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December 10, 2019

Menschliche Versuchskaninchen: Tamara Lunger im terraXcube

Florian Rabatscher

Das nächste Projekt der Extrembergsteiger Tamara Lunger und Simone Moro klingt nicht gerade nach einem Sonntagsspaziergang. Mitte Dezember 2019 wagen die beiden eine Winterbesteigung und Überschreitung von Gasherbrum I und Gasherbrum II, zwei Achttausender im Karakorum-Gebirge im Himalaya. Im Sommer 1984 gelang den Kletterurgesteinen Reinhold Messner und Hans Kammerlander erstmals die Begehung und Besteigung dieser Berge. Niemand hat dieses Unterfangen jemals wiederholt, doch Tamara und Simone wollen es jetzt wissen. Und um der Sache noch die nötige Würze zu verleihen, werden sie diese Brocken natürlich im Winter erklimmen. Das nenn ich Kampfgeist. 

Im Vorfeld unterziehen sich die beiden einer künstlichen Akklimatisierung im terraXcube, dem Zentrum für Extremklimasimulation von Eurac Research im NOI Techpark. Seit dem 29. November verbringen sie fast die gesamte Zeit in dieser Kammer, schlafen dort und absolvieren ihr Training mit Laufband und Indoor-Fahrradtrainer. Ziel wird es sein, eine gute Akklimatisierung bis auf rund 6.400 Meter zu erreichen. Abhängig vom Zustand der beiden Alpinisten (z. B. Schlafqualität, keine Symptome von Höhenkrankheit) wird die Höhe phasenweise auf bis zu über 8.000 Meter nach oben geschraubt und die Temperatur nach unten, um auch die Anpassung des Körpers an die Kälte zu untersuchen.

©Pavana_TheVerticalEye_112019_016

Eine einmalige Chance für Eurac Research, die physiologischen Abläufe der Akklimatisierung zweier Extremalpinisten im terraXcube auf einer Höhe von über 8.000 Metern genauer unter die Lupe zu nehmen. Denn wenn man exakter versteht, wie ein Organismus auf Sauerstoffmangel reagiert, kann man für mehr Sicherheit bei hochalpinen Expeditionen sorgen, aber auch bei Rettungseinsätzen in Katastrophengebieten, bei UN-Einsätzen in hochgelegenen Krisengebieten oder bei Infrastrukturbauprojekten – wenn etwa Staudämme, Straßen usw. errichtet werden.

Dafür stellt man sich gern als „Versuchskaninchen“ zur Verfügung – Tamara und Simone gehören zu den wenigen Menschen, die dafür in Frage kommen: Extrem-Bergsteiger und Menschen, die sich selbst und ihren Körper bis ans Äußerste treiben, um auf scheinbar unerreichbare Höhen zu kommen. Welcher Antrieb genau dahinter steckt, was sich im terraXcube abspielt und noch ein paar ein andere Fragen, erfahrt ihr hier im Interview mit Tamara Lunger. 

©terraXcube_DSC09475 

Wie ist es hier im terraXcube? Natürlich ist es ein Training für die bevorstehende Expedition, aber willst du hier auch sonst etwas über dich herausfinden?

Das möchte ich allerdings, sonst würde ich das hier nicht mitmachen und könnte stattdessen auf einen Berg steigen – dort wäre ich sogar lieber als hier drinnen, wenn ich es mir aussuchen könnte … Aber hier haben wir jetzt die Möglichkeit zu erfahren, wie der eigene Körper auf bestimmte Situationen reagiert. Es ist beeindruckend, wie der terraXcube funktioniert: Wenn hier drinnen 5.000 Meter Höhe simuliert werden, ist es wirklich so, als ob du auf einem Berg wärst. Simone und ich haben übrigens vorgeschlagen, die kahlen Wände mit einigen Bergbildern zu bekleben, damit ein gewisses Feeling aufkommt. [lacht] 

Was möchtest du speziell über deinen Körper herausfinden?

Es werden unglaublich viele Proben genommen, Wissenschaftler aus der ganzen Welt machen Tests mit uns. Letztens kam einer aus der Schweiz, der die Mikrozirkulation unter der Zunge gemessen hat und viele andere Dinge, von denen ich noch nie etwas gehört habe. Alle Auswertungen werden uns auch zur Verfügung gestellt. Anfangs wurden wir zehn bis zwölf Stunden untersucht, Herz, Lunge, Magnetresonanz, Bluttests, Atmung, kognitive Fähigkeiten usw. Bei der Messung des Gesamt-Hämoglobins waren wir uns sicher, dass ich einen höheren Wert als Simone haben müsste, da ich größer bin usw. Es stellte sich jedoch heraus, dass Simone 160 g mehr als ich hat, was ausschlaggebend für die Leistung ist, da er Sauerstoff binden kann. Mir persönlich fiel auf, dass es mir in der Höhe deutlich besser geht. Nun wollen wir herausfinden, warum. Oder beispielsweise auch die Unterschiede zwischen Mann und Frau untersuchen.

Weil du gerade davon sprichst: Wie ist die Stimmung zwischen euch hier drinnen? Seid ihr ein Team oder herrscht eher Wettkampfstimmung?

Ich glaube, dass ein Mann-Frau-Team, wenn beide körperlich ungefähr auf derselben Höhe sind, sogar besser funktioniert. Der Mann besitzt das rationale oder das zielstrebige Denken, die Frau hingegen eher das Intuitive – das ergänzt sich perfekt – natürlich nur, wenn der Mann nicht zu „schofferisch“ ist. [lacht]  Simone sagt oft zu mir: „Tami, dobbiamo scalare la montagna oggi con la testa e non col cuore.“ Ehrlich gesagt, muss ich ihm da einfach immer Recht geben, denn er hat ja eine immense Erfahrung. Ich glaube auch, so etwas würde ich mit keinem anderen Menschen auf der Welt machen, weil Simone und ich uns einfach so gut kennen. Wir vertrauen uns und wissen, wenn dem einen etwas fehlt, gibt der andere alles, um ihn aus der Scheiße zu ziehen.

Wie ist es mit dem Geschlechter-Unterschied insgesamt in der Kletterszene?

Ja, es gibt ihn schon, aber in der Höhe ist das auch wichtig, denn dort darfst du nicht viel Frau sein. Ich habe mir nie dieses Limit gesetzt, dass ich als Frau zum Beispiel weniger tragen könnte. Ich fühlte mich immer gleichberechtigt und glaube, das wird auch so aufgenommen von den anderen. Simone sagt oft sogar, ich weiß, sollte mir etwas passieren, würdest du alles geben und mich wahrscheinlich leichter hinuntertragen als ich dich. [lacht]  So etwas von einem Mann zu hören ist schön. 

©Pavana_TheVerticalEye_112019_013

Dieses Leid, diese Schmerzen und das Risiko, nur um diese Höhen zu erreichen. Warum tut man sich das eigentlich an?

Wenn ich das wüsste … ich fühle mich dort mehr daheim als hier. Diese Einsamkeit, die man hier nicht mehr so erleben kann. Auf dem Nanga Parbat im Lager 3 blickte ich einmal in die Berge hinaus und es war keine Wolke weit und breit zu sehen. In diesem Moment fühlte ich mich so komplett und ausgeglichen, dass ich mir dachte: Jetzt könnte ich sterben, denn schöner geht’s nicht mehr.

Dieses Gefühl, dass man sterben könnte, begleitet euch doch immer. Gibt dir das irgendeinen Kick?

Nein, ich will ja gar nicht sterben. Ich versuche ja alles, damit das nicht passiert, und deswegen muss ich es verstehen auf meinen Körper zu hören. Auf dem Berg bin ich in meinem Ambiente. Ich, es ist hart, kalt und schmerzt, aber dieses Gefühl, wenn du oben angekommen bist, ist unbeschreiblich. Auch wenn du weißt, dass du jetzt wieder den ganzen Weg runter musst. [lacht]  Man bringt sich in solche Extremsituationen, die du hier nie erreichen würdest. Du lernst dich und deine Limits besser kennen. Du weißt, wie du reagierst, wenn irgendetwas passiert: Gerätst du in Panik oder kannst du klar denken. Es ist schön, über sich selbst Bescheid zu wissen. Einmal musste ich sogar einem anderen Kletterer beim „brunzn“ helfen, weil er abgestürzt war. So etwas passiert dir auch nur da oben. [lacht]  

Wenn man Extremes wie du kennt, gibt es dann eigentlich Dinge im Leben, die dich überfordern?

Für mich ist die Stadt extrem. Zum Beispiel macht mich der Stress und die Hektik während des Weihnachtsmarktes fertig. Dabei werde ich innerlich so nervös, dass ich es fast nicht mehr aushalte. Auf dem Berg bist du für dich alleine und hast auch etwas von dieser Zeit, aber im Wirrwarr der Stadt zu sein, ist für mich verlorene Zeit. Dieser innere Stress ist nur schlecht und macht krank.

©terraXcube_Corrà_Ivo _ICF7925

Fotos ©: (1 + 2) Pavana/The Vertical Eye; (3) terraXcube; (4) Pavana/The Vertical Eye; (5) terraXcube/Corrà Ivo.

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