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November 13, 2019

E-Mail-Konversationen über Mode: Susanne Barta und Roland Novak

Susanne Barta

Zwei Dinge haben mich zu diesem Format inspiriert. Ein interessantes und intensives Gespräch mit Roland über Mode, Stil, Nachhaltigkeit, Männer- und Frauenmode im Café Hofer in Bozen und die Konversation auf Manrepeller zwischen Leandra Medine Cohen und ihrer Chefredakteurin Harling Ross über Fragen des Stylings. Die Zugänge zu Mode von Roland und mir sind sehr unterschiedlich, die Begeisterung für das Thema aber verbindet uns. Lasst uns beginnen. 

Susanne schrieb am 16.10.2019

Roland, dein Stil, dich zu kleiden, fällt auf, da scheint von Kopf bis Fuß ein Konzept dahinter zu sein. Ist das so? 

Roland schrieb am 17.10.2019

Konzeptuell hat dies für mich mehr mit Haltung und Wertschätzung zu tun. Männer und Kleidung finden ja nicht immer selbstverständlich zusammen. Trotzdem braucht jeder Mann Kleidung; nackt läuft es sich nicht sehr angenehm durch die Straße. Vielen Männern macht aber ihre Sozialisierung als Söhne von Vätern der Nachkriegsgeneration einen Strich durch die Rechnung, sobald sie versuchen, sich bewusst für Kleidung zu interessieren. Folglich sind sie meistens dem ausgeliefert, was ihnen entweder medial als „männlich” vermittelt wird, oder, idealerweise, sie sich zusammen mit einem Herren-Ausstatter erarbeiten. In ersterem Falle wird der Mann versuchen, sich so zu kleiden, wie ein medial stilisierter Ideal-Mann, mit Körpermaßen, denen viele Männer nicht entsprechen können. In letzterem wird er von einem meistens guten Verkäufer beraten und möglichst passend eingekleidet werden. Beides hat mit Stil nichts am Hut. Stil, insbesondere persönlicher Stil, ist eng mit dem Menschen verbunden, der ihn trägt. Er entsteht durch Versuch und Irrtum, dem beständigen Hinterfragen und Experimentieren. Schlussendlich weist der persönliche Stil zwar einen roten Faden auf, ist aber ein konstanter Work in Progress. Um an den Anfang meiner Antwort zurückzukommen: Haltung und Wertschätzung werden heute immer weniger in Form von Text und immer mehr in Bildern übermittelt, und die Kleidung, die Mann trägt, spiegelt die persönliche Haltung und Wertschätzung sich selbst und seiner Umgebung gegenüber wider. Wenn ich die Genese meines persönlichen Stils betrachte, dann herrscht, aufbauend auf ein historisch verwurzeltes Männerbild, eine auf Individualität begründete offene Haltung vor, die vor allem den unterschiedlichen Proportionen des Körpers ästhetisch Rechnung trägt.

Meine Frage an dich: Als Mann befinde ich mich oft in der Zwickmühle, wenn ich einer Freundin, einer Bekannten, meiner Partnerin ein Kompliment zu ihrer Kleidung ausspreche. Wie nimmst du ein Kompliment an?

 Foto_2_Susanne Barta

Susanne schrieb am 21.10.2019

Ich freue mich über Komplimente. Aber das war nicht immer so. Als Mädchen und junge Frau fühlte ich oft ein Unbehagen, wenn das Kompliment von Männern kam. Will er etwas von mir? Oder ist das nur standardisierte Freundlichkeit? Glaubt er, ich kann nicht denken, sondern nur hübsch sein? Und so weiter … Der Weg zu mehr Gelassenheit und Selbstbewusstsein war ein langer. Auch modisch gesehen. Mode war kein Thema, das in meiner Familie besonders wertgeschätzt wurde. Mode galt als oberflächlich, Materielles als eher unwichtig. Bücher und gesellschaftliches Engagement waren wichtig. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, wenn ich mich zu sehr mit meinen Kleidern beschäftigte. Bei meiner Schwester und mir schlägt vermutlich unsere Oma durch. Sie war von Kopf bis Fuß mit Bedacht gekleidet. Handschuhe, Schuhe und Tasche passten immer zusammen. Heute bringe ich beide Welten zusammen: Mode und gesellschaftliches Engagement. 

Aber zurück zu den Komplimenten. Ich selbst mache auch gerne welche, wenn mir etwas gefällt. Und da geht es mir vermutlich wie dir. In Südtirol wird Komplimenten oft mit Argwohn begegnet. Das befremdet mich bis heute. In den USA habe ich gelernt, wie entspannt man damit umgehen kann. „I love your blouse, where did you get it?“ „You look great today.“ Und so sollte es auch sein. Wir sollten uns gegenseitig sagen, was uns gefällt. Und daher sage ich, dass ich deine Art, dich zu kleiden, sehr cool finde. Was mich nun interessiert, wie kommt dein Stil bei Männern an? Und bei Frauen? 

 Foto_3_Susanne Barta

Roland schrieb am 25.10.2019

Ich befürchte, als Stil, also als zusammenhängend gedachtes und geplantes Ensemble/Ganzes, werden die Kleidungsstücke, die ich trage nur von denen erkannt, die sich wie du, mit dem, was sie an ihrem Körper tragen, aus Leidenschaft oder Berufung beschäftigen. Den meisten fällt wahrscheinlich nur auf, dass da was Ungewohntes das Aussehen bestimmt, etwas, das nicht im Schaufenster der Bekleidungsketten oder auf den Werbeflächen der Tages- oder Wochenzeitungen zu sehen ist. Dafür gibt es hie und da Blicke oder ein anerkennendes Lächeln, eine Grußgeste, wenn mein Gegenüber offensichtlich auch ein Auge für Kleidung und Stil hat. Meistens sind es Frauen, die auch interessiert sind und mich ansprechen. Wenn mich Männer ansprechen, dann sind sie meistens selbst vom Fach und leben von Berufs wegen an der Schnittstelle zwischen Musik, Kunst und Kleidung. Den „Oh, I love your style!”-Moment hatte ich vor ein paar Jahren in Vancouver, und ich bin überzeugt, dass das ein natürlicher Gestus für Menschen in einer offenen und freien Gesellschaft ist. Vor allem ist es ein Zeichen dafür, dass in dieser Gesellschaft das noch nicht Gesehene Neugier erweckt, und Neugierde ist in meinen Augen eine Grundvoraussetzung für Entwicklung. Im Laufe der Jahre habe ich mir auch hier und dort ein Grundwissen zu den Entwicklungen in der Geschichte der männlichen Kleidung zugelegt. Es ist zwar sehr fragmentiert, aber Teil meines Entscheidungsprozesses, was ich wann anziehe. Das bedeutet, dass die meisten Kleidungsstücke eine historische Referenzialität besitzen, mit der ich entweder experimentiere oder die ich bewusst einsetze. Im öffentlichen Raum fehlt mir eigentlich dieses Spiel, das ja immer auch eine ästhetische Auseinandersetzung mit der Gegenwart ist. Meistens überwiegt dort die jugendlich pubertäre ostentative Zerrissenheit – leider auch unbedacht von „Erwachsenen” übernommen. Liebe Susanne, wie weit spielt die Geschichte der Kleidung für dich eine Rolle, oder, wie viel leichter haben es Frauen, mit der Geschichte der Mode zu spielen?

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Susanne schrieb am 30.10.2019

Ich möchte mit einem Satz der US-amerikanischen Künstlerin Barbara Kruger beginnen: „Your body is a battlefield“. Der Satz ist Teil eines Kunstwerks, auf dem ein zweigeteiltes Gesicht eines weiblichen Models zu sehen ist, der Satz ist darüber gelegt. Ja, der weibliche Körper ist Schlachtfeld und Projektionsfläche der jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnisse. Aber natürlich nicht nur. Da hat jede einzelne Frau auch ihr eigenes Wort mitzureden. In diesem Spannungsverhältnis bewegt sich meiner Erfahrung nach das Thema „Frau und Mode“. Da ich modehistorisch kaum bewandert bin, Mode höchstens mal am Rande von wissenschaftsgeschichtlichen Abhandlungen erwähnt wurde, als Alltagsphänomen, besteht hier ganz klar Aufholbedarf. Ich lese gerade Barbara Vinkens Buch „Angezogen. Das Geheimnis der Mode.“ Vinken beschreibt Mode als ein differenziertes Zeichensystem im historischen Wandel. Das Buch ist sehr spannend für mich. Früher war ja Mode vor allem Männersache, Sache von adeligen Männern, im bürgerlichen Zeitalter, dann ist Mode weiblich geworden, die Männer kommen unscheinbar im Anzug daher. Vinken schreibt: „Die männliche Kleidung, die allein der Norm des Modernen entspricht, definiert sich dadurch, unauffällig vom Stigma des Modischen nicht gezeichnet zu sein. Sie soll nicht das Kleid zeigen, sondern die Persönlichkeit unterstreichen … Frauen erscheinen, Männer sind.“

Mein Zugang zu Mode ist ein unhistorischer, vermutlich auch aus Unkenntnis. Ich mische und mixe gerne und mag auch keine Vorschriften, was man wozu tragen soll oder darf. Um auf deine Frage zu antworten: Die Geschichte der Kleidung spielt für mich vor allem ästhetisch eine Rolle, weil ich Materialien, Schnitte, Stile vergangener Zeiten zum Teil sehr schön finde und ja, ich glaube Frauen haben es leichter mit der Geschichte der Mode zu spielen, weil Frauen, zumindest im Westen, erlaubt ist, damit zu spielen. Bei aller Kritik an den Marketingstrategien der Modeindustrie, den gesellschaftlichen Zuschreibungen an unsere Körper, den sexistischen Versuchen, Frauen zu Objekten zu machen: Spiel ist immer auch Freiheit. 

Du schreibst: „Im öffentlichen Raum fehlt mir eigentlich dieses Spiel, das ja immer auch eine ästhetische Auseinandersetzung mit der Gegenwart ist“. Dazu würde ich gerne mehr hören von dir. Wie könnte eine gelungene ästhetische Auseinandersetzung mit der Gegenwart aussehen? Wie kann ich mir die vorstellen? 

 Foto_5_Susanne Barta

Roland schrieb am 7.11.2019

Das Spielfeld für Männer und Mode im öffentlichen Raum ist meiner Meinung nach sehr eng gesteckt. Dafür gibt es historische Gründe, wie zum Beispiel die patriarchale Strenge der Nachkriegszeit in den Arbeiterfamilien, auch die geschlechtsspezifische Tabuisierung von Softskills in den kreativen Bereichen. Während Frauen mit Kleidung in den unterschiedlichen Bereichen der sozialen Interaktion und vor allem der Arbeitswelt sehr selbstverständlich zu spielen wissen, gibt es für Männer wenig Bewegungsspielraum. Ihre Arbeit bestimmt im Prinzip ihre Beziehung zur Kleidung. Auch in der Freizeit. Verstörend wirkt dabei vor allem, dass Männer ihre Kleidung nicht mehr ihrem Körper anpassen, sondern umgekehrt. Die Schnitte der Konfektionen in den südlichen europäischen Ländern gehen zum Beispiel von einem Taillenumfang von 28” bis 36” für Bein-Kleider, Jeans oder Hosen, und einem Brustumfang von 34” bis 40” für Hemden, Jacken etc. als Standard aus. Etwas größer fallen die Maße in den nördlichen Ländern aus. Ich passe da leider schon seit meiner Gymnasialzeit nicht mehr rein. Das hat mich dazu gezwungen, jene Hersteller zu entdecken und suchen, die nicht nach industriellen Standards produzieren. Das sind meist kleine, lokal verortete Hersteller, die interessanterweise Schnitte benutzen, die keiner Mode unterliegen, sondern historisch gewachsen und seit Jahrzehnten gleich geblieben sind. Diese Schnitte fußen auch gleichzeitig auf ein historisiertes, meistens verklärtes Männerbild. So ist der ganze Bereich der „Militaria“ sehr prominent vertreten. Auch der englische Schnitt der 20er oder der amerikanische der 50er und italienische der 60er Jahre bieten sich an als alternative Möglichkeiten für den Mann sich zu kleiden. Jedem dieser Schnitte entspricht ein unterschiedlicher Typ von Körper. Sich mit dieser Geschichte auseinandersetzen und im Alltag bewusst damit zu experimentieren, das bedeutet für mich eine gelungene ästhetische Auseinandersetzung mit der Gegenwart. Ein überaus spannender Nebeneffekt ist dabei das Zusammenwirken zwischen körperlichem Wohlbefinden und dem Bewusstsein für die politischen Bedeutung  und Wirkung von Kleidung. Frauen sind da den Männern heute weit voraus, so sehe ich das. Bin ich da zu optimistisch?

To be coninued… 

 

Foto (1) Susanne und Roland im Café Hofer, Bozen 
Foto (2) Susanne: Rock > Vintage; Bluse > Secondhand Kleopatra, Bozen; Sakko > Massimo Dutti (über 15 Jahre alt); Clutch > Marc Jacobs; College Schuhe > Ed Meier
Foto (3) Roland: basque/beret und dolcevita/rollneck in Shetland Wolle > maglificio Grp Florenz designed von Max Rohr; repro battle dress pattern 52 pant in wolle >The Good Side Florenz; redwing boots 
Foto (4) Susanne : Hose > CORA happywear; Blazer > Everlane; Unterjacke > Secondhand; Rollkragenpulli > CORA happywear; Schuhe > Arket
Foto (5) Roland: Hose und Jacke > 1st-patrn Follina in broken twill double indigo dyed nach einer originalen Vorlage der italienischen Arbeiter Kleidung aus den 1950iger Jahren; basque in schwarzer Wolle > cappelleria melegari torino; vintage schwarzer Henley 

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