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February 2, 2020
Nichts ist gegeben: Kulturvermittlerin Martina Oberprantacher
Verena Spechtenhauser
Die Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau in München gehört zu den wichtigsten Kulturinstitutionen Bayerns. Das Museum mit Sitz in der ehemaligen Villa des Künstlerfürsten Franz von Lenbach ist international vor allem aufgrund der umfassenden Sammlung zur Kunst des Blauen Reiter bekannt. Neben den Werken von Wassily Kandinsky, Gabriele Münter, Franz Marc, Alexej Jawlensky oder Paul Klee liegen weitere Sammlungsschwerpunkte im Bereich des 19. Jahrhunderts, der Neuen Sachlichkeit, der Nachkriegsmoderne und insbesondere der internationalen Gegenwartskunst, so zum Beispiel auf den Werken des Künstlers Joseph Beuys. Für das umfassende Vermittlungsprogramm des Hauses ist die Boznerin Martina Oberprantacher verantwortlich.
Seit wann existiert Kunstvermittlung?
Eigentlich ist die Museumspädagogik – diese geht der Kunstvermittlung zeitlich voraus – schon alt. Aus der Museumspädagogik und auch in Distanz dazu hat sich die Kunst- und Kulturvermittlung entwickelt. Sie ist als umfassender Bereich verstanden worden, mit der Herausforderung, alle Gesellschaftsgruppen in den Blick zu nehmen und auf unterschiedlichen Ebenen die Kontextualisierung und die Diskussion zu Kunst anzubieten oder überhaupt ins Spiel zu bringen.
Welchen Ansatz der Kunstvermittlung vertritt das Lenbachhaus?
Die Kunstvermittlung im Lenbachhaus vertritt die Auffassung, dass jede Person ein großes Spektrum an Wissen mitbringt. Die Vermittlung soll als Situation erlebt werden, zu der wir eine Verhandlung anbieten. Wir haben das Wissen über die Kunst, über die künstlerische Position, den Kontext. Aber ich würde es nicht als höher als das Wissen einschätzen, das die TeilnehmerInnen mitbringen. Die Frage, die wir uns stellen, lautet: Wie können wir die Basis herstellen, um gemeinsam den Prozess zu durchschreiten? Wir möchten die Besucher nicht von dort abholen, wo sie stehen, weil uns ja eigentlich gar nicht klar sein kann, wo genau das ist. Dies wäre ja fast eine paternalistische Haltung, wenn man glaubt zu wissen, wo jemand steht. Es geht vielmehr darum, die Interessen und auch Perspektivenerwartungen zu klären und dann zu schauen, wie man sich gemeinsam dem Werk nähert. Auch aus sehr kritischen Perspektiven heraus. Wir wollen versuchen, gemeinsam herauszuarbeiten, was an einem Kunstwerk interessant ist oder auch nicht, und warum dies so ist. Und in welchen Zusammenhang man dies mit Gesellschaft und Politik bringen kann.
Wie bist du selbst mit der Kunstvermittlung in Kontakt gekommen?
Während meines Praktikums im Museion, das eigentlich eher im kuratorischen Bereich lag, wurde ich vom damaligen Leiter der Vermittlung angesprochen, ob ich nicht auch dort tätig sein möchte. Ich habe schnell erkannt, dass die Kunst- wie Kulturvermittlung ein sehr vielfältiges Feld mit vielen Möglichkeiten ist, und dass ich bestimmte Dinge, die mir wichtig sind, dort auch selber erleben kann. So zum Beispiel der konkrete Kontakt mit anderen Personen, aber auch die Arbeit mit kunst- oder naturhistorischen Objekten selbst. Die Kulturvermittlung ist eine sehr interessante Schnittstelle, die viele Möglichkeiten eröffnet, da sie sich sowohl mit verwandten Themen wie der Kunsttheorie, den Kunstwissenschaften oder der Kulturgeschichte beschäftigt, aber eben auch mit übergeordneten Fragen wie Bildung, Soziales, Gesellschaft, Politik. Deshalb ist es, wie ich finde, sehr wichtig, nicht starr am Begriff der Museumspädagogik festzuhalten, denn dann kann das Verständnis sehr einengend werden. Sieht man die Praxis der Kulturvermittlung hingegen als eine Art der Produktion von Kultur, Kunst und Bildungsarbeit, dann wird das Thema wirklich spannend. Insgesamt bin ich dann auch an die drei Jahre im Museion tätig gewesen und habe dort die unterschiedlichsten Projekte mitbetreut.
Später hast du dann an der Zürcher Hochschule der Künste Ausstellen und Vermitteln studiert …
Ja, genau, irgendwann hatte ich das Gefühl, dass ich die Theorie, den Diskurs und die aktuellen Positionen in der Kunstvermittlung mehr vertiefen möchte. Ich habe meinen Master in Zürich gemacht und kam dort mit Carmen Mörsch in Kontakt, welche das „Institute for Art Education“ leitete. Durch sie habe ich einen sehr kritischen Zugang zur Vermittlungsarbeit kennengelernt, was mich sehr inspiriert hat. Ich habe dann dort auch für kurze Zeit am Institut als wissenschaftliche Mitarbeiterin gearbeitet, bin dann aber nach Bozen zurückgekommen und habe an einer Grundschule gearbeitet. Denn auch der Blick in die Schule – zu erkennen, was sind die Notwendigkeiten, Bedürfnisse, die Herausforderungen für heutige Schulen, Klassen, LehrerInnen, SchülerInnen – empfand ich als sehr wichtig.
Was genau meinst du mit „kritischem Zugang“?
Einerseits die Fragen der Kulturproduktion: Wer darf sich überhaupt als KünstlerIn bezeichnen? Wie erfolgt die Produktion? In welchem Verhältnis steht die Reproduktion? Es ist allgemein hin so gesehen, dass die Produktion einen höheren Stellenwert hat als die Reproduktion. Reproduktive Arbeiten, so zum Beispiel die Bildungsarbeit innerhalb des Kulturbereichs, oder auch die sogenannte Care-Arbeit, sind meist stark feminisiert und schlecht bezahlt. Die Anerkennung und Bedeutung eher gering.
Wir sprechen also von Arbeiten, die getan werden müssen?
Ja, einerseits getan werden müssen und andererseits oft auch gerne getan werden und deshalb nicht gut bezahlt sind.
Eine Tätigkeit, die sehr weit gefächert diskutiert werden kann …
Das stimmt. Zum Beispiel auch in Bezug auf die Bildungsgerechtigkeit in Schulen. Was für Möglichkeiten haben die Kinder dort? Wie stark prägt der familiäre Kontext die schulische Laufbahn? Mit welchen Selbstverständlichkeiten werden sie konfrontiert? Kommen sie aus einem bestimmten familiären Kontext, in dem sie es gewohnt sind, ins Theater oder Museum zu gehen und eine bestimmte Schullaufbahn einzuschlagen oder sind sie das Ganze nicht gewohnt und deshalb adressiert es sie nicht? Die Kulturinstitutionen vermitteln leider auch vielfach das Bild, sie seien nur für ein elitäres, gut ausgebildetes „Bürgertum“ zuständig. Das ist alles andere als gleichberechtigend. Es ist ja nicht so, dass sich alle für Kunst und Kultur interessieren müssen, aber jene, die eine Affinität dafür haben, sollten wenigstens wissen, dass die Möglichkeit besteht, sich selber maßgeblich daran zu beteiligen und mitzugestalten. Dass es überhaupt nichts Gegebenes ist. Mich stören auch Superlative, wie zum Beispiel der „wichtigste“ Künstler, oder der „bedeutendste“ Maler. Und ich frage mich, für wen, von wem und von welcher Perspektive aus das entschieden wird?
Wie demokratisch sind die Entscheidungsprozesse in den Museen, zum Beispiel bei der Entwicklung des Programms?
Man kann sicherlich keine generelle Aussage treffen, da jedes Museum eine eigene Linie und unterschiedliche Tendenzen verfolgt. Normalerweise entscheiden Kuratorium und/oder Museumsleitung darüber, was zu sehen ist, was als Kunst betrachtet werden darf und was als wichtig gilt. Es wird somit auch vom Publikum als gegeben betrachtet. Denn jene Leute, die im Museum arbeiten, werden ja auch als MuseumsexpertInnen anerkannt – einerseits von sich selbst und von den FachkollegInnen, aber auch vom Publikum. Das kann man ja so zur Kenntnis nehmen. Die Frage, die sich dann daraus ergibt. ist, inwieweit die MuseumsexpertInnen die Diversität der Gesellschaft spiegeln und ihr Mitspracherecht zugestehen. Oftmals sind nicht die MuseumsexpertInnen die richtigen AnsprechpartnerInnen. So zum Beispiel in Bezug auf Alltagskompetenz, wie Erfahrungen mit Rassismus oder Migration. Da gibt es Menschen, die aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen weit bessere Kenntnisse haben als das Museumspersonal, das sich oft nur aus einer distanzierten Perspektive damit beschäftigen kann. Eben auch weil die Themen der Gesellschaft ständig im Wandel sind.
Kannst du dir eine Rückkehr nach Südtirol vorstellen?
Auf jeden Fall. Ich fände es dabei sehr begrüßenswert, wenn in Südtirol die Bedeutung der kulturellen Bildung stärker ins Bewusstsein rücken würde. Es gibt viele tolle AkteurInnen und VermittlerInnen innerhalb sowie außerhalb der Institutionen, aber eine Einbettung auf Verwaltungsebene fehlt. Vielleicht wäre die Einrichtung einer Fachstelle wie in deutschen, österreichischen und schweizer Kommunen eine Anregung!?
Welche Herausforderungen siehst du für die Zukunft?
Ich denke, es gibt jetzt schon zahlreiche Herausforderungen und in Zukunft werden es sicherlich auch nicht weniger. Zum Beispiel das „Sich-beteiligt-Fühlen“ oder das „Sich-nicht-beteiligt-Fühlen“ aufgrund der kulturellen Zugehörigkeit. Die Diversität, egal ob sprachlicher oder kultureller Natur, ist eine absolute Bereicherung, mit der man behutsam, aber auch produktiv und konstruktiv umgehen sollte. Sie ist also eine positive Herausforderung in meinen Augen. Und vor allem dürfen wir diese Realität nicht ausklammern oder ignorieren, dies wäre total kontraproduktiv. Ich fände es sehr wünschenswert, wenn sich die Kultur mit anderen Bereichen, wie mit Bildung und Sozialem, gerade auch in Südtirol stärker vernetzen und zusammenarbeiten würde.
Fotos: Martina Oberprantacher/Lenbachhaus
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