Music

December 19, 2019

Der wahre Geist der Weihnacht: Moving Krippenspielers Vol. 1

Florian Rabatscher

Weihnachten, Zeit der Stille und Besinnung. Vor der Tür steht das Fest der Liebe, der Geburtstag des wohl berühmtesten Vorzeige-Hippies und natürlich von Lemmy Kilmister. Wenn uns aus den Regalen der Supermärkte Panettone, Adventskränze und der Typ mit dem langen weißen Bart und der roten Mütze, den Coca-Cola erfunden hat, anlachen, dann wissen wir, es ist soweit. Der Startschuss für das gemeinsame Durchdrehen während der materialistischen Massenpsychose. Eine Zeit, in der der Konsumterror seinen Höhepunkt erlebt, Familienfeiern oft in heftigem Streit enden, man vor kitschigen Krippen unterm Tannenbaum in den schiefsten Tonlagen sinnlose Lieder trällert und der allgegenwärtige Glücksdruck einem den Rest gibt. Ja, Weihnachten ist schon was Feines. Während man sich die Zähne am missglückten, aber gut gemeinten, harten Weihnachtstollen des Partners ausbeißt, fragt man sich: Welchen Sinn soll dieser heilige Geburtstag haben, an dessen aktuelle Relevanz eh nur mehr wenige von uns glauben? Was hat das alles noch mit einem christlichen oder humanistischen Weltbild zu tun? … Nichtsdestotrotz sind das Nervigste vielleicht doch immer noch die wiederkehrenden Verbrechen an unser Gehör, die sich Weihnachtslieder nennen.

Fünf mutige JazzapostelInnen, namens „Moving Krippenspielers“, unter der Führung des Allgäuer Dschäss-Messias Matthias Schriefl, sollen euch nun von dieser Last erlösen: Die Wohltat wurde mit, sage und schreibe, 30 Instrumenten auf CD verewigt und lässt traditionelle Lieder in einem völlig neuem Licht erstrahlen. Alten Schinken wird ein beinah außerirdisches Antlitz verliehen. Man hört Klänge, die so gar nicht zu Weihnachten passen, und genau deshalb so besonders sind. Klassiker wie „O Tannenbaum“, „Ihr Kinderlein kommet“ oder „Stille Nacht“ klingen plötzlich schwungvoll schräg, sodass man dazu automatisch sein Gesäß kreisen lässt. Volksgut trifft Jazz trifft Balkan trifft Calipso trifft Funk trifft Punk trifft Reggae trifft Disco-Beat trifft Avantgarde trifft Boogie trifft Gospel trifft Dreigesang trifft Bach trifft Hörspiel. Eine Modernisierung der Kirche: Die Geschichte der Heiligen Nacht wird hier ganz anders erzählt und erhält den Charakter einer musikalischen Version von „Das Leben des Brian“. Böse Zungen möchten behaupten, die MusikerInnen haben zu viel vom Weihrauch genascht, aber es ist doch genialer, als man denkt. Nicht nur dass diese MusikerInnen ohne stilistische Schranken äußerst freie Klänge fabrizieren, nein, auch die Geschichte, die erzählt wird, ist so ungehemmt eigen, dass man sie als zeitlos betrachten könnte. Die Krippengeschichte heute: Unbefleckte Empfängnis, kennt man ja, doch die Kirche braucht ein neues Wunder, deswegen trägt endlich Josef eine Frucht in seinem Leibe. Grandios. Trefft auch den Asylanten aus dem Morgenland oder Matthias Schriefl als den wohl gestörtesten Weihnachtsmann der Welt.

Also, bloß eine wahnsinnige Weihnachtsgeschichte? Leider nicht, bedauerlicher Weise schreibt diesen Wahnsinn das Leben selbst. Mit dieser CD haben die MusikerInnen den wahren und zeitgemäßen Geist der Weihnacht eingefangen. Aber trotzdem kann sich die Musik hören lassen und das Weihnachtsfest ist zumindest für unsere Ohren gerettet. Merry Christmas!  

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