Music
March 20, 2020
Ich möchte Teil einer Tiroler Rap Gang sein: Sonde44
Florian Rabatscher
Extrablatt! Extrablatt! Keine neuen Nachrichten über diesen Virus, sondern über eine spezielle Raumsonde, die heute hier auf der Erde zur Landung angesetzt hat. Aber sollten Raumsonden nicht von hier aus andere Planeten erforschen? Könnte man annehmen, doch diese Sonde ist so klein, dass sie sich direkt in eurem Gehör festsetzt. Na gut, von „klein“ kann nicht die Rede sein, da der musikalische Inhalt dieser Sonde so herrlich größenwahnsinnig klingt, dass Donald Trump dagegen wie ein bescheidener Mönch aussieht.
Gemeint ist die Tiroler Rap-Formation Sonde44, die mit ihrem Debutalbum „Kontakt“ wahrlich nach den Sternen greift. Die Rapper Pirmin und Klaus Run setzen hiermit zum totalen Höhenflug an. Dass die Hip-Hop-Szene nicht gerade zimperlich oder zurückhaltend ist, sollte bekannt sein. Doch in diesem Longplayer wird schon mal das gesamte Universum infiltriert, die Sonne verschoben, der Mond ausgehöhlt und (wie sollte es anders sein) mit dem ein oder anderen Kontrahenten abgerechnet. Die Waffe ist das Mic in ihren Händen, das sie mit lyrischer Munition im tiefsten Tiroler Dialekt laden. Beim Anhören wird gleich klar, dass das kein Tiroler Rap-Comedy-Abklatsch ist, diese Jungs meinen es bitterernst und es klingt hervorragend. Nie hätte ich mir gedacht, dass diese nicht gerade ästhetische Sprache so tight klingen könnte. Ich wusste auch gar nicht, dass Tirol eine so deftige Rap-Szene besitzt, aber man lernt ja bekanntlich nie aus. Also, sperrt eure Lauscher auf, dreht den Bass auf Anschlag und ergebt euch vollkommen dieser sensationellen Scheibe. Denn nicht nur die Raps sind klasse, auch die Beats sprühen nur so von Kreativität. Es sind nicht nur dahin geschmissene 08/15 Beatvorlagen, die man sich von einem 15-Jährigen aus dem Internet ersteigert hat. Nein, hier gleicht keiner dem anderen und man findet von Old-School-Scratch-Einlagen bis zu total übersteuerten Bässen eigentlich alles, was das Beatnerd-Herz begehrt. Tirol kann also nicht nur nach Kühen und Bergen klingen, sondern auch ziemlich urban …
Ich arbeite mich durch das Album, zuerst der „Kontakt“ und dann „Defcon“, wo ich mein T-Shirt aufrolle um bauchfrei einen arabischen Tanz aufs Parkett zu legen. Es geht weiter mit Battler-Raps auf „Killa mr als“ und einem schwerelosen Robot-Tanz zu „Party am Mond“. Der nächste Track „Zviele“ bietet wieder allerhand Stoff imaginäre Leute zu dissen. Ich erwische mich selbst, wie mir ein leises „Skrrr“ entwischt, während ich den dunklen Trap-Sound von „Leben/Sterben“ höre. Erinnert mich irgendwie an den Stil von Xavier Wulf und mir fällt wieder ein: Trap muss nicht zwingend Scheiße sein. Dann bei „Prayers“ erklingen plötzlich noch vinylwarme Gitarrenklänge. Was für ein Trip … Und ich stelle fest, „S’ende“ ist noch gar nicht das Ende, denn da kommt noch was: „Du muasch leider gian“ lädt zum extralangsamen Kopfnicken und gelegentlichen 360-Grad-Drehungen (wie beim Exorzist) ein. Zum Glück hat nicht einer meiner Nachbarn in mein Quarantänequartier geblickt, sonst hätte man mich wohl gleich auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Und weil wir gerade davon sprechen: Besessen ist auch noch die richtige Umschreibung für den Rap-Stil dieser Herren. Mittlerweile beim letzten Stück „Sun“ angekommen, drehe ich nochmals voll auf, hänge mich zum Fenster raus, schreie wie ein Bescheuerter und spucke Feuer. Mann, Mann, Mann, was für ein Album. Neige ich zu Übertreibungen? Kann schon sein, jeder kann es natürlich auf seine Weise hören. Man muss sich nicht zwingend dabei aus dem Fenster hängen oder sich wie ein totaler Volltrottel verhalten … Trotzdem, ich bin begeistert und habe jetzt ein neues Lebensziel: Ich möchte Teil einer Tiroler Rap Gang sein.
Foto: Sonde44
Comments