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October 9, 2019

Als Messe neue Themen spielen: Neonyt in Berlin

Susanne Barta

Die Messemacher der nachhaltigen Modemesse Neonyt haben viel vor: „Change fashion together now“. Die erste Ausgabe ging im Januar 2019 in Berlin das erste Mal über die Bühne – die Messe findet zweimal jährlich statt, während der „Berlin Fashion Week“. Die Neonyt versteht sich als „the global hub for fashion, sustainability and innovation“. Thimo Schwenzfeier, Chef der Neonyt, im Gespräch über die Verantwortung von Messeveranstaltern, das Veränderungspotential der Textilindustrie, nachhaltige Mode als Trend der Zukunft und über sein eigenes Konsumverhalten.

Wie hat sich die Neonyt entwickelt, Thimo?

Da muss ich etwas zurückgreifen: 2004 wurde in Paris die „Ethical Fashion Show“ gegründet, 2009 der „Greenshowroom“ in Berlin, beide von unabhängigen Frauen, die schon damals die klare Vision hatten, dass sich der Modezirkus ändern muss. Die Messe Frankfurt ist weltweit der größte Textilmessenanbieter und hat verstanden, dass der Bereich der Nachhaltigkeit ein sehr wichtiges Thema in der textilen Wertschöpfungskette ist. Wir haben dann beide Messen gekauft und in Berlin angesiedelt, zunächst noch an getrennten Orten, dann unter einem Dach als offizieller Teil der Berlin Fashion Week. Nachhaltige Mode war damals noch ein Nischenthema. Auch wurden wir dafür kritisiert, dass wir zu halbherzig agierten und das Thema nicht wirklich bei den Konsumenten und beim Handel ankommt. Das wollten wir verändern und mehr Aufmerksamkeit und Relevanz für nachhaltige Mode schaffen. Aus dem neuen Konzept entstand die Neonyt. Mit klaren Regeln, wer ausstellen kann, und der klaren Positionierung als Modemesse. 2019 sind wir gestartet und haben von Anfang an viel Unterstützung aus der Industrie und der Community erhalten. Es war der richtige Schritt zur richtigen Zeit. Mit unserer Vision „Change fashion together now“ möchten wir Treiber sein für Veränderung und eine Bühne bieten für ein anderes Konsumverhalten und einen anderen Wirtschaftskreislauf.

Ihr habt das mit einer Konferenz verbunden, gewissermaßen mit einem Bildungsangebot …

Dieser Hub-Gedanke, der in der Neonyt steckt, ist sehr wichtig für uns. Wir sind nicht nur eine Messe, wir haben auch eine Konferenz, eine Modenschau, den Workshop „Thinkathon“ und die „Prepeek“ für Influencer. Messe heißt Austausch von Angebot und Nachfrage, wir bringen Modelabels mit Händlern zusammen. Die Konferenz hilft uns dabei mit Unternehmen ins Gespräch zu kommen, auch Unternehmen einzuladen, die vielleicht nicht zur Messe kommen können, weil sie zum Beispiel wie hessnatur ein anderes Vertriebssystem haben oder wie Adidas nur zum Teil nachhaltige Modelle entwickeln. Die Unternehmen schätzen diesen kritischen, aber konstruktiven Austausch.

10 Thimo Schwenzfeier 01 

Wo steht die Textilindustrie in Bezug auf Nachhaltigkeit und Fairness heute?

Leider immer noch am Anfang. Ich glaube, dass die Bemühungen sehr valide sind, so ziemlich jedes Unternehmen, auch im Fast-Fashion Bereich, ist sich darüber im Klaren, dass sie etwas ändern müssen. Aber die Komplexität der textilen Kette ist immens, es gibt so viele Sub-Sub-Sublieferanten, dass gerade die großen Unternehmen das nicht unter Kontrolle haben und erst am Anfang sind, Initiativen zu setzen. Die Frage wird sein, wie schnell wir in der Lage sind, Veränderungen durchzusetzen. Beispiel: Bio-Baumwolle. Viele Große sagen, sie möchten komplett auf Bio-Baumwolle umstellen. Hört sich super an, nur momentan ist der Gesamtanteil der Bio-Baumwolle weltweit gerade mal 1 %. Wie soll man das schaffen? Weder sind die Felder noch die Bauern derzeit dafür bereit. Da kommt man nicht so schnell nach. 

Bio-Baumwolle, heißt es, verbraucht ja auch sehr viel Wasser …

Da ist die Frage, bekommt man eine Kreislaufwirtschaft hin, kann also das Wasser weiter nutzen. Fakt ist jedenfalls, die hehren Ziele sind da, man spricht darüber was getan werden soll, aber offen ist, wie das mit dem Realitätsabgleich ausschaut. Man sollte aber auch bedenken, Nachhaltigkeit ist kein absoluter, ein für allemal definierter  Begriff, sondern unterliegt einer Entwicklung. Was vor fünf Jahren als nachhaltig galt, ist heute schon überholt und so weiter. Deshalb müssen wir gemeinsam überlegen und hinterfragen, was zu unternehmen ist.

Die Klimadaten sprechen eine klare Sprache, ändert sich die Industrie schnell genug?

Ich glaube, sie muss sich schnell verändern. Fast alle Protagonisten sind sich da einig. Die Auswirkungen des Klimawandels werden wir alle mitbekommen. Die Frage ist, wie stark. Die Auswirkungen sind ja jetzt schon spürbar, wir sind mitten drin. Das Ausmaß hängt aber auch vom technologischen Fortschritt ab. Der Alarmknopf jedenfalls ist gedrückt, wir müssen uns bewegen.

Es braucht da wohl neue Businessmodelle?

Ja, das auch. Zum Beispiel sollten Einkäufer nicht nur Ziele hinterlegt bekommen, die sich auf maximalen Absatz beziehen, sondern auch Nachhaltigkeit berücksichtigen. Unser aktuelles Wirtschaftsmodell ist jedenfalls nicht dazu geeignet, dem notwendigen Umweltschutz, in Verbindung mit Innovationsfortschritt, Rechnung zu tragen. 

Seht ihr euch als Messe Frankfurt da in der Verantwortung?

Auf jeden Fall. Messen sind nicht mehr das, was sie vor zehn oder 20 Jahren waren. Wir müssen den neuen Entwicklungen Platz zur Verfügung stellen. Früher hieß es, Messen machen Marken, machen Märkte. Das halte ich für grundsätzlich falsch. Messen machen keine Märkte, sondern bilden sie ab. Was wir aber tun können in unserer Kuratierungsfunktion ist, bestimmten Marksegmenten größere Aufmerksamkeit zu bieten als anderen. Als Messeunternehmen müssen wir uns darüber klar sein, dass wir eine gewisse Grundverantwortung haben in der Art und Weise, wie wir Themen spielen.

Noch eine Frage zu dir, wie kleidest du dich?

Ich habe vor ca. acht Jahren, noch vor meiner Messe-Frankfurt-Zeit, begonnen, mich mit dem Thema zu beschäftigen, damals aber zu wenige Marken gefunden, die meinem Style entsprachen. Wie viele andere auch begann ich mit dem nachhaltigen Label Armedangels zu entdecken, wie nachhaltige Mode funktionieren kann. Mittlerweile ist mein Kleiderschrank knapp über die Hälfte umgestellt. Wichtig ist für mich aber, dass ich die alten Sachen nicht rauswerfe und dafür neue nachhaltige Sachen kaufe, sondern genau schaue, was wirklich hinaus muss, das zu Flohmärkten und Secondhand-Läden bringe, einiges weiter gebe und das andere weiterhin gerne trage. Heute sind 80– 90 % meiner Einkäufe nachhaltig. Wenn ich aber zum Beispiel eine schöne Jacke sehe, die ich unbedingt haben möchte, kaufe ich sie, egal ob nachhaltig oder nicht. Diese Passion für Mode und die Lust am Einkaufen wollen wir niemandem nehmen, möchten aber zeigen, dass es Marken gibt, die genau diese Lust auch auslösen können, aber eben besser produzieren. Wenn ich über die Neonyt laufe, dann könnte ich bei jedem Stand etwas kaufen, ich muss mich da wirklich zurückhalten.  

Die nächste Ausgabe der Neonyt findet von 14. bis 16. Januar 2020 in Berlin am ehemaligen Flughafen Tempelhof statt. Thimo Schwenzfeier könnt ihr aber auch bei der nachhaltigen Modemesse und Konferenz Greenstyle in München treffen, die am 11. Oktober eröffnet wird und bis 13. Oktober geht.

10 Thimo Schwenzfeier Greenstyle 03

 Fotos: (1) Neonyt; (2)  Thimo Schwenzfeier; (3) Thimo Schwenzfeier @ Greenstyle München

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