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December 27, 2019

„Lonesome Echo“: Julian Göthe über seine Ausstellung in der Galerie der Stadt Schwaz

Verena Spechtenhauser

Eine Linie drückt Bewegung aus. Sie verbindet zwei Punkte und sie grenzt Felder beziehungsweise Terrains ab. Sie markiert eine Bühne, eine Projektionsfläche und trennt zwischen Szene und Publikum, Real- und Illusionsraum. Der Berliner Künstler und Professor für Bildhauerei in Wien Julian Göthe hält diese Grenze zwischen Realität und Fiktion jedoch durchlässig. Seine Arbeiten, Zeichnungen sowie Skulpturen und Installationen schalten zwischen den Medien und zwischen Zwei- und Dreidimensionalität hin und her. Göthe ist bekannt für seine Wandverspannungen. In der Anfang Dezember 2019 zu Ende gegangenen Ausstellung „Lonesome Echo“ in der Galerie der Stadt Schwaz zieht er mit Polyesterseilen einen alternativen Raum ein. Es ist eine Ausstellung, die, wie Kuratorin Anette Freudenberger in einem Interview betonte, eigentlich im mumok in Wien ihren Platz hätte finden müssen. Umso schöner, dass sie es nach Schwaz geschafft hat. Hier nun einige Fragen an den Künstler Julian Göthe:

Deine Ausstellung „Lonesome Echo“ wurde speziell für die Galerie der Stadt Schwaz entwickelt. Kannst du uns kurz erzählen, wie du dich auf die Ausstellung vorbereitet hast und wo sich in deiner Installation die Parallelen zur Stadt finden?

Anette Freudenberger, die Kuratorin der Galerie der Stadt Schwaz, hatte mich im Juni 2019 zu der Ausstellung eingeladen. Ich hatte von Anfang an vor, den Film „Walls Talk“ dort zu zeigen, der vorher noch nie in Österreich zu sehen war, und diesen mit einer großen Seilinstallation zu erweitern und ergänzen. Durch die Anordnung der Ausstellungsräume ergab sich eine für mich sehr interessante Situation – im kleinen Raum die Projektion, im großen die Seilinstallation mit vier Posterdrucken – um die beiden Arbeiten in Beziehung zu setzen und durch die Sichtachsen eine laterna-magica-artige Durchdringung zu schaffen. Die Installation ist also für die Räume maßgeschneidert. Ich hätte das Video einfach an eine Wand projizieren können, habe mich aber entschieden, einen Screen vor die Fenster des Kabinetts zu installieren, damit die BesucherInnen die Projektion schon von dem größeren Raum aus sehen können. Was die Seile betrifft, greife ich auf eine Formensprache zurück, die ich schon lange einsetze, immer wieder variiere und erweitere. Neben dem Spiel mit perspektivischer Täuschung aus Raumtiefe und Flachheit zitiere ich mit der Wandgestaltung und der Umrahmung von Türen und Drucken Elemente von gemalten Fassadendekorationen in Schwaz, wie sie zum Beispiel am Palais Enzenberg zu finden sind.

Mit deinen Wandverspannungen wurdest du international bekannt. Woher stammt deine Faszination für die Welt der Linien?

Zeichnen spielt eine große Rolle in meiner Arbeit, ob das jetzt Entwurfsskizzen oder eigenständige, zeichnerische Arbeiten sind. Tatsächlich sind aber die Seilarbeiten aus der Überlegung hervorgegangen, wie man mit relativ einfachen Mitteln große, raumgreifende Arbeiten herstellen kann, die sich den jeweiligen Raumverhältnissen anpassen. Natürlich geht dem ein langer Entwurfsprozess voraus und die Installation mit dem Vermessen der Wände, den Bohrungen, dem Spannen der Seile benötigt einige Zeit. Letztendlich braucht man aber nur ein paar Rollen Seil und Schrauben, um den Raum zu bespielen. Diese Seilinstallationen stehen in einem direkten Verhältnis zu meinen sehr aufwändigen Holzskulpturen und Metallgittern, die auch immer noch Teil meiner Arbeit sind, die aber durch ihren langwierigen Produktionsprozess zu den oben erwähnten Überlegungen geführt haben. Die Metallgitter sind hier besonders erwähnenswert, denn ich konnte den Effekt der angedeuteten und der tatsächlichen Raumtiefe bis ins Extrem durchspielen, was bei den BetrachterInnen zum Teil zu Verwirrung und Schwindelgefühlen geführt hat. Bei den Gittern kamen häufig Elemente aus der manieristischen und barocken Schmiedekunst zum Einsatz, wie zum Beispiel die Darstellung von Draperien, die aber aus Metall gefertigt sind. Diese Elemente habe ich in Zeichnungen aus Seilen übertragen und somit das Material wieder in ein Textiles überführt.

Galerie Schwaz_Julian Göthe2

Du wendest in der Ausstellung in Schwaz zum ersten Mal eine Art gestische Spritztechnik an. Warum? Was steckt dahinter?

Mein Arbeitsprozess ist immer ein sehr kontrollierter. Daher kann man die Spritzer auf den Drucken, die ja eigentlich auch schon wieder einen digitalen Kontrollprozess durchlaufen haben, als eine Geste der spontanen Expression, der Störung, aber auch als Zitat eines sehr männlichen Malgestus ( Jackson Pollok ) sehen, der im krassen Gegensatz zu der Welt steht, aus der sich meine Arbeit zusammensetzt. Es gibt aber auch den Begriff des „Interieur Porn“ für die Einrichtungsmagazine, die das Ausgangsmaterial für die Drucke sind. Daher könnten die Spritzer, auch in Kombination mit den Seilen, noch ganz andere Assoziationen wecken.

Du hast zwei große Leidenschaften: musikalische Obskuritäten und Interior-Magazine. Was genau fasziniert dich an diesen Bereichen und wie fließen diese in deine Kunst ein?

In meiner Plattensammlung wird man keine einzige Platte von den Beatles finden, dafür aber Catarina Valentes Version von „The Fool on the Hill (El Tonto En La Colina)“ in Begleitung des Edmundo Ros Orchestras. Das heißt nicht, das ich etwas gegen die Beatles habe, aber die hört man sowieso überall und mich interessiert, wie zum Beispiel deren Kompositionen als Rohmaterial für zum Teil sehr verblüffende, dem Original wiedersprechende Interpretationen dienen, wie in der Valente-Version, die nun zu einem eigenartigen latin-exotica Hybriden mutiert ist. Bezeichnend ist, dass ich lange geglaubt habe, dass „Light My Fire“ ein Stück von Astrud Gilberto und nicht von den Doors ist. Und ich ziehe nach wie vor ihre Version dem Original vor. Der große Bereich der Funktionsmusik, wie zum Beispiel Library Platten, Soundtracks oder experimenteller instrumental Pop der 50er bis 70er Jahre hat ja schon lange eine große Fangemeinde. Häufig werden diese Klänge als Sampling-Material verwendet oder als irgendwie schräger Witz betrachtet. Dabei wird übersehen, dass es sich hier um sehr komplexe, musikalische Visionen handelt, die Kompositions- und Aufnahmetechniken der Avantgarde übernommen und weiterentwickelt haben, das aber unter dem Vorzeichen der Unterhaltung. Allerdings stellt sich hier die Frage, welche Form der Unterhaltung antizipiert werden soll. Man muss sich einfach mal den Tin-Pan-Alley-Standard-Bye-Bye-Blues in der Interpretation von Esquivel And His Orchestra in der Stereo-Version laut anhören, dann versteht man, was ich meine. Dieses lässt sich auch auf mein Interesse am Innendekor übertragen: Der vernünftige, gut designte Stuhl interessiert mich weniger, dafür aber Objekte und Räume, die etwas dysfunktionales, widerspenstiges und theatralisches haben, die anfangen, ein Eigenleben zu führen, das nicht unbedingt angenehm für die damit konfrontierten Personen ist. Dabei geht es in erster Linie nicht unbedingt um Luxus-Behausungen, aber immer, wenn ich mir The World of Interiors kaufe und sehe, wie sich GestalterInnen mit Oberflächen, Texturen, Farben, Materialien und Proportionen auseinandersetzen, empfinde ich eine tiefe Befriedigung und Hoffnung. Innendekor, Bühnen und Filmsets in Verbindung mit theatralischen Klängen sind also häufig Grundlage und Ausgangspunkt meiner Arbeiten. Auch wenn ich nicht unbedingt Musik in meinen Installationen verwende, versuche ich Klänge in Formen umzusetzen. Ob das gelingt und sich auf die BetrachterInnen überträgt, ist eine andere Frage … 

Komplementär zu deiner Installation wurde auch dein Film „Walls Talk“ im Kabinett der Galerie gezeigt. Worum geht es in diesem Film, wie ist er entstanden und warum hast du dich dazu entschlossen, genau dieses Video in dieser Konstellation zu zeigen?

Diese 80minütige Bildsequenz ist ursprünglich in Zusammenarbeit mit der Künstlerin Antje Stöffler-Hamad entstanden und war Teil einer Wandskulptur, in die das Video hineinprojiziert wurde. Das Ganze hatte die Anmutung einer futuristischen Bild-Maschine, in der die Sequenz im Dauer-Loop lief. Ich habe Antje Stöffler-Hamad das gescannte Bildmaterial und die von mir ausgesuchten Musikstücke übergeben und mit ihr die stilistischen Parameter, wie die Kamerafahrten und die Bewegungen einer über das Bild laufenden Spirograph-Animation besprochen. Sie hat dann dieses Material nach ihren Vorstellungen geordnet und editiert, was zum Teil zu sehr überraschenden Momenten in der Sequenz geführt hat, auf die ich nie gekommen wäre, da mein Blick schon zu voreingenommen war. Eine wirklich sehr schöne Zusammenarbeit. Auf der Bildebene kommen unter anderem Stills aus Busby-Berkeley-Revuen, Film-Noir und Science-Fiction-Filmen, Art-Deco-Interieurs, Fotos von Hoyningen-Huene und Cecil Beaton, Bodybuilder und manieristische Gravüren zum Einsatz, auf der Tonebene ein Soundtrack mit Stücken, die zwischen elegant und unheimlich oszillieren. Es handelt sich also um einen Sehnsuchtsraum, in dem sich alle meine Vorlieben wiederfinden, und um ein Angebot, sich mit Bild und Ton in Verbindung zu setzen. Die Bildfolge ergibt keine Handlung, steht aber im Spannungsverhältnis zur Musik, oder besser, ergibt eine Bild-Ton-Komposition, in der die BetrachterInnen individuell ihren eigenen Film erfinden können. Die Seilarbeit ist, wie schon oben erwähnt, die Erweiterung in den realen Raum, die Spritzer auf den Drucken Störungen, die meine Bildwelt in Frage stellen.

Galerie Schwaz_Julian Göthe3

Du hast früher als Bühnenbildassistent, aber auch beim Trickfilm oder als Kameraassistent gearbeitet. Wie wichtig sind diese Erfahrungen für deine heutige künstlerische Arbeit?

Alle diese Disziplinen setzen sich mit Raum, ob real oder fiktiv, auseinander. Die Übertragung eines Bühnenentwurfs vom Modell bis zum gebauten Set, das Erfinden und Planen ganzer Städte, Landschaften und Behausungen auf dem Papier für (Cartoon) Animationsfilme hat dazu geführt, dass ich ein sehr sicheres Verhältnis zu Räumen und Objekten habe. Und sicherlich auch, was die Machbarkeit der Umsetzung meiner Skulpturen betrifft. Die Arbeit als Kameraassistent hat mich gelehrt, dass Raum nicht statisch ist, sondern durch Bewegung in Schwingungen gesetzt werden kann. All diese Komponenten fügen sich zu einem Setting zusammen, in dem wir in immer neuen, oft rätselhaften Anordnungen zu Akteuren in Dramen oder Komödien werden, die noch geschrieben werden müssen. 

Alle Fotos: Verena Nagl  

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