meine eigene digitale Kompetenz ist deutlich gestiegen und mein Widerstand gesunken. In Zukunft werden sich die Leute zum Teil rechtfertigen müssen, warum sie mit dem Auto, dem Flugzeug zu einem Meeting sausen. Die großen Provider tragen dazu bei, dass diese Technologien weiter gepusht werden, mit allen Problemen die das, vor allem demokratie-politisch, mit sich bringt. Schon jetzt müssen wir beginnen, darauf hinzuweisen, dass jene, die die Daten und Algorithmen haben, unter demokratische Kontrolle gestellt werden. Es gibt bereits Diskussionen darüber, dass Google, Facebook & Co „Public Goods“ werden.
So neu die Erfahrung ist, dass in einer liberalen Demokratie politisch entschlossen gehandelt wird, so sehr ist es wichtig, darauf zu schauen, was mit den bürgerlich-freiheitlichen Rechten passiert. Die Corona-Zeit wird ja nicht schnell vorbei sein, damit auch die Einschränkung unserer Rechte nicht. In gewisser Weise werden wir uns daran gewöhnen, aber auch die Herrschenden gewöhnen sich daran, dass sie das machen können. Und das ist nicht gut. Die Zivilgesellschaft muss aufpassen, dass die bürgerlichen Freiheiten wieder zurückkommen. Wir müssen die liberale Demokratie verteidigen. Starke Männer sind keine Alternative. Die globalen Krisen können nur innerhalb einer liberalen Demokratie gelöst werden.
Ich glaube allerdings nicht, dass sich die Welt in eine grundlegend andere Welt verwandeln wird. Hoffen tu ich schon, ich bin ja auch Optimist. Aber wenn ich Herrn Horx und andere Zukunftsforscher lese, dann finde ich das zwar sehr lieb, aber nur positiv werden die Folgen nicht sein. Menschen bleiben Menschen und sie werden auch nach der Krise versuchen, ihre Eigeninteressen zu wahren und in alte Muster zurückfallen. Es gibt ja bereits jetzt Positionierungen für Verteilungskämpfe, nach Ende der Krise werden sie gewaltig sein. Andererseits erleben wir derzeit von unseren Politikern eine Rationalität in der Vorgehensweise, die in scharfem Kontrast zu der zum Teil irrationalen Politik steht, die vor der Krise gemacht wurde. Wenn die Politik nach der Krise wieder dorthin zurückfällt, denke ich, werden die Leute das nicht verstehen. Insgesamt glaube ich, wird sich also was tun, aber die Veränderungen werden eher auf bescheidenem Niveau sein. Viellicht ein wenig in Richtung Ökologisierung, noch stärkeres Aufbrechen der gesellschaftlichen Konflikte, vielleicht bleiben wir als Gesellschaft etwas solidarischer … Die Tür wird nicht weit offen bleiben. Aber ob sie offen bleibt, wird von uns abhängen.
Zeichnung: Gabriela Oberkofler
Fotos: Kurt Kotrschal
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